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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ziele des Krieges

Vorschlag Rechnung, aus den fremden, zu erwerbenden Kolonisationsgebieten
die eingeborene Bevölkerung völlig auszuräumen, bevor mit einer rein deutschen
Besiedlung begonnen wird. Mir scheint, daß ein solcher Vorschlag, wenn
überhaupt, nur auf verhältnismäßig geringfügigen Strecken Landes ausführbar
sein wird. Die Voraussetzung für eine solche Ausräumung und Kolonisation:
geringer Wert des Bodens, nur loser, nomadenhafter Zusammenhang zwischen
Bevölkerung und Boden, günstige Lage zum Mutterland dürften auch bei den
in Betracht kommenden russischen Gebieten nur in sehr beschränktem Umfang
gegeben sein.

Vor allem ist aber auch bei dem Vorhandensein dieser Voraussetzungen die
Frage zu prüfen, ob das Mutterland die genügende Anzahl von Siedlern ohne
eigenen Schaden abzugeben in der Lage ist. Ernste Zweifel für die Bejahung
dieser Frage erheben sich, wenn man die ungeheure Anzahl fremder Arbeiter
berücksichtigt, deren Deutschland bedarf, um seine landwirtschaftlichen und ge¬
werblichen Erzeugnisse fertigzustellen.

Eine diesem Bedenken widersprechende Erwägung wird sich vielleicht in
Zukunft Geltung verschaffen: man hat den fremden slawischen Arbeiterstrom,
der sich alljährlich über Deutschland ergießt, den neuen, fünften Stand genannt.
Vielleicht wird eine spätere Entwicklung dahin führen, daß die rein maschinellen
untergeordneten Handgriffe und Verrichtungen als eine des wertvollen germa¬
nischen Blutes nicht würdige Verwendung erscheinen, an deren Stelle die niedrigere
slawische Arbeitskraft zu treten hat. (Hierbei mag die Frage ""erörtert bleiben,
inwieweit nationale Fremdkörper in der eigenen Mitte des Volkes erstehen oder
wie deren Eindeutschung zu bewirken sein würde.) Jedenfalls wäre es denkbar,
daß im Falle einer solchen Ersetzung deutscher Arbeitskräfte durch geringere
Ausländer bet den niedrigen Verrichtungen ein deutscher Überschuß entstände,
der für die Kolonisation im Osten Verwendung finden könnte. Aber auch in
diesem günstigsten Falle bleibt zu berücksichtigen, daß eine solche Neubesetzung
fremden Lanoes mit deutschen Ansiedlern auch bei verhältnismäßig geringem
Umfang große Menschenmengen in Anspruch nimmt, während im Gegensatz
hierzu eine Kolonisation in überseeischen Provinzen nur eine geringe Ober¬
schicht für das neue Land fordert und so dem Mutterland verhältnis¬
mäßig wenig Blut entzieht. Jedenfalls erscheint eine große deutsche Kolo¬
nisation im Osten bei dem jetzigen Stand der deutschen Volksentwicklung
unmöglich.

Diese Erwägungen werden bei der in Aussicht stehenden Auseinandersetzung
mit Rußland zu berücksichtigen sein. Sie werden uns abhalten, Forderungen
in bezug auf Landerwerb zu stellen, die uns selbst in einer späteren Entwicklung
zum Schaden gereichen müßten. Die Herstellung einer strategisch günstigen
Grenze, die auch eine mäßige und zu rechtfertigende Erwerbung neuen Landes
zur Folge haben müßte, muß den Inhalt unserer territorialen Auseinander¬
setzung mit Rußland bilden.


Ziele des Krieges

Vorschlag Rechnung, aus den fremden, zu erwerbenden Kolonisationsgebieten
die eingeborene Bevölkerung völlig auszuräumen, bevor mit einer rein deutschen
Besiedlung begonnen wird. Mir scheint, daß ein solcher Vorschlag, wenn
überhaupt, nur auf verhältnismäßig geringfügigen Strecken Landes ausführbar
sein wird. Die Voraussetzung für eine solche Ausräumung und Kolonisation:
geringer Wert des Bodens, nur loser, nomadenhafter Zusammenhang zwischen
Bevölkerung und Boden, günstige Lage zum Mutterland dürften auch bei den
in Betracht kommenden russischen Gebieten nur in sehr beschränktem Umfang
gegeben sein.

Vor allem ist aber auch bei dem Vorhandensein dieser Voraussetzungen die
Frage zu prüfen, ob das Mutterland die genügende Anzahl von Siedlern ohne
eigenen Schaden abzugeben in der Lage ist. Ernste Zweifel für die Bejahung
dieser Frage erheben sich, wenn man die ungeheure Anzahl fremder Arbeiter
berücksichtigt, deren Deutschland bedarf, um seine landwirtschaftlichen und ge¬
werblichen Erzeugnisse fertigzustellen.

Eine diesem Bedenken widersprechende Erwägung wird sich vielleicht in
Zukunft Geltung verschaffen: man hat den fremden slawischen Arbeiterstrom,
der sich alljährlich über Deutschland ergießt, den neuen, fünften Stand genannt.
Vielleicht wird eine spätere Entwicklung dahin führen, daß die rein maschinellen
untergeordneten Handgriffe und Verrichtungen als eine des wertvollen germa¬
nischen Blutes nicht würdige Verwendung erscheinen, an deren Stelle die niedrigere
slawische Arbeitskraft zu treten hat. (Hierbei mag die Frage »«erörtert bleiben,
inwieweit nationale Fremdkörper in der eigenen Mitte des Volkes erstehen oder
wie deren Eindeutschung zu bewirken sein würde.) Jedenfalls wäre es denkbar,
daß im Falle einer solchen Ersetzung deutscher Arbeitskräfte durch geringere
Ausländer bet den niedrigen Verrichtungen ein deutscher Überschuß entstände,
der für die Kolonisation im Osten Verwendung finden könnte. Aber auch in
diesem günstigsten Falle bleibt zu berücksichtigen, daß eine solche Neubesetzung
fremden Lanoes mit deutschen Ansiedlern auch bei verhältnismäßig geringem
Umfang große Menschenmengen in Anspruch nimmt, während im Gegensatz
hierzu eine Kolonisation in überseeischen Provinzen nur eine geringe Ober¬
schicht für das neue Land fordert und so dem Mutterland verhältnis¬
mäßig wenig Blut entzieht. Jedenfalls erscheint eine große deutsche Kolo¬
nisation im Osten bei dem jetzigen Stand der deutschen Volksentwicklung
unmöglich.

Diese Erwägungen werden bei der in Aussicht stehenden Auseinandersetzung
mit Rußland zu berücksichtigen sein. Sie werden uns abhalten, Forderungen
in bezug auf Landerwerb zu stellen, die uns selbst in einer späteren Entwicklung
zum Schaden gereichen müßten. Die Herstellung einer strategisch günstigen
Grenze, die auch eine mäßige und zu rechtfertigende Erwerbung neuen Landes
zur Folge haben müßte, muß den Inhalt unserer territorialen Auseinander¬
setzung mit Rußland bilden.


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[0178] Ziele des Krieges Vorschlag Rechnung, aus den fremden, zu erwerbenden Kolonisationsgebieten die eingeborene Bevölkerung völlig auszuräumen, bevor mit einer rein deutschen Besiedlung begonnen wird. Mir scheint, daß ein solcher Vorschlag, wenn überhaupt, nur auf verhältnismäßig geringfügigen Strecken Landes ausführbar sein wird. Die Voraussetzung für eine solche Ausräumung und Kolonisation: geringer Wert des Bodens, nur loser, nomadenhafter Zusammenhang zwischen Bevölkerung und Boden, günstige Lage zum Mutterland dürften auch bei den in Betracht kommenden russischen Gebieten nur in sehr beschränktem Umfang gegeben sein. Vor allem ist aber auch bei dem Vorhandensein dieser Voraussetzungen die Frage zu prüfen, ob das Mutterland die genügende Anzahl von Siedlern ohne eigenen Schaden abzugeben in der Lage ist. Ernste Zweifel für die Bejahung dieser Frage erheben sich, wenn man die ungeheure Anzahl fremder Arbeiter berücksichtigt, deren Deutschland bedarf, um seine landwirtschaftlichen und ge¬ werblichen Erzeugnisse fertigzustellen. Eine diesem Bedenken widersprechende Erwägung wird sich vielleicht in Zukunft Geltung verschaffen: man hat den fremden slawischen Arbeiterstrom, der sich alljährlich über Deutschland ergießt, den neuen, fünften Stand genannt. Vielleicht wird eine spätere Entwicklung dahin führen, daß die rein maschinellen untergeordneten Handgriffe und Verrichtungen als eine des wertvollen germa¬ nischen Blutes nicht würdige Verwendung erscheinen, an deren Stelle die niedrigere slawische Arbeitskraft zu treten hat. (Hierbei mag die Frage »«erörtert bleiben, inwieweit nationale Fremdkörper in der eigenen Mitte des Volkes erstehen oder wie deren Eindeutschung zu bewirken sein würde.) Jedenfalls wäre es denkbar, daß im Falle einer solchen Ersetzung deutscher Arbeitskräfte durch geringere Ausländer bet den niedrigen Verrichtungen ein deutscher Überschuß entstände, der für die Kolonisation im Osten Verwendung finden könnte. Aber auch in diesem günstigsten Falle bleibt zu berücksichtigen, daß eine solche Neubesetzung fremden Lanoes mit deutschen Ansiedlern auch bei verhältnismäßig geringem Umfang große Menschenmengen in Anspruch nimmt, während im Gegensatz hierzu eine Kolonisation in überseeischen Provinzen nur eine geringe Ober¬ schicht für das neue Land fordert und so dem Mutterland verhältnis¬ mäßig wenig Blut entzieht. Jedenfalls erscheint eine große deutsche Kolo¬ nisation im Osten bei dem jetzigen Stand der deutschen Volksentwicklung unmöglich. Diese Erwägungen werden bei der in Aussicht stehenden Auseinandersetzung mit Rußland zu berücksichtigen sein. Sie werden uns abhalten, Forderungen in bezug auf Landerwerb zu stellen, die uns selbst in einer späteren Entwicklung zum Schaden gereichen müßten. Die Herstellung einer strategisch günstigen Grenze, die auch eine mäßige und zu rechtfertigende Erwerbung neuen Landes zur Folge haben müßte, muß den Inhalt unserer territorialen Auseinander¬ setzung mit Rußland bilden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/178>, abgerufen am 29.05.2024.