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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Grundzüge für den tviedcrcmfbau Gstpreußens

Was zunächst den Städtebau in Ostpreußen betrifft, so war bisher be¬
sonders in den Klein- und Mittelstädten die Tatsache von ausschlaggebender
Bedeutung, daß fast alle Stadtsiedlungen in den letzten Jahrzehnten nicht nur
keinen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen, vielmehr einen zum Teil erhebliche"
Rückgang der Einwohnerzahl zu beklagen hatten. Hierfür war hauptsächlich
der Mangel eines nennenswerten Durchgangsverkehrs infolge Fehlens be¬
deutender Bahn- und Schiffahrtswege verantwortlich zu machen. Die Städte
des Ostens zeigen in ihrer Anlage häufig keinen lebenden Organismus, sondern
eine aus deu jeweiligen Bedürfnissen hervorgegangene leblose Agglomeration.
Wo in den letzten vierzig Jahren überhaupt eine bemerkenswerte Bautätigkeit
einsetzte, machte sich der geschmacklose Baustil der Gründerzeit und der Nachfolge¬
periode mit seinen häßlichen Stuckfassaden und unschönen Dachformen in auf¬
dringlicher Weise breit, und wirkt in den Kleinstädter um so verletzender auf das
Auge, als er für großstädtische Linealstraßen zugeschnitten ist. Zum Teil weisen
die Gebäude jedoch eine bescheidene, gefällige Bauform, oft aber auch ärmliche und
mangelhafte Ausführung und armselige Ausstattung auf, so daß sie in anderer
Hinsicht eine Verschandelung des Städtebildes bewirken. Bisher war trotzdem
die Häßlichkeit der Bauformen das kleinere Übel gegenüber der beklagenswerte;"
wirtschaftlichen Unzweckmäßigkeit der Bauanlagen. An diesen Mißständen trug
vor allem die sachliche Unkenntnis sowohl des Bauunternehmers wie auch des
Bauherr" und die Skrupellosigkeit des ersteren die Schuld. Der Grundstücks¬
besitzer suchte einfach den ihm persönlich bekannten Unternehmer und Hand¬
werksmeister auf und übertrug ihm aus freundnachbarlichen Rücksichten ohne
wesentliche Vorbehalte die Ausführung des Projekts, nachdem die Baupolizei
wenigstens den gröbsten Unfug verhindert hatte. Es fehlte hier, abgesehen vo"
der mangelhaften Anwendung der kleinstädtischen und ländlichen Baupolizei¬
verordnungen, an einer ausreichenden, wirklich sachkundigen Beratung bei Auf¬
stellung und Durchführung der Baupläne. Seitdem in den letzten Jahren in
einzelnen Kreisstädten die Baupolizeioerordnungen revidiert worden waren und
und öffentliche Bauberatungsstellen ins Leben traten, ist diesem Übelstand wirksam
gesteuert worden. Dies gilt auch für das platte Land, da die Bauberatuug
durch die Landwirtschaftskammer und die Landesoersicherungsanstalt, die sich
durch Beleihung der Grundstücke ein Recht auf Mitbestimmung der verständigen
Ausgestaltung der Wohn- und Wirtschaftsbauten erworben haben, ausgeübt wird.

Auch im Bewußtsein der großen Dankesschuld, die ganz Deutschland seinem
Grenzland abzutragen freudig bereit ist, darf nicht im Bausch und Bogen
und unter Mißbrauch des Schlagwortes "Großzügigkeit" en bloc projektiert
und gebaut werden, vielmehr müssen, soweit dies irgend angängig, alte Funda¬
mente und Baumaterialien Verwendung finden. Während die Neueinteilung
des Baugeländes und des Straßennetzes sowie eine Anleitung zur Erzielung
besser abgegrenzter Freiflächen und Baugrundstücke in den kleineren Städten
erforderlich ist. spielt diese Maßnahme in den ländlichen Bezirken keine Rolle


Grundzüge für den tviedcrcmfbau Gstpreußens

Was zunächst den Städtebau in Ostpreußen betrifft, so war bisher be¬
sonders in den Klein- und Mittelstädten die Tatsache von ausschlaggebender
Bedeutung, daß fast alle Stadtsiedlungen in den letzten Jahrzehnten nicht nur
keinen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen, vielmehr einen zum Teil erhebliche«
Rückgang der Einwohnerzahl zu beklagen hatten. Hierfür war hauptsächlich
der Mangel eines nennenswerten Durchgangsverkehrs infolge Fehlens be¬
deutender Bahn- und Schiffahrtswege verantwortlich zu machen. Die Städte
des Ostens zeigen in ihrer Anlage häufig keinen lebenden Organismus, sondern
eine aus deu jeweiligen Bedürfnissen hervorgegangene leblose Agglomeration.
Wo in den letzten vierzig Jahren überhaupt eine bemerkenswerte Bautätigkeit
einsetzte, machte sich der geschmacklose Baustil der Gründerzeit und der Nachfolge¬
periode mit seinen häßlichen Stuckfassaden und unschönen Dachformen in auf¬
dringlicher Weise breit, und wirkt in den Kleinstädter um so verletzender auf das
Auge, als er für großstädtische Linealstraßen zugeschnitten ist. Zum Teil weisen
die Gebäude jedoch eine bescheidene, gefällige Bauform, oft aber auch ärmliche und
mangelhafte Ausführung und armselige Ausstattung auf, so daß sie in anderer
Hinsicht eine Verschandelung des Städtebildes bewirken. Bisher war trotzdem
die Häßlichkeit der Bauformen das kleinere Übel gegenüber der beklagenswerte;«
wirtschaftlichen Unzweckmäßigkeit der Bauanlagen. An diesen Mißständen trug
vor allem die sachliche Unkenntnis sowohl des Bauunternehmers wie auch des
Bauherr» und die Skrupellosigkeit des ersteren die Schuld. Der Grundstücks¬
besitzer suchte einfach den ihm persönlich bekannten Unternehmer und Hand¬
werksmeister auf und übertrug ihm aus freundnachbarlichen Rücksichten ohne
wesentliche Vorbehalte die Ausführung des Projekts, nachdem die Baupolizei
wenigstens den gröbsten Unfug verhindert hatte. Es fehlte hier, abgesehen vo«
der mangelhaften Anwendung der kleinstädtischen und ländlichen Baupolizei¬
verordnungen, an einer ausreichenden, wirklich sachkundigen Beratung bei Auf¬
stellung und Durchführung der Baupläne. Seitdem in den letzten Jahren in
einzelnen Kreisstädten die Baupolizeioerordnungen revidiert worden waren und
und öffentliche Bauberatungsstellen ins Leben traten, ist diesem Übelstand wirksam
gesteuert worden. Dies gilt auch für das platte Land, da die Bauberatuug
durch die Landwirtschaftskammer und die Landesoersicherungsanstalt, die sich
durch Beleihung der Grundstücke ein Recht auf Mitbestimmung der verständigen
Ausgestaltung der Wohn- und Wirtschaftsbauten erworben haben, ausgeübt wird.

Auch im Bewußtsein der großen Dankesschuld, die ganz Deutschland seinem
Grenzland abzutragen freudig bereit ist, darf nicht im Bausch und Bogen
und unter Mißbrauch des Schlagwortes „Großzügigkeit" en bloc projektiert
und gebaut werden, vielmehr müssen, soweit dies irgend angängig, alte Funda¬
mente und Baumaterialien Verwendung finden. Während die Neueinteilung
des Baugeländes und des Straßennetzes sowie eine Anleitung zur Erzielung
besser abgegrenzter Freiflächen und Baugrundstücke in den kleineren Städten
erforderlich ist. spielt diese Maßnahme in den ländlichen Bezirken keine Rolle


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[0119] Grundzüge für den tviedcrcmfbau Gstpreußens Was zunächst den Städtebau in Ostpreußen betrifft, so war bisher be¬ sonders in den Klein- und Mittelstädten die Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung, daß fast alle Stadtsiedlungen in den letzten Jahrzehnten nicht nur keinen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen, vielmehr einen zum Teil erhebliche« Rückgang der Einwohnerzahl zu beklagen hatten. Hierfür war hauptsächlich der Mangel eines nennenswerten Durchgangsverkehrs infolge Fehlens be¬ deutender Bahn- und Schiffahrtswege verantwortlich zu machen. Die Städte des Ostens zeigen in ihrer Anlage häufig keinen lebenden Organismus, sondern eine aus deu jeweiligen Bedürfnissen hervorgegangene leblose Agglomeration. Wo in den letzten vierzig Jahren überhaupt eine bemerkenswerte Bautätigkeit einsetzte, machte sich der geschmacklose Baustil der Gründerzeit und der Nachfolge¬ periode mit seinen häßlichen Stuckfassaden und unschönen Dachformen in auf¬ dringlicher Weise breit, und wirkt in den Kleinstädter um so verletzender auf das Auge, als er für großstädtische Linealstraßen zugeschnitten ist. Zum Teil weisen die Gebäude jedoch eine bescheidene, gefällige Bauform, oft aber auch ärmliche und mangelhafte Ausführung und armselige Ausstattung auf, so daß sie in anderer Hinsicht eine Verschandelung des Städtebildes bewirken. Bisher war trotzdem die Häßlichkeit der Bauformen das kleinere Übel gegenüber der beklagenswerte;« wirtschaftlichen Unzweckmäßigkeit der Bauanlagen. An diesen Mißständen trug vor allem die sachliche Unkenntnis sowohl des Bauunternehmers wie auch des Bauherr» und die Skrupellosigkeit des ersteren die Schuld. Der Grundstücks¬ besitzer suchte einfach den ihm persönlich bekannten Unternehmer und Hand¬ werksmeister auf und übertrug ihm aus freundnachbarlichen Rücksichten ohne wesentliche Vorbehalte die Ausführung des Projekts, nachdem die Baupolizei wenigstens den gröbsten Unfug verhindert hatte. Es fehlte hier, abgesehen vo« der mangelhaften Anwendung der kleinstädtischen und ländlichen Baupolizei¬ verordnungen, an einer ausreichenden, wirklich sachkundigen Beratung bei Auf¬ stellung und Durchführung der Baupläne. Seitdem in den letzten Jahren in einzelnen Kreisstädten die Baupolizeioerordnungen revidiert worden waren und und öffentliche Bauberatungsstellen ins Leben traten, ist diesem Übelstand wirksam gesteuert worden. Dies gilt auch für das platte Land, da die Bauberatuug durch die Landwirtschaftskammer und die Landesoersicherungsanstalt, die sich durch Beleihung der Grundstücke ein Recht auf Mitbestimmung der verständigen Ausgestaltung der Wohn- und Wirtschaftsbauten erworben haben, ausgeübt wird. Auch im Bewußtsein der großen Dankesschuld, die ganz Deutschland seinem Grenzland abzutragen freudig bereit ist, darf nicht im Bausch und Bogen und unter Mißbrauch des Schlagwortes „Großzügigkeit" en bloc projektiert und gebaut werden, vielmehr müssen, soweit dies irgend angängig, alte Funda¬ mente und Baumaterialien Verwendung finden. Während die Neueinteilung des Baugeländes und des Straßennetzes sowie eine Anleitung zur Erzielung besser abgegrenzter Freiflächen und Baugrundstücke in den kleineren Städten erforderlich ist. spielt diese Maßnahme in den ländlichen Bezirken keine Rolle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/119>, abgerufen am 15.05.2024.