Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ultima rs,tlo re-zih

der Wirkung, daß wir uns anfreunden, Kulturbündnisse schließen und von
einem gemeinsamen Europa träumen.

So wie mit fortschreitender Entwicklung Krieg und Frieden sich mehr und
mehr scheiden, so auch der Krieger vom Nichtkrieger. der Teil des Volkes, der
schützt, von dem, der geschützt werden muß. Logischerweise sollte also der
Weg vom Urzustand, wo jeder Mann ohne weiteres und als solcher schon Krieger
ist, zum Berufssoldaten führen. Daß dies nicht der Fall ist und wir statt
dessen die allgemeine Wehrpflicht haben, liegt gewiß nur daran, daß der Bedarf
an Soldaten während eines Krieges ungeheuer groß ist, während zugleich ihre
Verwendbarkeit zu den Ausnahmen gehört. Ein Berufsheer in der Stärke unseres
Feldheeres wäre wirtschaftlich unmöglich; übrigens auch unnötig, da bei der
Vollkommenheit unserer Waffen eine Lernzeit von ein bis drei Jahren genügt.
Aus diesen Gründen, und nicht wegen der mancherlei moralischen Vorteile der
allgemeinen Wehrpflicht, begnügen wir uns damit, daß nur der Kern des Heeres,
seine Lehrer und Führer Berufssoldaten sind.

Übrigens hat sich, trotzdem das Volk in seinem besten Teil mit dem Heer
identisch ist, die rein logisch zu erwartende Trennung von Militär und Zimt in
der Tat bis zum Komischen entwickelt, insofern die militärische Rangordnung
mit der bürgerlichen gar nichts zu tun hat und jeder "Angehörige des Beurlaubten¬
standes" quasi ein Doppelleben führt, dessen beide Hälften voneinander nichts
wissen. Der angesehene Universitätslehrer, der es nur zum Gefreiten gebracht
hat, steht in Uniform unter seinem Studenten, der bereits das Portepee
trägt, der als Kassenbote ztmlversorgte Feldwebel wird der Vorgesetzte seines
Bankdirektors usw. In den Tagen der Mobilmachung, als jeder nur nach seinem
militärischen Rang galt, vollzog sich eine soziale Umschichtung, die manchmal
sehr schmerzlich gewesen wäre, hätte man über der Gefahr des Ganzen an sich
selbst zu denken vermocht.




Wenn also der Staat, dessen Macht zwar nicht in der Gewalt besteht, aber
auf der Möglichkeit zur Gewalt beruht, gezwungen wird, von dieser Gewalt
Gebrauch zu machen: was kann er damit erreichen? Nehmen wir wieder das
historische Ereignis von 1870 zu Hilfe, setzen wir aber den Fall, daß nicht wir,
sondern Frankreich gesiegt hätte. Wie konnte es den König von Preußen zwingen,
eine Erklärung in bezug auf die spanische Kandidatur des Hohenzollern abzugeben,
wenn er sie nicht abgeben wollte? Gesetzt. Preußen wäre bei seiner Weigerung
geblieben auch -Nachdem die deutschen Truppen geschlagen waren, und der Krieg
wäre weitergegangen; gesetzt, die Weigerung wäre, einmütig im ganzen Volke,
aufrecht erhalten worden, auch wenn unsere Streitmacht völlig vernichtet, der
König gefangen genommen. Städte und Felder verwüstet, die Hauptstadt besetzt,
die widerstrebenden Beamten füsiliert, beseitigt und durch französische Beamte
ersetzt worden wären. Wenn der Widerstand des Volkes noch immer fort-


Ultima rs,tlo re-zih

der Wirkung, daß wir uns anfreunden, Kulturbündnisse schließen und von
einem gemeinsamen Europa träumen.

So wie mit fortschreitender Entwicklung Krieg und Frieden sich mehr und
mehr scheiden, so auch der Krieger vom Nichtkrieger. der Teil des Volkes, der
schützt, von dem, der geschützt werden muß. Logischerweise sollte also der
Weg vom Urzustand, wo jeder Mann ohne weiteres und als solcher schon Krieger
ist, zum Berufssoldaten führen. Daß dies nicht der Fall ist und wir statt
dessen die allgemeine Wehrpflicht haben, liegt gewiß nur daran, daß der Bedarf
an Soldaten während eines Krieges ungeheuer groß ist, während zugleich ihre
Verwendbarkeit zu den Ausnahmen gehört. Ein Berufsheer in der Stärke unseres
Feldheeres wäre wirtschaftlich unmöglich; übrigens auch unnötig, da bei der
Vollkommenheit unserer Waffen eine Lernzeit von ein bis drei Jahren genügt.
Aus diesen Gründen, und nicht wegen der mancherlei moralischen Vorteile der
allgemeinen Wehrpflicht, begnügen wir uns damit, daß nur der Kern des Heeres,
seine Lehrer und Führer Berufssoldaten sind.

Übrigens hat sich, trotzdem das Volk in seinem besten Teil mit dem Heer
identisch ist, die rein logisch zu erwartende Trennung von Militär und Zimt in
der Tat bis zum Komischen entwickelt, insofern die militärische Rangordnung
mit der bürgerlichen gar nichts zu tun hat und jeder „Angehörige des Beurlaubten¬
standes" quasi ein Doppelleben führt, dessen beide Hälften voneinander nichts
wissen. Der angesehene Universitätslehrer, der es nur zum Gefreiten gebracht
hat, steht in Uniform unter seinem Studenten, der bereits das Portepee
trägt, der als Kassenbote ztmlversorgte Feldwebel wird der Vorgesetzte seines
Bankdirektors usw. In den Tagen der Mobilmachung, als jeder nur nach seinem
militärischen Rang galt, vollzog sich eine soziale Umschichtung, die manchmal
sehr schmerzlich gewesen wäre, hätte man über der Gefahr des Ganzen an sich
selbst zu denken vermocht.




Wenn also der Staat, dessen Macht zwar nicht in der Gewalt besteht, aber
auf der Möglichkeit zur Gewalt beruht, gezwungen wird, von dieser Gewalt
Gebrauch zu machen: was kann er damit erreichen? Nehmen wir wieder das
historische Ereignis von 1870 zu Hilfe, setzen wir aber den Fall, daß nicht wir,
sondern Frankreich gesiegt hätte. Wie konnte es den König von Preußen zwingen,
eine Erklärung in bezug auf die spanische Kandidatur des Hohenzollern abzugeben,
wenn er sie nicht abgeben wollte? Gesetzt. Preußen wäre bei seiner Weigerung
geblieben auch -Nachdem die deutschen Truppen geschlagen waren, und der Krieg
wäre weitergegangen; gesetzt, die Weigerung wäre, einmütig im ganzen Volke,
aufrecht erhalten worden, auch wenn unsere Streitmacht völlig vernichtet, der
König gefangen genommen. Städte und Felder verwüstet, die Hauptstadt besetzt,
die widerstrebenden Beamten füsiliert, beseitigt und durch französische Beamte
ersetzt worden wären. Wenn der Widerstand des Volkes noch immer fort-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323250"/>
          <fw type="header" place="top"> Ultima rs,tlo re-zih</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_443" prev="#ID_442"> der Wirkung, daß wir uns anfreunden, Kulturbündnisse schließen und von<lb/>
einem gemeinsamen Europa träumen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_444"> So wie mit fortschreitender Entwicklung Krieg und Frieden sich mehr und<lb/>
mehr scheiden, so auch der Krieger vom Nichtkrieger. der Teil des Volkes, der<lb/>
schützt, von dem, der geschützt werden muß. Logischerweise sollte also der<lb/>
Weg vom Urzustand, wo jeder Mann ohne weiteres und als solcher schon Krieger<lb/>
ist, zum Berufssoldaten führen. Daß dies nicht der Fall ist und wir statt<lb/>
dessen die allgemeine Wehrpflicht haben, liegt gewiß nur daran, daß der Bedarf<lb/>
an Soldaten während eines Krieges ungeheuer groß ist, während zugleich ihre<lb/>
Verwendbarkeit zu den Ausnahmen gehört. Ein Berufsheer in der Stärke unseres<lb/>
Feldheeres wäre wirtschaftlich unmöglich; übrigens auch unnötig, da bei der<lb/>
Vollkommenheit unserer Waffen eine Lernzeit von ein bis drei Jahren genügt.<lb/>
Aus diesen Gründen, und nicht wegen der mancherlei moralischen Vorteile der<lb/>
allgemeinen Wehrpflicht, begnügen wir uns damit, daß nur der Kern des Heeres,<lb/>
seine Lehrer und Führer Berufssoldaten sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_445"> Übrigens hat sich, trotzdem das Volk in seinem besten Teil mit dem Heer<lb/>
identisch ist, die rein logisch zu erwartende Trennung von Militär und Zimt in<lb/>
der Tat bis zum Komischen entwickelt, insofern die militärische Rangordnung<lb/>
mit der bürgerlichen gar nichts zu tun hat und jeder &#x201E;Angehörige des Beurlaubten¬<lb/>
standes" quasi ein Doppelleben führt, dessen beide Hälften voneinander nichts<lb/>
wissen. Der angesehene Universitätslehrer, der es nur zum Gefreiten gebracht<lb/>
hat, steht in Uniform unter seinem Studenten, der bereits das Portepee<lb/>
trägt, der als Kassenbote ztmlversorgte Feldwebel wird der Vorgesetzte seines<lb/>
Bankdirektors usw. In den Tagen der Mobilmachung, als jeder nur nach seinem<lb/>
militärischen Rang galt, vollzog sich eine soziale Umschichtung, die manchmal<lb/>
sehr schmerzlich gewesen wäre, hätte man über der Gefahr des Ganzen an sich<lb/>
selbst zu denken vermocht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_446" next="#ID_447"> Wenn also der Staat, dessen Macht zwar nicht in der Gewalt besteht, aber<lb/>
auf der Möglichkeit zur Gewalt beruht, gezwungen wird, von dieser Gewalt<lb/>
Gebrauch zu machen: was kann er damit erreichen? Nehmen wir wieder das<lb/>
historische Ereignis von 1870 zu Hilfe, setzen wir aber den Fall, daß nicht wir,<lb/>
sondern Frankreich gesiegt hätte. Wie konnte es den König von Preußen zwingen,<lb/>
eine Erklärung in bezug auf die spanische Kandidatur des Hohenzollern abzugeben,<lb/>
wenn er sie nicht abgeben wollte? Gesetzt. Preußen wäre bei seiner Weigerung<lb/>
geblieben auch -Nachdem die deutschen Truppen geschlagen waren, und der Krieg<lb/>
wäre weitergegangen; gesetzt, die Weigerung wäre, einmütig im ganzen Volke,<lb/>
aufrecht erhalten worden, auch wenn unsere Streitmacht völlig vernichtet, der<lb/>
König gefangen genommen. Städte und Felder verwüstet, die Hauptstadt besetzt,<lb/>
die widerstrebenden Beamten füsiliert, beseitigt und durch französische Beamte<lb/>
ersetzt worden wären. Wenn der Widerstand des Volkes noch immer fort-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153] Ultima rs,tlo re-zih der Wirkung, daß wir uns anfreunden, Kulturbündnisse schließen und von einem gemeinsamen Europa träumen. So wie mit fortschreitender Entwicklung Krieg und Frieden sich mehr und mehr scheiden, so auch der Krieger vom Nichtkrieger. der Teil des Volkes, der schützt, von dem, der geschützt werden muß. Logischerweise sollte also der Weg vom Urzustand, wo jeder Mann ohne weiteres und als solcher schon Krieger ist, zum Berufssoldaten führen. Daß dies nicht der Fall ist und wir statt dessen die allgemeine Wehrpflicht haben, liegt gewiß nur daran, daß der Bedarf an Soldaten während eines Krieges ungeheuer groß ist, während zugleich ihre Verwendbarkeit zu den Ausnahmen gehört. Ein Berufsheer in der Stärke unseres Feldheeres wäre wirtschaftlich unmöglich; übrigens auch unnötig, da bei der Vollkommenheit unserer Waffen eine Lernzeit von ein bis drei Jahren genügt. Aus diesen Gründen, und nicht wegen der mancherlei moralischen Vorteile der allgemeinen Wehrpflicht, begnügen wir uns damit, daß nur der Kern des Heeres, seine Lehrer und Führer Berufssoldaten sind. Übrigens hat sich, trotzdem das Volk in seinem besten Teil mit dem Heer identisch ist, die rein logisch zu erwartende Trennung von Militär und Zimt in der Tat bis zum Komischen entwickelt, insofern die militärische Rangordnung mit der bürgerlichen gar nichts zu tun hat und jeder „Angehörige des Beurlaubten¬ standes" quasi ein Doppelleben führt, dessen beide Hälften voneinander nichts wissen. Der angesehene Universitätslehrer, der es nur zum Gefreiten gebracht hat, steht in Uniform unter seinem Studenten, der bereits das Portepee trägt, der als Kassenbote ztmlversorgte Feldwebel wird der Vorgesetzte seines Bankdirektors usw. In den Tagen der Mobilmachung, als jeder nur nach seinem militärischen Rang galt, vollzog sich eine soziale Umschichtung, die manchmal sehr schmerzlich gewesen wäre, hätte man über der Gefahr des Ganzen an sich selbst zu denken vermocht. Wenn also der Staat, dessen Macht zwar nicht in der Gewalt besteht, aber auf der Möglichkeit zur Gewalt beruht, gezwungen wird, von dieser Gewalt Gebrauch zu machen: was kann er damit erreichen? Nehmen wir wieder das historische Ereignis von 1870 zu Hilfe, setzen wir aber den Fall, daß nicht wir, sondern Frankreich gesiegt hätte. Wie konnte es den König von Preußen zwingen, eine Erklärung in bezug auf die spanische Kandidatur des Hohenzollern abzugeben, wenn er sie nicht abgeben wollte? Gesetzt. Preußen wäre bei seiner Weigerung geblieben auch -Nachdem die deutschen Truppen geschlagen waren, und der Krieg wäre weitergegangen; gesetzt, die Weigerung wäre, einmütig im ganzen Volke, aufrecht erhalten worden, auch wenn unsere Streitmacht völlig vernichtet, der König gefangen genommen. Städte und Felder verwüstet, die Hauptstadt besetzt, die widerstrebenden Beamten füsiliert, beseitigt und durch französische Beamte ersetzt worden wären. Wenn der Widerstand des Volkes noch immer fort-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/153
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/153>, abgerufen am 29.05.2024.