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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ziele des Krieges

neuern konnte, obwohl der akute Anlaß einer Wegnahme Schlesiens fehlte.
Daß dies für alle Zukunft verhindert werde, muß als wichtigste Bürgschaft für
dauernden Frieden gefordert weiden. Denn sobald eine solche Koalition gegen
Deutschland sich wiederholt, muß ein neuer Krieg die Folge sein. Und viel
Blut müßte dann wieder fließen, um diese Fehler gutzumachen.

Warnend unterstützt unsere Vergangenheit diese Forderung auf Klarheit
unserer Kriegsziele, und sie zeigt uns ein leuchtendes Beispiel der Nachahmung
und ein Gegenbeispiel der Abschreckung: die Kriege von 1870/71 und 1813/15
und ihre Folgen. Beiden gemeinsam ist die hohe Begeisterung, Einigkeit, Opfer¬
freudigkeit, mit der das ganze Volk in den Krieg zog, gemeinsam beiden auch
die militärische Leistungsfähigkeit, Tapferkeit des Heeres, Klugheit der Führung,
und der Glanz der errungenen Siege. Aber im Jahre 1870 war es die
Hand eines Staatsmannes, die dem ganzen Volk seit Jahren in seiner Ver¬
einigung das Ziel gezeigt hatte, die das Volk in den Krieg hineinführte, als
ein unvermeidliches Mittel zur Erreichung des Zweckes. So wurde der Krieg
nach der Erreichung des Zieles zu einer Befreiung und Erlösung sür alle.
Die Befreiungskriege dagegen brachten zwar die Befreiung von dem Joch
Napoleons, aber diesem rein verneinenden Ergebnis folgte nicht die bejahende
Frucht einer sozialen Befreiung und Neugliederung der Stände, einer politisch
befriedigenden Gestaltung, die alle -- vielleicht halb unbewußt -- als den
Lohn ihrer Opfer ersehnt hatten. Denn es fehlte der Staatsmann, der das
Ziel des Krieges gesehen und die Wünsche der Nation gekannt hätte. So
versandete diese Hochflut von Begeisterung und Opfermut in der gedankenarmen
Dürre halber Reformen, kleinlichen Polizeiregimentes, politischer Ideenlosigkeit,
wie sie die ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts kennzeichnen.

So hat die Frage: was soll der Krieg uns bringen? und ihre klare
Beantwortung eine sehr ernste unmittelbare Bedeutung für uns, auch jetzt schon,
während noch der Donner der Kanonen im Ost und West dröhnt. Und zwar
nicht nur eine mittelbare Bedeutung für die dem Kriege folgende Zeit, sondern
auch eine unmittelbare für die Führung des Krieges selbst. Als Beispiel hierfür
diene Bismarcks staatsmännische Kunst Österreich gegenüber: die schonende
Behandlung im Nikolsburger Frieden 18K6 zum Zweck des Abschlusses des
Bündnisses im Jahre 1878. Die Behandlung der augenblicklichen Gegner
während des Krieges und der geeignete Augenblick zum Abschluß von Friedens¬
verhandlungen wird sich also nach den weiteren Wegen richten, die der Staats¬
mann später einzuschlagen gedenkt. Hier scheidet sich der Weg des Heerführers
von dem des Staatsmannes. Während jener nur auf die unbedingte Ver¬
nichtung des Gegners bedacht ist, wird dieser im gegebenen Augenblick ein Halt
zu gebieten haben. Das wird auch in diesem Kriege zu beachten sein.

"Der Krieg ist die Fortführung der Politik mit gewaltsamen Mitteln"
(Clausewitz). Daraus geht hervor, daß der Krieg nicht der Anfang oder das
Ende einer Entwicklung ist, sondern nur ein Glied in einer Kette. Er ist nicht


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Ziele des Krieges

neuern konnte, obwohl der akute Anlaß einer Wegnahme Schlesiens fehlte.
Daß dies für alle Zukunft verhindert werde, muß als wichtigste Bürgschaft für
dauernden Frieden gefordert weiden. Denn sobald eine solche Koalition gegen
Deutschland sich wiederholt, muß ein neuer Krieg die Folge sein. Und viel
Blut müßte dann wieder fließen, um diese Fehler gutzumachen.

Warnend unterstützt unsere Vergangenheit diese Forderung auf Klarheit
unserer Kriegsziele, und sie zeigt uns ein leuchtendes Beispiel der Nachahmung
und ein Gegenbeispiel der Abschreckung: die Kriege von 1870/71 und 1813/15
und ihre Folgen. Beiden gemeinsam ist die hohe Begeisterung, Einigkeit, Opfer¬
freudigkeit, mit der das ganze Volk in den Krieg zog, gemeinsam beiden auch
die militärische Leistungsfähigkeit, Tapferkeit des Heeres, Klugheit der Führung,
und der Glanz der errungenen Siege. Aber im Jahre 1870 war es die
Hand eines Staatsmannes, die dem ganzen Volk seit Jahren in seiner Ver¬
einigung das Ziel gezeigt hatte, die das Volk in den Krieg hineinführte, als
ein unvermeidliches Mittel zur Erreichung des Zweckes. So wurde der Krieg
nach der Erreichung des Zieles zu einer Befreiung und Erlösung sür alle.
Die Befreiungskriege dagegen brachten zwar die Befreiung von dem Joch
Napoleons, aber diesem rein verneinenden Ergebnis folgte nicht die bejahende
Frucht einer sozialen Befreiung und Neugliederung der Stände, einer politisch
befriedigenden Gestaltung, die alle — vielleicht halb unbewußt — als den
Lohn ihrer Opfer ersehnt hatten. Denn es fehlte der Staatsmann, der das
Ziel des Krieges gesehen und die Wünsche der Nation gekannt hätte. So
versandete diese Hochflut von Begeisterung und Opfermut in der gedankenarmen
Dürre halber Reformen, kleinlichen Polizeiregimentes, politischer Ideenlosigkeit,
wie sie die ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts kennzeichnen.

So hat die Frage: was soll der Krieg uns bringen? und ihre klare
Beantwortung eine sehr ernste unmittelbare Bedeutung für uns, auch jetzt schon,
während noch der Donner der Kanonen im Ost und West dröhnt. Und zwar
nicht nur eine mittelbare Bedeutung für die dem Kriege folgende Zeit, sondern
auch eine unmittelbare für die Führung des Krieges selbst. Als Beispiel hierfür
diene Bismarcks staatsmännische Kunst Österreich gegenüber: die schonende
Behandlung im Nikolsburger Frieden 18K6 zum Zweck des Abschlusses des
Bündnisses im Jahre 1878. Die Behandlung der augenblicklichen Gegner
während des Krieges und der geeignete Augenblick zum Abschluß von Friedens¬
verhandlungen wird sich also nach den weiteren Wegen richten, die der Staats¬
mann später einzuschlagen gedenkt. Hier scheidet sich der Weg des Heerführers
von dem des Staatsmannes. Während jener nur auf die unbedingte Ver¬
nichtung des Gegners bedacht ist, wird dieser im gegebenen Augenblick ein Halt
zu gebieten haben. Das wird auch in diesem Kriege zu beachten sein.

„Der Krieg ist die Fortführung der Politik mit gewaltsamen Mitteln"
(Clausewitz). Daraus geht hervor, daß der Krieg nicht der Anfang oder das
Ende einer Entwicklung ist, sondern nur ein Glied in einer Kette. Er ist nicht


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[0175] Ziele des Krieges neuern konnte, obwohl der akute Anlaß einer Wegnahme Schlesiens fehlte. Daß dies für alle Zukunft verhindert werde, muß als wichtigste Bürgschaft für dauernden Frieden gefordert weiden. Denn sobald eine solche Koalition gegen Deutschland sich wiederholt, muß ein neuer Krieg die Folge sein. Und viel Blut müßte dann wieder fließen, um diese Fehler gutzumachen. Warnend unterstützt unsere Vergangenheit diese Forderung auf Klarheit unserer Kriegsziele, und sie zeigt uns ein leuchtendes Beispiel der Nachahmung und ein Gegenbeispiel der Abschreckung: die Kriege von 1870/71 und 1813/15 und ihre Folgen. Beiden gemeinsam ist die hohe Begeisterung, Einigkeit, Opfer¬ freudigkeit, mit der das ganze Volk in den Krieg zog, gemeinsam beiden auch die militärische Leistungsfähigkeit, Tapferkeit des Heeres, Klugheit der Führung, und der Glanz der errungenen Siege. Aber im Jahre 1870 war es die Hand eines Staatsmannes, die dem ganzen Volk seit Jahren in seiner Ver¬ einigung das Ziel gezeigt hatte, die das Volk in den Krieg hineinführte, als ein unvermeidliches Mittel zur Erreichung des Zweckes. So wurde der Krieg nach der Erreichung des Zieles zu einer Befreiung und Erlösung sür alle. Die Befreiungskriege dagegen brachten zwar die Befreiung von dem Joch Napoleons, aber diesem rein verneinenden Ergebnis folgte nicht die bejahende Frucht einer sozialen Befreiung und Neugliederung der Stände, einer politisch befriedigenden Gestaltung, die alle — vielleicht halb unbewußt — als den Lohn ihrer Opfer ersehnt hatten. Denn es fehlte der Staatsmann, der das Ziel des Krieges gesehen und die Wünsche der Nation gekannt hätte. So versandete diese Hochflut von Begeisterung und Opfermut in der gedankenarmen Dürre halber Reformen, kleinlichen Polizeiregimentes, politischer Ideenlosigkeit, wie sie die ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts kennzeichnen. So hat die Frage: was soll der Krieg uns bringen? und ihre klare Beantwortung eine sehr ernste unmittelbare Bedeutung für uns, auch jetzt schon, während noch der Donner der Kanonen im Ost und West dröhnt. Und zwar nicht nur eine mittelbare Bedeutung für die dem Kriege folgende Zeit, sondern auch eine unmittelbare für die Führung des Krieges selbst. Als Beispiel hierfür diene Bismarcks staatsmännische Kunst Österreich gegenüber: die schonende Behandlung im Nikolsburger Frieden 18K6 zum Zweck des Abschlusses des Bündnisses im Jahre 1878. Die Behandlung der augenblicklichen Gegner während des Krieges und der geeignete Augenblick zum Abschluß von Friedens¬ verhandlungen wird sich also nach den weiteren Wegen richten, die der Staats¬ mann später einzuschlagen gedenkt. Hier scheidet sich der Weg des Heerführers von dem des Staatsmannes. Während jener nur auf die unbedingte Ver¬ nichtung des Gegners bedacht ist, wird dieser im gegebenen Augenblick ein Halt zu gebieten haben. Das wird auch in diesem Kriege zu beachten sein. „Der Krieg ist die Fortführung der Politik mit gewaltsamen Mitteln" (Clausewitz). Daraus geht hervor, daß der Krieg nicht der Anfang oder das Ende einer Entwicklung ist, sondern nur ein Glied in einer Kette. Er ist nicht 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/175>, abgerufen am 30.05.2024.