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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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llltims ratio regis

Wer könnte diesen Mann zwingen anderer Meinung zu werden? Niemand.
Wenn er die Entscheidung der Waffen nicht anerkennen will, so ist kein Sieg
so groß und kein Sieger so mächtig, um ihm die Anerkennung abzutrotzen.
Und Deutschland mag sich diesem Erzfeind gegenüber allenfalls damit trösten,
daß seine Meinung nicht besonders wichtig ist.

Allein nun sind, von den Ansichten dieses Herrn abgesehen, fünf Milliarden
Kriegsentschädigung zu zahlen. Vermutlich lag dieses Geld nicht in den Staats¬
kassen, und die französische Regierung mußte, um ihrer Verpflichtung nach,
zukommen, eine allgemeine Steuer auflegen. Es kommt also höchstwahrscheinlich
auch zu unserem protestierenden Rentner der Steuereinnehmer und fordert seinen
Beitrag in barem Gelde, abgemessen nach seinem Gesamtbesitz und wohl einen
immerhin entbehrlichen Teil, aber ganz gewiß einen schmerzlichen Teil. Und
der also Bedrängte schlürft brummend und scheltend zum Geldkasten, schließt
' auf und zahlt auf Heller und Pfennig seinen Beitrag an Frankreichs Besiegtheit.

Warum tut er das? Es ist, seinen Gesinnungen zum Trotz, gar kein
Zweifel, daß er es tut. Denn er wird nicht riskieren, daß die Polizei kommt
und ihm das Seine mit Gewalt nimmt und noch einen straften obendrein. Aber
warum fährt die Polizei mit ihm so übel? Ihre Beamten sind doch auch keine
Deutschenfreunde und es liegt ihnen nichts daran, daß Deutschland seine vollen
fünf Milliarden erhält. Aber sie handeln diesmal zum Nutzen Deutschlands,
weil es ihnen ihr eigener französischer Vorgesetzter befohlen hat und weil, wenn
sie sich weigerten, sie entlassen würden und mit samt ihren Familien nichts zu
essen hätten. Der Polizeihauptmann aber hat es befohlen, weil er dem Land¬
rat gehorchen muß. Und so pflanzt es sich fort, aus der Breite des Volkes
bis dort hinauf, wo über den Frieden verhandelt worden ist und man sich vom
Sieger hat das Gesetz diktieren lassen müssen. Jeder hängt an dem Höheren
mit seiner ganzen bürgerlichen Existenz, und an der obersten Stelle hängt der
besiegte Staatsleiter an dem Sieger mit Blut und Leben, seinem eigenen und
dem seines Volkes.

Vielleicht klingt diese ganze Betrachtung sehr banal; aber sie bringt uns
auf den Weg der Lösung des großen Rätsels Krieg. Warum hat der Sieg
über das Heer Sinn und Wirksamkeit auch für den unbeteiligten Zivilisten, der
den Krieg ablehnt? Weil beide, das Heer und der Zivilist, Teile eines Staates
sind. Der Staat erst gibt dem Kriege Sinn; der Krieg ist nicht zu begreifen,
wenn wir nicht vorher den Staat begriffen haben. Versuchen wir also, uns
einen Begriff vom Staate zu machen, soweit es für unseren Zweck notwendig ist.




Der Sinn des Staates ist Macht. Der Staat ist genau so weit
wirklich und gerechtfertigt, wie seine Macht reicht. Sein Leben und Funk¬
tionieren deckt sich mit seiner Macht. Diese Machtsphäre ist das Resultat einer
Spannung: der eigenen nach außen wirkenden Kräfte und der sich dagegen


llltims ratio regis

Wer könnte diesen Mann zwingen anderer Meinung zu werden? Niemand.
Wenn er die Entscheidung der Waffen nicht anerkennen will, so ist kein Sieg
so groß und kein Sieger so mächtig, um ihm die Anerkennung abzutrotzen.
Und Deutschland mag sich diesem Erzfeind gegenüber allenfalls damit trösten,
daß seine Meinung nicht besonders wichtig ist.

Allein nun sind, von den Ansichten dieses Herrn abgesehen, fünf Milliarden
Kriegsentschädigung zu zahlen. Vermutlich lag dieses Geld nicht in den Staats¬
kassen, und die französische Regierung mußte, um ihrer Verpflichtung nach,
zukommen, eine allgemeine Steuer auflegen. Es kommt also höchstwahrscheinlich
auch zu unserem protestierenden Rentner der Steuereinnehmer und fordert seinen
Beitrag in barem Gelde, abgemessen nach seinem Gesamtbesitz und wohl einen
immerhin entbehrlichen Teil, aber ganz gewiß einen schmerzlichen Teil. Und
der also Bedrängte schlürft brummend und scheltend zum Geldkasten, schließt
' auf und zahlt auf Heller und Pfennig seinen Beitrag an Frankreichs Besiegtheit.

Warum tut er das? Es ist, seinen Gesinnungen zum Trotz, gar kein
Zweifel, daß er es tut. Denn er wird nicht riskieren, daß die Polizei kommt
und ihm das Seine mit Gewalt nimmt und noch einen straften obendrein. Aber
warum fährt die Polizei mit ihm so übel? Ihre Beamten sind doch auch keine
Deutschenfreunde und es liegt ihnen nichts daran, daß Deutschland seine vollen
fünf Milliarden erhält. Aber sie handeln diesmal zum Nutzen Deutschlands,
weil es ihnen ihr eigener französischer Vorgesetzter befohlen hat und weil, wenn
sie sich weigerten, sie entlassen würden und mit samt ihren Familien nichts zu
essen hätten. Der Polizeihauptmann aber hat es befohlen, weil er dem Land¬
rat gehorchen muß. Und so pflanzt es sich fort, aus der Breite des Volkes
bis dort hinauf, wo über den Frieden verhandelt worden ist und man sich vom
Sieger hat das Gesetz diktieren lassen müssen. Jeder hängt an dem Höheren
mit seiner ganzen bürgerlichen Existenz, und an der obersten Stelle hängt der
besiegte Staatsleiter an dem Sieger mit Blut und Leben, seinem eigenen und
dem seines Volkes.

Vielleicht klingt diese ganze Betrachtung sehr banal; aber sie bringt uns
auf den Weg der Lösung des großen Rätsels Krieg. Warum hat der Sieg
über das Heer Sinn und Wirksamkeit auch für den unbeteiligten Zivilisten, der
den Krieg ablehnt? Weil beide, das Heer und der Zivilist, Teile eines Staates
sind. Der Staat erst gibt dem Kriege Sinn; der Krieg ist nicht zu begreifen,
wenn wir nicht vorher den Staat begriffen haben. Versuchen wir also, uns
einen Begriff vom Staate zu machen, soweit es für unseren Zweck notwendig ist.




Der Sinn des Staates ist Macht. Der Staat ist genau so weit
wirklich und gerechtfertigt, wie seine Macht reicht. Sein Leben und Funk¬
tionieren deckt sich mit seiner Macht. Diese Machtsphäre ist das Resultat einer
Spannung: der eigenen nach außen wirkenden Kräfte und der sich dagegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/149>, abgerufen am 04.06.2024.