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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ziele des Krieges

wird zeigen, mit wie außerordentlichen Schwierigkeiten dies in fast allen
neutralen Staaten verbunden gewesen ist, sei es nun, daß sie von einer der
kriegführenden Mächte zum Eingreifen in den Kampf getrieben wurden, sei
es, daß die inneren politischen Strömungen sie an den Rand des Krieges
trieben. Und selbst wenn in Zukunft Staaten von auch nur geringer Bedeutung
gewillt sein sollten, weiterhin eine Politik der Neutralität zu treiben, um sich
diese gegen Ende des Krieges durch politische Zugeständnisse bezahlen zu lassen,
so werden es die großen Mächte sein, die aus eine klare Antwort dringen
werden, damit sie nicht Schaden leiden von dieser Leichenfleddererpolitik, die erst
auf Raub ausgeht, wenn die Kämpfer blutend am Boden liegen. Aber auch
die ehrlich um ihre Neutralität bemühten Staaten haben schon in diesem Kriege
so ungeheure materielle Einbußen und so starke Beschränkungen ihrer Souveränität
durch die rücksichtslose englische wirtschaftliche Kriegführung erlitten, daß sie in
Zukunft darauf verzichten werden, allein die Nachteile des Krieges zu tragen,
ohne die Vorteile einer selbständigen Politik zu genießen. Der naturnotwendige
Lauf der Entwicklung wird daher dahin gehen, daß sich die schwächeren Staaten
Zu leistungsfähigeren Gebilden vereinen, um so gestärkt imstande zu sein, ihren
Ansprüchen Nachdruck zu verleihen.

Zum Führer dieser Entwicklung muß sich Deutschland machen. Die sittliche,
kriegerische, wirtschaftliche Stärke, die es jetzt gezeigt hat. wird es als einen
begehrten Freund und Bundesgenossen erscheinen lassen und manchen Argwohn
kleinlicher Sonderinteressenten ersticken. Diesen Stimmungen Rechnung zu tragen
und die Hindernisse zu überwinden, wird die unabweisbare nächste Aufgabe
der deutschen Staatsmänner sein. Sind sie nicht imstande sie zu leisten, so
werden die Opfer an Gut und Blut in diesem Krieg vergebens dargebracht
worden sein.

Abgesehen von seiner geographischen Lage ist auch das Deutsche Reich durch
seine Geschichte und Verfassung wie kein anderes zur Vormacht eines germanischen
Staatenbundes vorbestimmt, denn es besteht selbst aus einer Reihe zwar deutscher,
aber doch sehr verschiedenartiger Staaten; es hat in seiner langen Reihe von
Entwicklungskämpfen, die das verschiedenartige Zusammenwirken vieler Bestand¬
teile mit sich bringt, alle Möglichkeiten bundesstaatlicher Entwicklung kennen
gelernt. Es hat sich in seiner Verfassung ein brauchbares und dehnbares
Werkzeug geschaffen und wird aus ihr die neuen verfassungsrechtlichen Formen
entwickeln, die die neue Aufgabe erfordert.

Denn das ist einleuchtend: in den Rahmen der jetzigen Reichsverfassung
werden sich die staatlichen Neugründungen nicht zwängen lassen. Deutschland
ist ein national gesättigter Staat und kann in sich, ohne eigenen Schaden, nicht
weitere nationale Fremdkörper, mögen sie auch derselben Rasse angehören,
aufnehmen. Anderseits wird auch kaum einer der in Betracht kommenden
Staaten geneigt sein, auf seine staatliche Selbständigkeit in einem Umfang zu
verzichten, wie es das Aufgehen in einem Bundesstaat fordert.


Ziele des Krieges

wird zeigen, mit wie außerordentlichen Schwierigkeiten dies in fast allen
neutralen Staaten verbunden gewesen ist, sei es nun, daß sie von einer der
kriegführenden Mächte zum Eingreifen in den Kampf getrieben wurden, sei
es, daß die inneren politischen Strömungen sie an den Rand des Krieges
trieben. Und selbst wenn in Zukunft Staaten von auch nur geringer Bedeutung
gewillt sein sollten, weiterhin eine Politik der Neutralität zu treiben, um sich
diese gegen Ende des Krieges durch politische Zugeständnisse bezahlen zu lassen,
so werden es die großen Mächte sein, die aus eine klare Antwort dringen
werden, damit sie nicht Schaden leiden von dieser Leichenfleddererpolitik, die erst
auf Raub ausgeht, wenn die Kämpfer blutend am Boden liegen. Aber auch
die ehrlich um ihre Neutralität bemühten Staaten haben schon in diesem Kriege
so ungeheure materielle Einbußen und so starke Beschränkungen ihrer Souveränität
durch die rücksichtslose englische wirtschaftliche Kriegführung erlitten, daß sie in
Zukunft darauf verzichten werden, allein die Nachteile des Krieges zu tragen,
ohne die Vorteile einer selbständigen Politik zu genießen. Der naturnotwendige
Lauf der Entwicklung wird daher dahin gehen, daß sich die schwächeren Staaten
Zu leistungsfähigeren Gebilden vereinen, um so gestärkt imstande zu sein, ihren
Ansprüchen Nachdruck zu verleihen.

Zum Führer dieser Entwicklung muß sich Deutschland machen. Die sittliche,
kriegerische, wirtschaftliche Stärke, die es jetzt gezeigt hat. wird es als einen
begehrten Freund und Bundesgenossen erscheinen lassen und manchen Argwohn
kleinlicher Sonderinteressenten ersticken. Diesen Stimmungen Rechnung zu tragen
und die Hindernisse zu überwinden, wird die unabweisbare nächste Aufgabe
der deutschen Staatsmänner sein. Sind sie nicht imstande sie zu leisten, so
werden die Opfer an Gut und Blut in diesem Krieg vergebens dargebracht
worden sein.

Abgesehen von seiner geographischen Lage ist auch das Deutsche Reich durch
seine Geschichte und Verfassung wie kein anderes zur Vormacht eines germanischen
Staatenbundes vorbestimmt, denn es besteht selbst aus einer Reihe zwar deutscher,
aber doch sehr verschiedenartiger Staaten; es hat in seiner langen Reihe von
Entwicklungskämpfen, die das verschiedenartige Zusammenwirken vieler Bestand¬
teile mit sich bringt, alle Möglichkeiten bundesstaatlicher Entwicklung kennen
gelernt. Es hat sich in seiner Verfassung ein brauchbares und dehnbares
Werkzeug geschaffen und wird aus ihr die neuen verfassungsrechtlichen Formen
entwickeln, die die neue Aufgabe erfordert.

Denn das ist einleuchtend: in den Rahmen der jetzigen Reichsverfassung
werden sich die staatlichen Neugründungen nicht zwängen lassen. Deutschland
ist ein national gesättigter Staat und kann in sich, ohne eigenen Schaden, nicht
weitere nationale Fremdkörper, mögen sie auch derselben Rasse angehören,
aufnehmen. Anderseits wird auch kaum einer der in Betracht kommenden
Staaten geneigt sein, auf seine staatliche Selbständigkeit in einem Umfang zu
verzichten, wie es das Aufgehen in einem Bundesstaat fordert.


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[0181] Ziele des Krieges wird zeigen, mit wie außerordentlichen Schwierigkeiten dies in fast allen neutralen Staaten verbunden gewesen ist, sei es nun, daß sie von einer der kriegführenden Mächte zum Eingreifen in den Kampf getrieben wurden, sei es, daß die inneren politischen Strömungen sie an den Rand des Krieges trieben. Und selbst wenn in Zukunft Staaten von auch nur geringer Bedeutung gewillt sein sollten, weiterhin eine Politik der Neutralität zu treiben, um sich diese gegen Ende des Krieges durch politische Zugeständnisse bezahlen zu lassen, so werden es die großen Mächte sein, die aus eine klare Antwort dringen werden, damit sie nicht Schaden leiden von dieser Leichenfleddererpolitik, die erst auf Raub ausgeht, wenn die Kämpfer blutend am Boden liegen. Aber auch die ehrlich um ihre Neutralität bemühten Staaten haben schon in diesem Kriege so ungeheure materielle Einbußen und so starke Beschränkungen ihrer Souveränität durch die rücksichtslose englische wirtschaftliche Kriegführung erlitten, daß sie in Zukunft darauf verzichten werden, allein die Nachteile des Krieges zu tragen, ohne die Vorteile einer selbständigen Politik zu genießen. Der naturnotwendige Lauf der Entwicklung wird daher dahin gehen, daß sich die schwächeren Staaten Zu leistungsfähigeren Gebilden vereinen, um so gestärkt imstande zu sein, ihren Ansprüchen Nachdruck zu verleihen. Zum Führer dieser Entwicklung muß sich Deutschland machen. Die sittliche, kriegerische, wirtschaftliche Stärke, die es jetzt gezeigt hat. wird es als einen begehrten Freund und Bundesgenossen erscheinen lassen und manchen Argwohn kleinlicher Sonderinteressenten ersticken. Diesen Stimmungen Rechnung zu tragen und die Hindernisse zu überwinden, wird die unabweisbare nächste Aufgabe der deutschen Staatsmänner sein. Sind sie nicht imstande sie zu leisten, so werden die Opfer an Gut und Blut in diesem Krieg vergebens dargebracht worden sein. Abgesehen von seiner geographischen Lage ist auch das Deutsche Reich durch seine Geschichte und Verfassung wie kein anderes zur Vormacht eines germanischen Staatenbundes vorbestimmt, denn es besteht selbst aus einer Reihe zwar deutscher, aber doch sehr verschiedenartiger Staaten; es hat in seiner langen Reihe von Entwicklungskämpfen, die das verschiedenartige Zusammenwirken vieler Bestand¬ teile mit sich bringt, alle Möglichkeiten bundesstaatlicher Entwicklung kennen gelernt. Es hat sich in seiner Verfassung ein brauchbares und dehnbares Werkzeug geschaffen und wird aus ihr die neuen verfassungsrechtlichen Formen entwickeln, die die neue Aufgabe erfordert. Denn das ist einleuchtend: in den Rahmen der jetzigen Reichsverfassung werden sich die staatlichen Neugründungen nicht zwängen lassen. Deutschland ist ein national gesättigter Staat und kann in sich, ohne eigenen Schaden, nicht weitere nationale Fremdkörper, mögen sie auch derselben Rasse angehören, aufnehmen. Anderseits wird auch kaum einer der in Betracht kommenden Staaten geneigt sein, auf seine staatliche Selbständigkeit in einem Umfang zu verzichten, wie es das Aufgehen in einem Bundesstaat fordert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/181>, abgerufen am 31.05.2024.