Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ziele des Arieqes

werde, als es bisher war; denn es gibt nur dies oder ein Zurücksinken zu einer
Macht zweiten Ranges; ein Drittes, ein Stehenbleiben auf dem bisherigen
Standpunkt, gibt es nicht mehr.

Die Klarheit dieses Gedankens, die Gerechtigkeit dieser Forderung sollte
nicht verdunkelt werden durch Erörterungen über die Schuldfrage an der Ent¬
stehung dieses Krieges. Wer Deutschland nur als den Überfallenen. als in der
Notwehr befindlich hinstellt, der übersteht leicht, daß es eine gerechte Forderung
geltend zu machen und durchzusetzen hatte und in dieser Beziehung denen, die
ihm den Eintritt in die Reihe der Großmächte verwehren wollten, als Angreifer
erscheinen muß. Daß unsere Feinde uns diese Ansprüche verwehrt und so den
Krieg heraufbeschworen haben, wird die Geschichte ebenso lehren, wie die andere
Tatsache, daß der Krieg eine innere Notwendigkeit war. Uns ziemt es jetzt
nicht, uns als verfolgte Unschuld hinzustellen. Frei und mannhaft müssen wir
unsere Forderungen bekennen und durchfechten.

Welches aber sind unsere Forderungen? Deutschland als Weltmacht; das
ist die theoretische Forderung. Welches aber sind die praktisch zu stellenden
Forderungen? Über sie Klarheit zu gewinnen, ist jedes einzelnen dringende
Pflicht. Nur dann kann der Krieg, getragen von der Einigkeit des ganzen
Volkes, zu gutem Ende geführt werden, wenn ein jeder auf diese Frage klare
Antwort zu geben vermag. Nicht genügen allgemeine Antworten, wie diese:
bis alle unsere Feinde vernichtet sind; oder: wir müssen so siegen, daß die
Wiederkehr eines solchen Krieges für absehbare Zeiten unmöglich gemacht ist.
Diese oft gehörten Sätze können nur zu Enttäuschungen Anlaß geben. Denn
zunächst setzen sie als Ziel des Krieges eine Verneinung voraus, während eine
starke Hervorhebung unserer Forderung, also eine Bejahung vonnöten ist. Sodann
täuschen sie darüber hinweg, daß es kaum möglich ist, ein Volk so niederzuringen,
daß ihm die erneute Führung eines Krieges für länger als zehn Jahre unmöglich
wird. Selbst Napoleon konnte Preußen 1306/13 nicht so vernichten, daß er
dessen Erhebung im Jahre 1313 hätte verhindern können. Aber auch abgesehen
von dieser in der Weltgeschichte einzig dastehenden Leistung: selbst Frankreich,
1870/71 militärisch und wirtschaftlich aufs äußerste geschwächt, war schon Ende
der siebziger Jahre (Fall Schnaebele) in der Lage, eine aggressive kriegsdrohende
Politik zu treiben. Die Verhinderung zukünftiger Kriege ist nicht so sehr die
Pflicht des Soldaten, wie die des Staatsmannes, der durch kluge Bündnispolitik,
klare Begrenzung erreichbarer Ziele und durch deren unbeirrte Verfolgung
jedem Angreifer das Vergebliche seiner feindlichen Absichten vor Augen führt.
Man hätte glauben sollen, daß diese Aufgabe für deutsche Staatsmänner eine
besonders leichte gewesen wäre. Denn kaum ein Volk vermag zu seinen und
seiner Freunde Gunsten so viel in die Wagschale zu werfen, wie das deutsche.
Die Erfahrung hat nun gelehrt, daß die Kaunitzsche Koalition, die gegen das
kleine, aufstrebende Preußen Friedrichs des Großen möglich wurde, als es seine
Hand nach Schlesien ausstreckte, sich gegen das mächtige, neue Deutschland er-


Ziele des Arieqes

werde, als es bisher war; denn es gibt nur dies oder ein Zurücksinken zu einer
Macht zweiten Ranges; ein Drittes, ein Stehenbleiben auf dem bisherigen
Standpunkt, gibt es nicht mehr.

Die Klarheit dieses Gedankens, die Gerechtigkeit dieser Forderung sollte
nicht verdunkelt werden durch Erörterungen über die Schuldfrage an der Ent¬
stehung dieses Krieges. Wer Deutschland nur als den Überfallenen. als in der
Notwehr befindlich hinstellt, der übersteht leicht, daß es eine gerechte Forderung
geltend zu machen und durchzusetzen hatte und in dieser Beziehung denen, die
ihm den Eintritt in die Reihe der Großmächte verwehren wollten, als Angreifer
erscheinen muß. Daß unsere Feinde uns diese Ansprüche verwehrt und so den
Krieg heraufbeschworen haben, wird die Geschichte ebenso lehren, wie die andere
Tatsache, daß der Krieg eine innere Notwendigkeit war. Uns ziemt es jetzt
nicht, uns als verfolgte Unschuld hinzustellen. Frei und mannhaft müssen wir
unsere Forderungen bekennen und durchfechten.

Welches aber sind unsere Forderungen? Deutschland als Weltmacht; das
ist die theoretische Forderung. Welches aber sind die praktisch zu stellenden
Forderungen? Über sie Klarheit zu gewinnen, ist jedes einzelnen dringende
Pflicht. Nur dann kann der Krieg, getragen von der Einigkeit des ganzen
Volkes, zu gutem Ende geführt werden, wenn ein jeder auf diese Frage klare
Antwort zu geben vermag. Nicht genügen allgemeine Antworten, wie diese:
bis alle unsere Feinde vernichtet sind; oder: wir müssen so siegen, daß die
Wiederkehr eines solchen Krieges für absehbare Zeiten unmöglich gemacht ist.
Diese oft gehörten Sätze können nur zu Enttäuschungen Anlaß geben. Denn
zunächst setzen sie als Ziel des Krieges eine Verneinung voraus, während eine
starke Hervorhebung unserer Forderung, also eine Bejahung vonnöten ist. Sodann
täuschen sie darüber hinweg, daß es kaum möglich ist, ein Volk so niederzuringen,
daß ihm die erneute Führung eines Krieges für länger als zehn Jahre unmöglich
wird. Selbst Napoleon konnte Preußen 1306/13 nicht so vernichten, daß er
dessen Erhebung im Jahre 1313 hätte verhindern können. Aber auch abgesehen
von dieser in der Weltgeschichte einzig dastehenden Leistung: selbst Frankreich,
1870/71 militärisch und wirtschaftlich aufs äußerste geschwächt, war schon Ende
der siebziger Jahre (Fall Schnaebele) in der Lage, eine aggressive kriegsdrohende
Politik zu treiben. Die Verhinderung zukünftiger Kriege ist nicht so sehr die
Pflicht des Soldaten, wie die des Staatsmannes, der durch kluge Bündnispolitik,
klare Begrenzung erreichbarer Ziele und durch deren unbeirrte Verfolgung
jedem Angreifer das Vergebliche seiner feindlichen Absichten vor Augen führt.
Man hätte glauben sollen, daß diese Aufgabe für deutsche Staatsmänner eine
besonders leichte gewesen wäre. Denn kaum ein Volk vermag zu seinen und
seiner Freunde Gunsten so viel in die Wagschale zu werfen, wie das deutsche.
Die Erfahrung hat nun gelehrt, daß die Kaunitzsche Koalition, die gegen das
kleine, aufstrebende Preußen Friedrichs des Großen möglich wurde, als es seine
Hand nach Schlesien ausstreckte, sich gegen das mächtige, neue Deutschland er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323271"/>
          <fw type="header" place="top"> Ziele des Arieqes</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_495" prev="#ID_494"> werde, als es bisher war; denn es gibt nur dies oder ein Zurücksinken zu einer<lb/>
Macht zweiten Ranges; ein Drittes, ein Stehenbleiben auf dem bisherigen<lb/>
Standpunkt, gibt es nicht mehr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_496"> Die Klarheit dieses Gedankens, die Gerechtigkeit dieser Forderung sollte<lb/>
nicht verdunkelt werden durch Erörterungen über die Schuldfrage an der Ent¬<lb/>
stehung dieses Krieges. Wer Deutschland nur als den Überfallenen. als in der<lb/>
Notwehr befindlich hinstellt, der übersteht leicht, daß es eine gerechte Forderung<lb/>
geltend zu machen und durchzusetzen hatte und in dieser Beziehung denen, die<lb/>
ihm den Eintritt in die Reihe der Großmächte verwehren wollten, als Angreifer<lb/>
erscheinen muß. Daß unsere Feinde uns diese Ansprüche verwehrt und so den<lb/>
Krieg heraufbeschworen haben, wird die Geschichte ebenso lehren, wie die andere<lb/>
Tatsache, daß der Krieg eine innere Notwendigkeit war. Uns ziemt es jetzt<lb/>
nicht, uns als verfolgte Unschuld hinzustellen. Frei und mannhaft müssen wir<lb/>
unsere Forderungen bekennen und durchfechten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_497" next="#ID_498"> Welches aber sind unsere Forderungen? Deutschland als Weltmacht; das<lb/>
ist die theoretische Forderung. Welches aber sind die praktisch zu stellenden<lb/>
Forderungen? Über sie Klarheit zu gewinnen, ist jedes einzelnen dringende<lb/>
Pflicht. Nur dann kann der Krieg, getragen von der Einigkeit des ganzen<lb/>
Volkes, zu gutem Ende geführt werden, wenn ein jeder auf diese Frage klare<lb/>
Antwort zu geben vermag. Nicht genügen allgemeine Antworten, wie diese:<lb/>
bis alle unsere Feinde vernichtet sind; oder: wir müssen so siegen, daß die<lb/>
Wiederkehr eines solchen Krieges für absehbare Zeiten unmöglich gemacht ist.<lb/>
Diese oft gehörten Sätze können nur zu Enttäuschungen Anlaß geben. Denn<lb/>
zunächst setzen sie als Ziel des Krieges eine Verneinung voraus, während eine<lb/>
starke Hervorhebung unserer Forderung, also eine Bejahung vonnöten ist. Sodann<lb/>
täuschen sie darüber hinweg, daß es kaum möglich ist, ein Volk so niederzuringen,<lb/>
daß ihm die erneute Führung eines Krieges für länger als zehn Jahre unmöglich<lb/>
wird. Selbst Napoleon konnte Preußen 1306/13 nicht so vernichten, daß er<lb/>
dessen Erhebung im Jahre 1313 hätte verhindern können. Aber auch abgesehen<lb/>
von dieser in der Weltgeschichte einzig dastehenden Leistung: selbst Frankreich,<lb/>
1870/71 militärisch und wirtschaftlich aufs äußerste geschwächt, war schon Ende<lb/>
der siebziger Jahre (Fall Schnaebele) in der Lage, eine aggressive kriegsdrohende<lb/>
Politik zu treiben. Die Verhinderung zukünftiger Kriege ist nicht so sehr die<lb/>
Pflicht des Soldaten, wie die des Staatsmannes, der durch kluge Bündnispolitik,<lb/>
klare Begrenzung erreichbarer Ziele und durch deren unbeirrte Verfolgung<lb/>
jedem Angreifer das Vergebliche seiner feindlichen Absichten vor Augen führt.<lb/>
Man hätte glauben sollen, daß diese Aufgabe für deutsche Staatsmänner eine<lb/>
besonders leichte gewesen wäre. Denn kaum ein Volk vermag zu seinen und<lb/>
seiner Freunde Gunsten so viel in die Wagschale zu werfen, wie das deutsche.<lb/>
Die Erfahrung hat nun gelehrt, daß die Kaunitzsche Koalition, die gegen das<lb/>
kleine, aufstrebende Preußen Friedrichs des Großen möglich wurde, als es seine<lb/>
Hand nach Schlesien ausstreckte, sich gegen das mächtige, neue Deutschland er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] Ziele des Arieqes werde, als es bisher war; denn es gibt nur dies oder ein Zurücksinken zu einer Macht zweiten Ranges; ein Drittes, ein Stehenbleiben auf dem bisherigen Standpunkt, gibt es nicht mehr. Die Klarheit dieses Gedankens, die Gerechtigkeit dieser Forderung sollte nicht verdunkelt werden durch Erörterungen über die Schuldfrage an der Ent¬ stehung dieses Krieges. Wer Deutschland nur als den Überfallenen. als in der Notwehr befindlich hinstellt, der übersteht leicht, daß es eine gerechte Forderung geltend zu machen und durchzusetzen hatte und in dieser Beziehung denen, die ihm den Eintritt in die Reihe der Großmächte verwehren wollten, als Angreifer erscheinen muß. Daß unsere Feinde uns diese Ansprüche verwehrt und so den Krieg heraufbeschworen haben, wird die Geschichte ebenso lehren, wie die andere Tatsache, daß der Krieg eine innere Notwendigkeit war. Uns ziemt es jetzt nicht, uns als verfolgte Unschuld hinzustellen. Frei und mannhaft müssen wir unsere Forderungen bekennen und durchfechten. Welches aber sind unsere Forderungen? Deutschland als Weltmacht; das ist die theoretische Forderung. Welches aber sind die praktisch zu stellenden Forderungen? Über sie Klarheit zu gewinnen, ist jedes einzelnen dringende Pflicht. Nur dann kann der Krieg, getragen von der Einigkeit des ganzen Volkes, zu gutem Ende geführt werden, wenn ein jeder auf diese Frage klare Antwort zu geben vermag. Nicht genügen allgemeine Antworten, wie diese: bis alle unsere Feinde vernichtet sind; oder: wir müssen so siegen, daß die Wiederkehr eines solchen Krieges für absehbare Zeiten unmöglich gemacht ist. Diese oft gehörten Sätze können nur zu Enttäuschungen Anlaß geben. Denn zunächst setzen sie als Ziel des Krieges eine Verneinung voraus, während eine starke Hervorhebung unserer Forderung, also eine Bejahung vonnöten ist. Sodann täuschen sie darüber hinweg, daß es kaum möglich ist, ein Volk so niederzuringen, daß ihm die erneute Führung eines Krieges für länger als zehn Jahre unmöglich wird. Selbst Napoleon konnte Preußen 1306/13 nicht so vernichten, daß er dessen Erhebung im Jahre 1313 hätte verhindern können. Aber auch abgesehen von dieser in der Weltgeschichte einzig dastehenden Leistung: selbst Frankreich, 1870/71 militärisch und wirtschaftlich aufs äußerste geschwächt, war schon Ende der siebziger Jahre (Fall Schnaebele) in der Lage, eine aggressive kriegsdrohende Politik zu treiben. Die Verhinderung zukünftiger Kriege ist nicht so sehr die Pflicht des Soldaten, wie die des Staatsmannes, der durch kluge Bündnispolitik, klare Begrenzung erreichbarer Ziele und durch deren unbeirrte Verfolgung jedem Angreifer das Vergebliche seiner feindlichen Absichten vor Augen führt. Man hätte glauben sollen, daß diese Aufgabe für deutsche Staatsmänner eine besonders leichte gewesen wäre. Denn kaum ein Volk vermag zu seinen und seiner Freunde Gunsten so viel in die Wagschale zu werfen, wie das deutsche. Die Erfahrung hat nun gelehrt, daß die Kaunitzsche Koalition, die gegen das kleine, aufstrebende Preußen Friedrichs des Großen möglich wurde, als es seine Hand nach Schlesien ausstreckte, sich gegen das mächtige, neue Deutschland er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/174>, abgerufen am 14.05.2024.