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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Italien am Scheidewege

folglich auch nicht die italienische, der wir ein legaler Schutz sind. Warum also
will es sich von uns und damit auch von Österreich trennen? Derselbe Bülow, der
Italien zur Vernunft bekehren soll, erklärte im September dieses Jahres dem
Herausgeber der Korrespondenz Norden: "Ich glaube, daß das italienische Volk
den schwersten Fehler seiner Geschichte begehen würde, wenn es sich durch englische,
französische und russische Einflüsterungen und Hetzereien verleiten ließe, eine
feindliche Haltung gegen Österreich-Ungarn einzunehmen. Eine Schwächung
Deutschlands würde auf die italienische Stellung im Mittelmeer und damit auf
die italienische Gesamtposition eine unvermeidliche und tiefgehende Wirkuug aus¬
üben, der Triumph des Panslawismus die italienische Kultur und das italienische
Volkstum in ganz anderer Weise bedrohen, als die Mißgriffe dieses oder jenes
Beamten in Südtirol oder Trieft I -- Ein Vorgehen Italiens gegen Österreich-
Ungarn nach jahrelanger Allianz wäre ein völkerrechtliches Unrecht, wie es die
Welt noch nicht-gesehen hat. Es wäre aber noch mehr als das. Hier träfe
das Wort von Tallenrand zu, das er nach der Erschießung des Herzogs von
Enghien sprach: .L'est plus qu'un crime, c'est une betisc/ Damit würde
das Tafeltuch zwischen Italien und Deutschland zerschnitten, würde die italienische
Weltstellung und Zukunft Augenblickserfolgen, hohlen Phrasen und lügenhaften
Versprechungen leichtherzig geopfert!" So sprach der Mann, der, ohne zu wissen,
daß er einst noch berufen sein würde, Italien vor einem unheilbaren Irrtume
zu bewahren, schon lange voraus erkannt hatte, wo hinaus Italien wollte.

Wir stehen, wie schon wiederholt in der Weltgeschichte, vor einer Wendung
der Dinge in Italien. Nur ein völlig Blinder und Vertrauensseliger könnte
diese sich uns immer stärker aufdrängende Gewißheit leugnen wollen. Italien
nimmt immer mehr die Maske einer Sphinx an, aus der Zukünftiges nicht
herauszulesen ist; Italien selbst vermag das nicht einmal. Es folgt im kritischen
Augenblick, der nicht ausbleiben kann, verhütet ihn nicht schließlich doch die
staatsmännische Gewandtheit unseres Bülow. seiner impulsiver Natur, die den
Dolch zieht, den der Italiener auch in: privaten Leben meuchlings zuckt, wenn
er plötzlich rot sieht. Wir sehen ganz Italien jetzt in zwei große Lager geteilt:
in das der Unvernünftigen und Vernünftigen, in das der Nationalisten und
Jrredentisten, als der Unvernünftigen auf der einen Seite, in das der Kon¬
servativen, Klerikalen und Intellektuellen -- im politischen Sinne -- als der
Vernünftigen und Besonnenen auf der anderen Seite. Beide aber eint ein
innerliches Band, das des Nationalgefühls, nur die große Frage: wie geben wir
diesem Ausdruck, wie ziehen wir aus den heutigen Umständen die beste Gewähr
für eine bessere Abrundung unseres Territorialgebietes, scheidet die Meinungen.
Beide haben denselben Erbfeind. Er heißt Österreich und er ist, "leider" sagen
sie, unser Verbündeter. Wir sehen Jrredentisten und Freimaurer, letztere unter
Führung ihres Oberhauptes Ernesto Nathan. Exbürgermeister von Rom,
wühlen, um dazu beizutragen, daß Mazzinis veralteter Ausspruch, ein
großes slawisches Reich wäre Italiens Heil, sich erfülle. Sie verweisen


Italien am Scheidewege

folglich auch nicht die italienische, der wir ein legaler Schutz sind. Warum also
will es sich von uns und damit auch von Österreich trennen? Derselbe Bülow, der
Italien zur Vernunft bekehren soll, erklärte im September dieses Jahres dem
Herausgeber der Korrespondenz Norden: „Ich glaube, daß das italienische Volk
den schwersten Fehler seiner Geschichte begehen würde, wenn es sich durch englische,
französische und russische Einflüsterungen und Hetzereien verleiten ließe, eine
feindliche Haltung gegen Österreich-Ungarn einzunehmen. Eine Schwächung
Deutschlands würde auf die italienische Stellung im Mittelmeer und damit auf
die italienische Gesamtposition eine unvermeidliche und tiefgehende Wirkuug aus¬
üben, der Triumph des Panslawismus die italienische Kultur und das italienische
Volkstum in ganz anderer Weise bedrohen, als die Mißgriffe dieses oder jenes
Beamten in Südtirol oder Trieft I — Ein Vorgehen Italiens gegen Österreich-
Ungarn nach jahrelanger Allianz wäre ein völkerrechtliches Unrecht, wie es die
Welt noch nicht-gesehen hat. Es wäre aber noch mehr als das. Hier träfe
das Wort von Tallenrand zu, das er nach der Erschießung des Herzogs von
Enghien sprach: .L'est plus qu'un crime, c'est une betisc/ Damit würde
das Tafeltuch zwischen Italien und Deutschland zerschnitten, würde die italienische
Weltstellung und Zukunft Augenblickserfolgen, hohlen Phrasen und lügenhaften
Versprechungen leichtherzig geopfert!" So sprach der Mann, der, ohne zu wissen,
daß er einst noch berufen sein würde, Italien vor einem unheilbaren Irrtume
zu bewahren, schon lange voraus erkannt hatte, wo hinaus Italien wollte.

Wir stehen, wie schon wiederholt in der Weltgeschichte, vor einer Wendung
der Dinge in Italien. Nur ein völlig Blinder und Vertrauensseliger könnte
diese sich uns immer stärker aufdrängende Gewißheit leugnen wollen. Italien
nimmt immer mehr die Maske einer Sphinx an, aus der Zukünftiges nicht
herauszulesen ist; Italien selbst vermag das nicht einmal. Es folgt im kritischen
Augenblick, der nicht ausbleiben kann, verhütet ihn nicht schließlich doch die
staatsmännische Gewandtheit unseres Bülow. seiner impulsiver Natur, die den
Dolch zieht, den der Italiener auch in: privaten Leben meuchlings zuckt, wenn
er plötzlich rot sieht. Wir sehen ganz Italien jetzt in zwei große Lager geteilt:
in das der Unvernünftigen und Vernünftigen, in das der Nationalisten und
Jrredentisten, als der Unvernünftigen auf der einen Seite, in das der Kon¬
servativen, Klerikalen und Intellektuellen — im politischen Sinne — als der
Vernünftigen und Besonnenen auf der anderen Seite. Beide aber eint ein
innerliches Band, das des Nationalgefühls, nur die große Frage: wie geben wir
diesem Ausdruck, wie ziehen wir aus den heutigen Umständen die beste Gewähr
für eine bessere Abrundung unseres Territorialgebietes, scheidet die Meinungen.
Beide haben denselben Erbfeind. Er heißt Österreich und er ist, „leider" sagen
sie, unser Verbündeter. Wir sehen Jrredentisten und Freimaurer, letztere unter
Führung ihres Oberhauptes Ernesto Nathan. Exbürgermeister von Rom,
wühlen, um dazu beizutragen, daß Mazzinis veralteter Ausspruch, ein
großes slawisches Reich wäre Italiens Heil, sich erfülle. Sie verweisen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/17>, abgerufen am 16.05.2024.