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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Grundzüge für den Wiederaufbau (Ostpreußens

selbständig veranstalten. Es ist kaum zweifelhaft, daß der Bundesrat dem
Antrag stattgeben wird.

Heute schon ausführlicher über die Zukunftsmöglichkeiten des ostpreußischen
Handels und der heimischen Industrie, deren bedeutendste Zweige die Getreide-
und Holzausfuhr sowie die Zellstosfabrikation, Zuckerraffinerie, Spiritus-,
Stärke-, Papierfabrikation, Bernsteinverarbeitung, Glashütten, Schiffbau, Eisen¬
werke usw. sind, zu sprechen, wäre müßig. Jedenfalls wird gerade Ostpreußen
an dem künftigen wirtschaftlichen Aufschwung hervorragend beteiligt sein, denn
es besitzt schon jetzt in östlicher Richtung drei Hauptbahnen internationalen
Charakters, deren eine die jetzigen Grenzorte Eydtkuhnen und Wirballen mit
den Ostseeprovinzen Rußlands und mit Petersburg verbindet, während die
Südbahn im Anschluß an russische Bahnen den direkten Verkehr über Profeten--
Grajewo bis zum Schwarzen Meer und über Altenstein--Soltau--Mlawa bis
Warschau vermittelt. Außerdem ist der Überseeverkehr von Königsberg aus
über den Seehasen Pillau, und von Memel aus schon vor dem Krieg bedeutend
gewesen. Von außerordentlicher Bedeutung ist schließlich auch ein seit langem
bestehendes Wasserstraßenprojekt, das dem preußischen Landtag zur Beschlu߬
fassung vorliegt und dessen Kosten auf 80 Millionen Mark veranschlagt sind.
Die vier größten der in den Berichten des Großen Hauptquartiers oft ge¬
nannten masurischen Seen im Süden der Provinz Ostpreußen, der Rösch-,
Spirding-, Löwentin- und Mauersee sind bereits untereinander durch den (noch
nicht vollendeten) "Masurischen Kanal", und direkt mit der Provinzialhauptstadt
Königsberg verbunden. Der geplante große "Ostseekcmal" soll nun im Anschluß
an den "Masurischen Kanal" eine direkte Wasserstraße von dem südöstlichsten
Ort Johannisburg in ostwestlicher Richtung bis nach Deutsch-Eylau bilden, eine
Länge von 300 Kilometer, eine Breite von 23,4 Meter und zehn Schleusen
erhalten, und bei Thorn in die Weichsel münden. Falls der beabsichtigte Bau
eines Kanals Magdeburg--Hannover ausgeführt, und die Absicht, den Ober
pregel bis Jnsterburg schiffbar zu machen, verwirklicht wird, so ist eine direkte
Wasserstraße durch ganz Deutschland geschaffen, womit übrigens ein Projekt
Napoleons verwirklicht würde, dem man kaum den Vorwurf der Kurzsichtigkeit
machen kann.

Nicht allein die Industrie, sondern auch die Landwirtschaft ist in der
Verwertung ihrer Produkte in größter Abhängigkeit von den Wasserwegen.
Ostpreußen produziert durchschnittlich 950000 Tonnen Brodgetreide, wovon
bisher etwa 550000 bis 600000 Tonnen nach dem Auslande ausgeführt
wurden, und zwar zu niederen Preisen, als wir ausländisches Getreide ein¬
führen, während der deutsche Landwirt für die Tonne Getreide 5 bis 10 Mark
mehr erzielen könnte, wenn sein Produkt im Inland verbraucht würde. Auf
dem Bahnwege ist das nicht zu erreichen, jedoch mit Leichtigkeit bei der Wasser¬
fracht, denn bei Bahnfracht würde sich zum Beispiel die Tonne Getreide von
Altenstein nach Dortmund auf 41,70 Mark stellen, beim Wassertransport hin-


Grundzüge für den Wiederaufbau (Ostpreußens

selbständig veranstalten. Es ist kaum zweifelhaft, daß der Bundesrat dem
Antrag stattgeben wird.

Heute schon ausführlicher über die Zukunftsmöglichkeiten des ostpreußischen
Handels und der heimischen Industrie, deren bedeutendste Zweige die Getreide-
und Holzausfuhr sowie die Zellstosfabrikation, Zuckerraffinerie, Spiritus-,
Stärke-, Papierfabrikation, Bernsteinverarbeitung, Glashütten, Schiffbau, Eisen¬
werke usw. sind, zu sprechen, wäre müßig. Jedenfalls wird gerade Ostpreußen
an dem künftigen wirtschaftlichen Aufschwung hervorragend beteiligt sein, denn
es besitzt schon jetzt in östlicher Richtung drei Hauptbahnen internationalen
Charakters, deren eine die jetzigen Grenzorte Eydtkuhnen und Wirballen mit
den Ostseeprovinzen Rußlands und mit Petersburg verbindet, während die
Südbahn im Anschluß an russische Bahnen den direkten Verkehr über Profeten—
Grajewo bis zum Schwarzen Meer und über Altenstein—Soltau—Mlawa bis
Warschau vermittelt. Außerdem ist der Überseeverkehr von Königsberg aus
über den Seehasen Pillau, und von Memel aus schon vor dem Krieg bedeutend
gewesen. Von außerordentlicher Bedeutung ist schließlich auch ein seit langem
bestehendes Wasserstraßenprojekt, das dem preußischen Landtag zur Beschlu߬
fassung vorliegt und dessen Kosten auf 80 Millionen Mark veranschlagt sind.
Die vier größten der in den Berichten des Großen Hauptquartiers oft ge¬
nannten masurischen Seen im Süden der Provinz Ostpreußen, der Rösch-,
Spirding-, Löwentin- und Mauersee sind bereits untereinander durch den (noch
nicht vollendeten) „Masurischen Kanal", und direkt mit der Provinzialhauptstadt
Königsberg verbunden. Der geplante große „Ostseekcmal" soll nun im Anschluß
an den „Masurischen Kanal" eine direkte Wasserstraße von dem südöstlichsten
Ort Johannisburg in ostwestlicher Richtung bis nach Deutsch-Eylau bilden, eine
Länge von 300 Kilometer, eine Breite von 23,4 Meter und zehn Schleusen
erhalten, und bei Thorn in die Weichsel münden. Falls der beabsichtigte Bau
eines Kanals Magdeburg—Hannover ausgeführt, und die Absicht, den Ober
pregel bis Jnsterburg schiffbar zu machen, verwirklicht wird, so ist eine direkte
Wasserstraße durch ganz Deutschland geschaffen, womit übrigens ein Projekt
Napoleons verwirklicht würde, dem man kaum den Vorwurf der Kurzsichtigkeit
machen kann.

Nicht allein die Industrie, sondern auch die Landwirtschaft ist in der
Verwertung ihrer Produkte in größter Abhängigkeit von den Wasserwegen.
Ostpreußen produziert durchschnittlich 950000 Tonnen Brodgetreide, wovon
bisher etwa 550000 bis 600000 Tonnen nach dem Auslande ausgeführt
wurden, und zwar zu niederen Preisen, als wir ausländisches Getreide ein¬
führen, während der deutsche Landwirt für die Tonne Getreide 5 bis 10 Mark
mehr erzielen könnte, wenn sein Produkt im Inland verbraucht würde. Auf
dem Bahnwege ist das nicht zu erreichen, jedoch mit Leichtigkeit bei der Wasser¬
fracht, denn bei Bahnfracht würde sich zum Beispiel die Tonne Getreide von
Altenstein nach Dortmund auf 41,70 Mark stellen, beim Wassertransport hin-


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[0128] Grundzüge für den Wiederaufbau (Ostpreußens selbständig veranstalten. Es ist kaum zweifelhaft, daß der Bundesrat dem Antrag stattgeben wird. Heute schon ausführlicher über die Zukunftsmöglichkeiten des ostpreußischen Handels und der heimischen Industrie, deren bedeutendste Zweige die Getreide- und Holzausfuhr sowie die Zellstosfabrikation, Zuckerraffinerie, Spiritus-, Stärke-, Papierfabrikation, Bernsteinverarbeitung, Glashütten, Schiffbau, Eisen¬ werke usw. sind, zu sprechen, wäre müßig. Jedenfalls wird gerade Ostpreußen an dem künftigen wirtschaftlichen Aufschwung hervorragend beteiligt sein, denn es besitzt schon jetzt in östlicher Richtung drei Hauptbahnen internationalen Charakters, deren eine die jetzigen Grenzorte Eydtkuhnen und Wirballen mit den Ostseeprovinzen Rußlands und mit Petersburg verbindet, während die Südbahn im Anschluß an russische Bahnen den direkten Verkehr über Profeten— Grajewo bis zum Schwarzen Meer und über Altenstein—Soltau—Mlawa bis Warschau vermittelt. Außerdem ist der Überseeverkehr von Königsberg aus über den Seehasen Pillau, und von Memel aus schon vor dem Krieg bedeutend gewesen. Von außerordentlicher Bedeutung ist schließlich auch ein seit langem bestehendes Wasserstraßenprojekt, das dem preußischen Landtag zur Beschlu߬ fassung vorliegt und dessen Kosten auf 80 Millionen Mark veranschlagt sind. Die vier größten der in den Berichten des Großen Hauptquartiers oft ge¬ nannten masurischen Seen im Süden der Provinz Ostpreußen, der Rösch-, Spirding-, Löwentin- und Mauersee sind bereits untereinander durch den (noch nicht vollendeten) „Masurischen Kanal", und direkt mit der Provinzialhauptstadt Königsberg verbunden. Der geplante große „Ostseekcmal" soll nun im Anschluß an den „Masurischen Kanal" eine direkte Wasserstraße von dem südöstlichsten Ort Johannisburg in ostwestlicher Richtung bis nach Deutsch-Eylau bilden, eine Länge von 300 Kilometer, eine Breite von 23,4 Meter und zehn Schleusen erhalten, und bei Thorn in die Weichsel münden. Falls der beabsichtigte Bau eines Kanals Magdeburg—Hannover ausgeführt, und die Absicht, den Ober pregel bis Jnsterburg schiffbar zu machen, verwirklicht wird, so ist eine direkte Wasserstraße durch ganz Deutschland geschaffen, womit übrigens ein Projekt Napoleons verwirklicht würde, dem man kaum den Vorwurf der Kurzsichtigkeit machen kann. Nicht allein die Industrie, sondern auch die Landwirtschaft ist in der Verwertung ihrer Produkte in größter Abhängigkeit von den Wasserwegen. Ostpreußen produziert durchschnittlich 950000 Tonnen Brodgetreide, wovon bisher etwa 550000 bis 600000 Tonnen nach dem Auslande ausgeführt wurden, und zwar zu niederen Preisen, als wir ausländisches Getreide ein¬ führen, während der deutsche Landwirt für die Tonne Getreide 5 bis 10 Mark mehr erzielen könnte, wenn sein Produkt im Inland verbraucht würde. Auf dem Bahnwege ist das nicht zu erreichen, jedoch mit Leichtigkeit bei der Wasser¬ fracht, denn bei Bahnfracht würde sich zum Beispiel die Tonne Getreide von Altenstein nach Dortmund auf 41,70 Mark stellen, beim Wassertransport hin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/128>, abgerufen am 31.05.2024.