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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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stemmenden der fremden Staaten. Der Staat wächst solange, als ihm kein
unüberwindlicher Widerstand entgegenwirkt, wird aber, je leichter ihm das
Wachstum fällt, um so schwächer. So ist das alte Rom unter zu geringem
Widerstand der umwohnenden Völker zum Weltreich aufgequollen, dabei schlapp
und schwach geworden und schließlich bei lebendigem Leibe verfault. Gäbe es
auf der ganzen Erde nur einen Staat -- so gäbe es keinen Staat.

Es ist der ganz einzige Zustand Westeuropas, daß hier die sestgefügten
Gebilde so eng aneinander stoßen und so hart aufeinander drücken, daß jeder
Staat alle seine Kräfte zum Gegendruck aufbieten muß. Eine gewisse Elastizität
bestand noch, solange die Mitte Europas ein haltloser Haufe von Kleinstaaten
füllte. Seitdem sie aber ebenfalls zur Einheit sich zusammengeschlossen haben,
pressen die Kräfte eisern aufeinander; und Deutschland, als das Land der Mitte,
hat dabei den stärksten Druck auszuhalten. Dies nebenbei.

Es umfaßt also in Europa jeder Staat genau soviel Raum, wie er Macht
besitzt (was nicht nur geographisch aufzufassen ist), und je weiter die Teilung
der Erde vorwärts schreitet, desto enger stoßen die Mächte auch auf den anderen
Kontinenten aneinander. Bald wird es überall auf Erden so sein wie schon
jetzt bei uns. daß die Staaten bei jedem Nachlassen der inneren Spannung
sofort entsprechend zusammengedrückt werden. Dies ergibt den Zustand be¬
ständiger Überhitzung, in dem wir leben: ein fieberhafter Wettbewerb der fried¬
lichen, das heißt der werteschaffenden und aufbauenden Kräfte, um den not-
wendigen inneren Druck aufzubringen, und eine beständige Gefahr, das Kräfte¬
verhältnis miteinander zu messen und zu korrigieren, eine Gefahr, die sich
scheinbar alle vierzig bis fünfzig Jahre einmal entlädt.

Offenbar aber muß der Macht des Staates, die sich nach außen richtet, eine
Macht entsprechen, die sich nach innen, gegen die eigenen Staatsbürger kehrt und
die zahllosen, in Deutschland z. B. fünfundsechzig Millionen Einzelwillen zu
einem Gesamtwillen organisiert. Und offenbar stehen diese beiden Macht¬
äußerungen in der seltsamsten Wechselwirkung, indem die Staatsmacht nach
innen, das heißt die Unterwerfung oder Vereinigung aller Sonderinteressen
unter das Staatsinteresse, die Voraussetzung ist für eine Machtentfaltung nach
außen, zugleich aber die Bedrohung von außen her die Ursache ist einer Organisation
der Einzelkräfte und Individuen zu jenem Ganzen, das wir Staat nennen.

Ohne uns auf die schwierige Frage der langen, langen Entwicklung vom
Urmenschen und seiner Familie zum Staate einzulassen, wollen wir uns nur
vergegenwärtigen, worin seine Macht über seine Bürger besteht.

Obzwar ohne Zweifel der Staat als Organismus oder Maschinerie etwas
Abstraktes und Außermenschliches, vielleicht Übermenschliches hat. hängt doch
seine Möglichkeit daran, daß der reale Inhalt Menschen sind, und zwar eben¬
sosehr am Ewigmenschlichen wie an ihrem Allzumenschlichen.

Daß der einzelne sich dem Staate fügt und sogar -- er mag nun gerade diese
besondere Staatsform oder diesen Beamten oder diese Matzregel bekämpfen -- den


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stemmenden der fremden Staaten. Der Staat wächst solange, als ihm kein
unüberwindlicher Widerstand entgegenwirkt, wird aber, je leichter ihm das
Wachstum fällt, um so schwächer. So ist das alte Rom unter zu geringem
Widerstand der umwohnenden Völker zum Weltreich aufgequollen, dabei schlapp
und schwach geworden und schließlich bei lebendigem Leibe verfault. Gäbe es
auf der ganzen Erde nur einen Staat — so gäbe es keinen Staat.

Es ist der ganz einzige Zustand Westeuropas, daß hier die sestgefügten
Gebilde so eng aneinander stoßen und so hart aufeinander drücken, daß jeder
Staat alle seine Kräfte zum Gegendruck aufbieten muß. Eine gewisse Elastizität
bestand noch, solange die Mitte Europas ein haltloser Haufe von Kleinstaaten
füllte. Seitdem sie aber ebenfalls zur Einheit sich zusammengeschlossen haben,
pressen die Kräfte eisern aufeinander; und Deutschland, als das Land der Mitte,
hat dabei den stärksten Druck auszuhalten. Dies nebenbei.

Es umfaßt also in Europa jeder Staat genau soviel Raum, wie er Macht
besitzt (was nicht nur geographisch aufzufassen ist), und je weiter die Teilung
der Erde vorwärts schreitet, desto enger stoßen die Mächte auch auf den anderen
Kontinenten aneinander. Bald wird es überall auf Erden so sein wie schon
jetzt bei uns. daß die Staaten bei jedem Nachlassen der inneren Spannung
sofort entsprechend zusammengedrückt werden. Dies ergibt den Zustand be¬
ständiger Überhitzung, in dem wir leben: ein fieberhafter Wettbewerb der fried¬
lichen, das heißt der werteschaffenden und aufbauenden Kräfte, um den not-
wendigen inneren Druck aufzubringen, und eine beständige Gefahr, das Kräfte¬
verhältnis miteinander zu messen und zu korrigieren, eine Gefahr, die sich
scheinbar alle vierzig bis fünfzig Jahre einmal entlädt.

Offenbar aber muß der Macht des Staates, die sich nach außen richtet, eine
Macht entsprechen, die sich nach innen, gegen die eigenen Staatsbürger kehrt und
die zahllosen, in Deutschland z. B. fünfundsechzig Millionen Einzelwillen zu
einem Gesamtwillen organisiert. Und offenbar stehen diese beiden Macht¬
äußerungen in der seltsamsten Wechselwirkung, indem die Staatsmacht nach
innen, das heißt die Unterwerfung oder Vereinigung aller Sonderinteressen
unter das Staatsinteresse, die Voraussetzung ist für eine Machtentfaltung nach
außen, zugleich aber die Bedrohung von außen her die Ursache ist einer Organisation
der Einzelkräfte und Individuen zu jenem Ganzen, das wir Staat nennen.

Ohne uns auf die schwierige Frage der langen, langen Entwicklung vom
Urmenschen und seiner Familie zum Staate einzulassen, wollen wir uns nur
vergegenwärtigen, worin seine Macht über seine Bürger besteht.

Obzwar ohne Zweifel der Staat als Organismus oder Maschinerie etwas
Abstraktes und Außermenschliches, vielleicht Übermenschliches hat. hängt doch
seine Möglichkeit daran, daß der reale Inhalt Menschen sind, und zwar eben¬
sosehr am Ewigmenschlichen wie an ihrem Allzumenschlichen.

Daß der einzelne sich dem Staate fügt und sogar — er mag nun gerade diese
besondere Staatsform oder diesen Beamten oder diese Matzregel bekämpfen — den


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[0150] Ultims rslio rexis stemmenden der fremden Staaten. Der Staat wächst solange, als ihm kein unüberwindlicher Widerstand entgegenwirkt, wird aber, je leichter ihm das Wachstum fällt, um so schwächer. So ist das alte Rom unter zu geringem Widerstand der umwohnenden Völker zum Weltreich aufgequollen, dabei schlapp und schwach geworden und schließlich bei lebendigem Leibe verfault. Gäbe es auf der ganzen Erde nur einen Staat — so gäbe es keinen Staat. Es ist der ganz einzige Zustand Westeuropas, daß hier die sestgefügten Gebilde so eng aneinander stoßen und so hart aufeinander drücken, daß jeder Staat alle seine Kräfte zum Gegendruck aufbieten muß. Eine gewisse Elastizität bestand noch, solange die Mitte Europas ein haltloser Haufe von Kleinstaaten füllte. Seitdem sie aber ebenfalls zur Einheit sich zusammengeschlossen haben, pressen die Kräfte eisern aufeinander; und Deutschland, als das Land der Mitte, hat dabei den stärksten Druck auszuhalten. Dies nebenbei. Es umfaßt also in Europa jeder Staat genau soviel Raum, wie er Macht besitzt (was nicht nur geographisch aufzufassen ist), und je weiter die Teilung der Erde vorwärts schreitet, desto enger stoßen die Mächte auch auf den anderen Kontinenten aneinander. Bald wird es überall auf Erden so sein wie schon jetzt bei uns. daß die Staaten bei jedem Nachlassen der inneren Spannung sofort entsprechend zusammengedrückt werden. Dies ergibt den Zustand be¬ ständiger Überhitzung, in dem wir leben: ein fieberhafter Wettbewerb der fried¬ lichen, das heißt der werteschaffenden und aufbauenden Kräfte, um den not- wendigen inneren Druck aufzubringen, und eine beständige Gefahr, das Kräfte¬ verhältnis miteinander zu messen und zu korrigieren, eine Gefahr, die sich scheinbar alle vierzig bis fünfzig Jahre einmal entlädt. Offenbar aber muß der Macht des Staates, die sich nach außen richtet, eine Macht entsprechen, die sich nach innen, gegen die eigenen Staatsbürger kehrt und die zahllosen, in Deutschland z. B. fünfundsechzig Millionen Einzelwillen zu einem Gesamtwillen organisiert. Und offenbar stehen diese beiden Macht¬ äußerungen in der seltsamsten Wechselwirkung, indem die Staatsmacht nach innen, das heißt die Unterwerfung oder Vereinigung aller Sonderinteressen unter das Staatsinteresse, die Voraussetzung ist für eine Machtentfaltung nach außen, zugleich aber die Bedrohung von außen her die Ursache ist einer Organisation der Einzelkräfte und Individuen zu jenem Ganzen, das wir Staat nennen. Ohne uns auf die schwierige Frage der langen, langen Entwicklung vom Urmenschen und seiner Familie zum Staate einzulassen, wollen wir uns nur vergegenwärtigen, worin seine Macht über seine Bürger besteht. Obzwar ohne Zweifel der Staat als Organismus oder Maschinerie etwas Abstraktes und Außermenschliches, vielleicht Übermenschliches hat. hängt doch seine Möglichkeit daran, daß der reale Inhalt Menschen sind, und zwar eben¬ sosehr am Ewigmenschlichen wie an ihrem Allzumenschlichen. Daß der einzelne sich dem Staate fügt und sogar — er mag nun gerade diese besondere Staatsform oder diesen Beamten oder diese Matzregel bekämpfen — den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/150>, abgerufen am 10.06.2024.