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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Kriegerische Volkspoesie

Liebe, Scheiden und Meiden, freies Leben und der gute Kamerad: damit
haben wir das Instrument des Soldaten durchgeprobt, -- bis auf eine Saite,
die noch übrig ist. Diese eine und letzte, die dunkelste, aber auch die gro߬
artigste, die durch alle Zeiten dröhnt und gewissermaßen den Orgelpunkt aller
kriegerischen Volkspoesie darstellt, das ist der Tod "auf grüner Haid im freien Feld":

Wie oft ist in der Geschichte der Menschheit das Leben durch den Tod
interpretiert worden. Plato hat der Philosophie keine höhere Aufgabe zu setzen
vermocht als die, ein Studium des Todes zu sein, und Millionen gläubiger
Seelen sehen noch heute nichts anderes im Tode als einen Durchgang zum
wahren Leben. Sie sagen dem Leben Nein und dem Tode Ja. Dann gibt
es wieder Kinder der Welt, die es mit dem alten Salomo halten und sagen,
daß das Licht süß sei und schön den Augen, die Sonne zu sehen.

Die Philosophie des Soldaten, wie sie sich in seinem Liede spiegelt, ist
eine ganz eigene Philosophie. Wie sein Leben herausgehoben ist aus dem
Leben ruhigen Bürgertums, so ist auch seine Philosophie emporgehoben über
alle Philosophie: auch er interpretiert sein Leben durch den Tod, aber nicht,
weil der Tod ihm ein neues, besseres Leben eröffnet, sondern weil es der Tod
zu Tausenden ist, der einzige Tod, der kein Scheiden, sondern ein Beisammen¬
sein bedeutet:

[Beginn Spaltensatz] Kein schönrer Tod ist auf der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen
Auf grüner Haid im freien Feld
Braucht nicht hören groß Wehklagen: [Spaltenumbruch] Im engen Bett sonst einer allein
Muß an den Todesreihen,
Hier findet er Gesellschaft fein,
Fallen und wie Kräuter im Maien. [Ende Spaltensatz]

Das ist der Triumph aller Lebensbejahung, die nur noch durch den
Vaterlandsgedanken eine Erhöhung erfahren hat. Dieser Tod ist nicht mehr
ein Problem, das durch den Ausblick auf ein anderes Leben seine Deutung
erhält, sondern hier interpretiert sich der Tod durch sich selbst und erhält dadurch
einen eigenen Sinn und unvergleichlichen Wert:

Damit erhebt sich die Soldatenphilosophie zu den Höhen der Menschheit,
wo die Heroen wohnen, und uns, den Zurückbleibenden, die die Füße unter
den warmen Herd strecken dürfen, bleibt nichts übrig, als uns zu beugen vor
dem Heldentum unserer Tapferen und neidisch am Wege zu stehen, wenn wir
sie reisergeschmückt hinausziehen sehen mit dem fröhlichen Sänge:


Kriegerische Volkspoesie

Liebe, Scheiden und Meiden, freies Leben und der gute Kamerad: damit
haben wir das Instrument des Soldaten durchgeprobt, — bis auf eine Saite,
die noch übrig ist. Diese eine und letzte, die dunkelste, aber auch die gro߬
artigste, die durch alle Zeiten dröhnt und gewissermaßen den Orgelpunkt aller
kriegerischen Volkspoesie darstellt, das ist der Tod „auf grüner Haid im freien Feld":

Wie oft ist in der Geschichte der Menschheit das Leben durch den Tod
interpretiert worden. Plato hat der Philosophie keine höhere Aufgabe zu setzen
vermocht als die, ein Studium des Todes zu sein, und Millionen gläubiger
Seelen sehen noch heute nichts anderes im Tode als einen Durchgang zum
wahren Leben. Sie sagen dem Leben Nein und dem Tode Ja. Dann gibt
es wieder Kinder der Welt, die es mit dem alten Salomo halten und sagen,
daß das Licht süß sei und schön den Augen, die Sonne zu sehen.

Die Philosophie des Soldaten, wie sie sich in seinem Liede spiegelt, ist
eine ganz eigene Philosophie. Wie sein Leben herausgehoben ist aus dem
Leben ruhigen Bürgertums, so ist auch seine Philosophie emporgehoben über
alle Philosophie: auch er interpretiert sein Leben durch den Tod, aber nicht,
weil der Tod ihm ein neues, besseres Leben eröffnet, sondern weil es der Tod
zu Tausenden ist, der einzige Tod, der kein Scheiden, sondern ein Beisammen¬
sein bedeutet:

[Beginn Spaltensatz] Kein schönrer Tod ist auf der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen
Auf grüner Haid im freien Feld
Braucht nicht hören groß Wehklagen: [Spaltenumbruch] Im engen Bett sonst einer allein
Muß an den Todesreihen,
Hier findet er Gesellschaft fein,
Fallen und wie Kräuter im Maien. [Ende Spaltensatz]

Das ist der Triumph aller Lebensbejahung, die nur noch durch den
Vaterlandsgedanken eine Erhöhung erfahren hat. Dieser Tod ist nicht mehr
ein Problem, das durch den Ausblick auf ein anderes Leben seine Deutung
erhält, sondern hier interpretiert sich der Tod durch sich selbst und erhält dadurch
einen eigenen Sinn und unvergleichlichen Wert:

Damit erhebt sich die Soldatenphilosophie zu den Höhen der Menschheit,
wo die Heroen wohnen, und uns, den Zurückbleibenden, die die Füße unter
den warmen Herd strecken dürfen, bleibt nichts übrig, als uns zu beugen vor
dem Heldentum unserer Tapferen und neidisch am Wege zu stehen, wenn wir
sie reisergeschmückt hinausziehen sehen mit dem fröhlichen Sänge:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/202>, abgerufen am 04.06.2024.