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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ultims rstio rexis

dauerte, und die französische Verwaltung leinen Gehorsam fand, so hätte das
Land zur Einöde gemacht und mit französischen Ansiedlern ein neuer Staat
aufgebaut werden müssen, und dann wäre jene förmliche Erklärung allerdings
überflüssig gewesen; aber Preußen zu seinem Willen zwingen hätte Frankreich
nicht können, wenn der König mit seinem Volke im Widerstand einig war bis
zum Tode und zur Vernichtung des Staates.

Dies ist eine bloße Konstruktion; jeder weiß, daß wir in Wirklichkeit, wenn
wir damals besiegt worden wären, es soweit nicht hätten kommen lassen. Widerstand
bis zur Selbstvernichtung ist zwar in der Geschichte nicht ohne Beispiel, wie der
Kampf Jerusalems gegen Rom; er kommt aber wohl nur als Kampf einer durch
eine Idee, und dann meist eine religiöse Idee, fanatisierten Minderheit vor.
In unserem Falle, da jene französische Forderung nur das Symbol des Streites
war, und der Kampf um die Macht der Staaten ging, hätte der Widerstand,
auch bei größtem Mut und Opfersinn, nicht bis zur Vernichtung des Staats¬
gebäudes führen dürfen. Mindestens nach Absetzung der Behörden, wahrscheinlich
schon nach Vernichtung des Heeres, ja schon nach seiner entscheidenden Niederlage
wäre man bereit gewesen, die Forderung zu erfüllen -- wenn der Sieger nicht
darauf verzichtet hätte; denn sie war nur ein Vorwand, und die durch den Sieg
entschiedene Verschiebung des Machtverhältnisses hätte sich auf ganz andere Weise
geäußert -- zum Beispiel durch die Verhinderung einer Einigung Deutschlands.

Also, was selbstverständlich klingt, aber nicht selbstverständlich ist: weil
es Staaten sind, die miteinander Krieg führen, und weil der Staat aus
Leuten besteht, die an Eigentum, Freiheit und Leben geschädigt werden können;
weil der Mensch die Anarchie verabscheut und die Ordnung will, darum ist der
Sieg über das Heer ein Sieg über die Nation. Und man muß noch hinzufügen:
je vollkommener die Staatsmaschine des Feindes arbeitet, desto leichter läßt sich der
Sieg realisieren. Wird sie durch den Krieg zertrümmert und die Ordnung in
Anarchie verwandelt, so ist mit dem Sieg über das Heer noch gar nichts ge¬
wonnen. Eine Menschenmasse vollends, die noch unterhalb jeder Staatsform
steht, kann man wohl bekämpfen, aber nicht mit ihr Krieg führen, und also
auch nicht sie besiegen.




Bisher haben wir die Armee einfach als das Instrument der Gewalt
angesehen. Sie ist aber zugleich mehr als ein bloßes Instrument. Durch ihre
Zahl drückt sie die Volksmenge des Staates aus, durch die Zahl im Verhältnis
zur gesamten Einwohnerschaft sowie durch die leibliche Beschaffenheit der Soldaten
die Volksgesundheit. In Gehorsam und Disziplin zeigt sich die Festigkeit des
Staatsorganismus, in Mut und Todesverachtung die ethischen Qualitäten, in
der Kriegsbegeisterung die Einigkeit des Staatswillens mit dem Volkswillen.
In der sorgfältigen Vorbereitung der Mobilmachung, der Bekleidung, Ausrüstung
und Bewaffnung, des Transports und der Verpflegung verrät sich Gewissen-


Ultims rstio rexis

dauerte, und die französische Verwaltung leinen Gehorsam fand, so hätte das
Land zur Einöde gemacht und mit französischen Ansiedlern ein neuer Staat
aufgebaut werden müssen, und dann wäre jene förmliche Erklärung allerdings
überflüssig gewesen; aber Preußen zu seinem Willen zwingen hätte Frankreich
nicht können, wenn der König mit seinem Volke im Widerstand einig war bis
zum Tode und zur Vernichtung des Staates.

Dies ist eine bloße Konstruktion; jeder weiß, daß wir in Wirklichkeit, wenn
wir damals besiegt worden wären, es soweit nicht hätten kommen lassen. Widerstand
bis zur Selbstvernichtung ist zwar in der Geschichte nicht ohne Beispiel, wie der
Kampf Jerusalems gegen Rom; er kommt aber wohl nur als Kampf einer durch
eine Idee, und dann meist eine religiöse Idee, fanatisierten Minderheit vor.
In unserem Falle, da jene französische Forderung nur das Symbol des Streites
war, und der Kampf um die Macht der Staaten ging, hätte der Widerstand,
auch bei größtem Mut und Opfersinn, nicht bis zur Vernichtung des Staats¬
gebäudes führen dürfen. Mindestens nach Absetzung der Behörden, wahrscheinlich
schon nach Vernichtung des Heeres, ja schon nach seiner entscheidenden Niederlage
wäre man bereit gewesen, die Forderung zu erfüllen — wenn der Sieger nicht
darauf verzichtet hätte; denn sie war nur ein Vorwand, und die durch den Sieg
entschiedene Verschiebung des Machtverhältnisses hätte sich auf ganz andere Weise
geäußert — zum Beispiel durch die Verhinderung einer Einigung Deutschlands.

Also, was selbstverständlich klingt, aber nicht selbstverständlich ist: weil
es Staaten sind, die miteinander Krieg führen, und weil der Staat aus
Leuten besteht, die an Eigentum, Freiheit und Leben geschädigt werden können;
weil der Mensch die Anarchie verabscheut und die Ordnung will, darum ist der
Sieg über das Heer ein Sieg über die Nation. Und man muß noch hinzufügen:
je vollkommener die Staatsmaschine des Feindes arbeitet, desto leichter läßt sich der
Sieg realisieren. Wird sie durch den Krieg zertrümmert und die Ordnung in
Anarchie verwandelt, so ist mit dem Sieg über das Heer noch gar nichts ge¬
wonnen. Eine Menschenmasse vollends, die noch unterhalb jeder Staatsform
steht, kann man wohl bekämpfen, aber nicht mit ihr Krieg führen, und also
auch nicht sie besiegen.




Bisher haben wir die Armee einfach als das Instrument der Gewalt
angesehen. Sie ist aber zugleich mehr als ein bloßes Instrument. Durch ihre
Zahl drückt sie die Volksmenge des Staates aus, durch die Zahl im Verhältnis
zur gesamten Einwohnerschaft sowie durch die leibliche Beschaffenheit der Soldaten
die Volksgesundheit. In Gehorsam und Disziplin zeigt sich die Festigkeit des
Staatsorganismus, in Mut und Todesverachtung die ethischen Qualitäten, in
der Kriegsbegeisterung die Einigkeit des Staatswillens mit dem Volkswillen.
In der sorgfältigen Vorbereitung der Mobilmachung, der Bekleidung, Ausrüstung
und Bewaffnung, des Transports und der Verpflegung verrät sich Gewissen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/154>, abgerufen am 31.05.2024.