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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ziele des Arieges

Hinsichtlich des Friedensschlusses mit Rußland wird noch zu berücksichtigen
sein, daß eine völlige wirtschaftliche Vernichtung Rußlands auch unserer eigenen
Volkswirtschaft ungeheuren mittelbaren und unmittelbaren Schaden zufügen würde.

Auch in der polnischen Frage gehen Rußlands und Deutschlands Interessen
nicht auseinander. Die Schaffung eines selbständigen polnischen Reiches wider¬
strebt ebensowohl dem russischen wie dem deutschen Interesse, ganz abgesehen
davon, daß sie den eigenen polnischen Wünschen nicht Rechnung tragen dürste.
Denn sowohl die Polen Rußlands wie die Deutschlands und Österreichs haben
sich während des Krieges als so gute deutsche, österreichische und russische Unter¬
tanen und Soldaten erwiesen, daß die Errichtung eines selbständigen polnischen
Reiches ihnen selbst als ein längst überwundener Traum erscheinen dürfte.

Dies sind in großen Umrissen die Grundlagen für eine Verständigung
mit Rußland in politischer Beziehung. Die Erörterung unserer handelspolitischen
Bedingungen würde den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten.

Was unser Verhältnis zu Frankreich betrifft, so ist bereits erwähnt worden,
daß unser Landerwerb sich auf die dringendsten strategischen Rücksichten be¬
schränken würde. Zu einer wirtschaftlichen Schonung Frankreichs liegt weniger
Anlaß vor.

Das künftige Schicksal Belgiens würde sich nach denselben Gesichts-
punkten bestimmen; ein Gebietszuwachs also nur aus strategischen Rück¬
sichten; darüber hinaus nur, insoweit keine nationale Schwächung Deutschlands
erfolgt. Dieser Gesichtspunkt schließt eine Erwerbung aller Gebietsteile mit
wallonischer Bevölkerung aus. Abgesehen davon, daß eine Ausräumung etwa
zu erwerbenden Landes in diesem dichtbevölkerten Gebiet noch unmöglicher
sein würde als im dünnbesiedelten Osten, so erscheint auch eine Angliederung
dieser schlecht gezüchteten romanischen Mischrasse, die stets von tiefem Hasse
gegen die Rächer ihrer Heimtücke beseelt sein wird, untunlich. Eine Vereinigung
des in bezug auf Nasse höher, in bezug auf Bildung nicht sonderlich hoch¬
stehenden flämischen Volksteiles mit dem Deutschen Reich erscheint aus geographischen
Gründen schwierig. Die weitere Entwicklung unseres Verhältnisses zu Holland
dürfte die Beantwortung dieser Frage erleichtern. Jedenfalls liegt an sich kein
Grund zur Beibehaltung eines geschichtlich so unbegründeten und politisch dem
Deutschen Reich immer schädlichen Staatengebildes, wie des belgischen vor. Und
selbst wenn ihm seine staatliche Selbständigkeit mit verringerten Gebietsumfaug
belassen werden sollte, so müßte es in militärischer und wirtschaftlicher Be¬
ziehung unbedingt Deutschland dienstbar erhalten bleiben.

Das Ziel unseres Krieges gegen England ist klar: England wird unsere
Gleichberechtigung als Weltmacht anerkennen und wird gezwungen werden müssen,
sich aller Eingriffe zu enthalten, die unsere Bewegungsfreiheit in der Welt
hindern könnten. Eine Erörterung darüber, wie dies im einzelnen bei einem
Friedensschlüsse zu erreichen wäre, erübrigt sich noch bei dem jetzigen Kriegs¬
stadium.


Ziele des Arieges

Hinsichtlich des Friedensschlusses mit Rußland wird noch zu berücksichtigen
sein, daß eine völlige wirtschaftliche Vernichtung Rußlands auch unserer eigenen
Volkswirtschaft ungeheuren mittelbaren und unmittelbaren Schaden zufügen würde.

Auch in der polnischen Frage gehen Rußlands und Deutschlands Interessen
nicht auseinander. Die Schaffung eines selbständigen polnischen Reiches wider¬
strebt ebensowohl dem russischen wie dem deutschen Interesse, ganz abgesehen
davon, daß sie den eigenen polnischen Wünschen nicht Rechnung tragen dürste.
Denn sowohl die Polen Rußlands wie die Deutschlands und Österreichs haben
sich während des Krieges als so gute deutsche, österreichische und russische Unter¬
tanen und Soldaten erwiesen, daß die Errichtung eines selbständigen polnischen
Reiches ihnen selbst als ein längst überwundener Traum erscheinen dürfte.

Dies sind in großen Umrissen die Grundlagen für eine Verständigung
mit Rußland in politischer Beziehung. Die Erörterung unserer handelspolitischen
Bedingungen würde den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten.

Was unser Verhältnis zu Frankreich betrifft, so ist bereits erwähnt worden,
daß unser Landerwerb sich auf die dringendsten strategischen Rücksichten be¬
schränken würde. Zu einer wirtschaftlichen Schonung Frankreichs liegt weniger
Anlaß vor.

Das künftige Schicksal Belgiens würde sich nach denselben Gesichts-
punkten bestimmen; ein Gebietszuwachs also nur aus strategischen Rück¬
sichten; darüber hinaus nur, insoweit keine nationale Schwächung Deutschlands
erfolgt. Dieser Gesichtspunkt schließt eine Erwerbung aller Gebietsteile mit
wallonischer Bevölkerung aus. Abgesehen davon, daß eine Ausräumung etwa
zu erwerbenden Landes in diesem dichtbevölkerten Gebiet noch unmöglicher
sein würde als im dünnbesiedelten Osten, so erscheint auch eine Angliederung
dieser schlecht gezüchteten romanischen Mischrasse, die stets von tiefem Hasse
gegen die Rächer ihrer Heimtücke beseelt sein wird, untunlich. Eine Vereinigung
des in bezug auf Nasse höher, in bezug auf Bildung nicht sonderlich hoch¬
stehenden flämischen Volksteiles mit dem Deutschen Reich erscheint aus geographischen
Gründen schwierig. Die weitere Entwicklung unseres Verhältnisses zu Holland
dürfte die Beantwortung dieser Frage erleichtern. Jedenfalls liegt an sich kein
Grund zur Beibehaltung eines geschichtlich so unbegründeten und politisch dem
Deutschen Reich immer schädlichen Staatengebildes, wie des belgischen vor. Und
selbst wenn ihm seine staatliche Selbständigkeit mit verringerten Gebietsumfaug
belassen werden sollte, so müßte es in militärischer und wirtschaftlicher Be¬
ziehung unbedingt Deutschland dienstbar erhalten bleiben.

Das Ziel unseres Krieges gegen England ist klar: England wird unsere
Gleichberechtigung als Weltmacht anerkennen und wird gezwungen werden müssen,
sich aller Eingriffe zu enthalten, die unsere Bewegungsfreiheit in der Welt
hindern könnten. Eine Erörterung darüber, wie dies im einzelnen bei einem
Friedensschlüsse zu erreichen wäre, erübrigt sich noch bei dem jetzigen Kriegs¬
stadium.


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[0179] Ziele des Arieges Hinsichtlich des Friedensschlusses mit Rußland wird noch zu berücksichtigen sein, daß eine völlige wirtschaftliche Vernichtung Rußlands auch unserer eigenen Volkswirtschaft ungeheuren mittelbaren und unmittelbaren Schaden zufügen würde. Auch in der polnischen Frage gehen Rußlands und Deutschlands Interessen nicht auseinander. Die Schaffung eines selbständigen polnischen Reiches wider¬ strebt ebensowohl dem russischen wie dem deutschen Interesse, ganz abgesehen davon, daß sie den eigenen polnischen Wünschen nicht Rechnung tragen dürste. Denn sowohl die Polen Rußlands wie die Deutschlands und Österreichs haben sich während des Krieges als so gute deutsche, österreichische und russische Unter¬ tanen und Soldaten erwiesen, daß die Errichtung eines selbständigen polnischen Reiches ihnen selbst als ein längst überwundener Traum erscheinen dürfte. Dies sind in großen Umrissen die Grundlagen für eine Verständigung mit Rußland in politischer Beziehung. Die Erörterung unserer handelspolitischen Bedingungen würde den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten. Was unser Verhältnis zu Frankreich betrifft, so ist bereits erwähnt worden, daß unser Landerwerb sich auf die dringendsten strategischen Rücksichten be¬ schränken würde. Zu einer wirtschaftlichen Schonung Frankreichs liegt weniger Anlaß vor. Das künftige Schicksal Belgiens würde sich nach denselben Gesichts- punkten bestimmen; ein Gebietszuwachs also nur aus strategischen Rück¬ sichten; darüber hinaus nur, insoweit keine nationale Schwächung Deutschlands erfolgt. Dieser Gesichtspunkt schließt eine Erwerbung aller Gebietsteile mit wallonischer Bevölkerung aus. Abgesehen davon, daß eine Ausräumung etwa zu erwerbenden Landes in diesem dichtbevölkerten Gebiet noch unmöglicher sein würde als im dünnbesiedelten Osten, so erscheint auch eine Angliederung dieser schlecht gezüchteten romanischen Mischrasse, die stets von tiefem Hasse gegen die Rächer ihrer Heimtücke beseelt sein wird, untunlich. Eine Vereinigung des in bezug auf Nasse höher, in bezug auf Bildung nicht sonderlich hoch¬ stehenden flämischen Volksteiles mit dem Deutschen Reich erscheint aus geographischen Gründen schwierig. Die weitere Entwicklung unseres Verhältnisses zu Holland dürfte die Beantwortung dieser Frage erleichtern. Jedenfalls liegt an sich kein Grund zur Beibehaltung eines geschichtlich so unbegründeten und politisch dem Deutschen Reich immer schädlichen Staatengebildes, wie des belgischen vor. Und selbst wenn ihm seine staatliche Selbständigkeit mit verringerten Gebietsumfaug belassen werden sollte, so müßte es in militärischer und wirtschaftlicher Be¬ ziehung unbedingt Deutschland dienstbar erhalten bleiben. Das Ziel unseres Krieges gegen England ist klar: England wird unsere Gleichberechtigung als Weltmacht anerkennen und wird gezwungen werden müssen, sich aller Eingriffe zu enthalten, die unsere Bewegungsfreiheit in der Welt hindern könnten. Eine Erörterung darüber, wie dies im einzelnen bei einem Friedensschlüsse zu erreichen wäre, erübrigt sich noch bei dem jetzigen Kriegs¬ stadium.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/179>, abgerufen am 31.05.2024.