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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Kriegerische volkspocsie

Soldat sein hieß und heißt nichts anderes, als ans seinem Leben heraus¬
gerissen werden. Der Dienst schon treibt ihn von Ort zu Ort, und der Krieg
wirft ihn in fremde Länder. Und wie oft, wenn er heimkehrt, hat ihm die
Liebste inzwischen die Treue gebrochen:

Was brauch ich denn dir zu gefallen,
Ich hab ja schon längst einen Mann;
Der ist ja viel schöner und feiner,
Ju, ja, und feiner,
Von Herzen gefaltet er mir.

So muß er das Bielersee der Liebe kosten, ihr Flüchtiges und nicht ihr
Bleibendes, und es ist verständlich, wenn ihm, der so auf die Stunde gestellt
ist, schließlich auch die Liebe zum flüchtigen Genuß der Stunde wird.

Es ist das alte Lied, das uns schon aus der Landsknechtspoesie entgegen¬
schallte: herausgehoben aus der Welt von Bürger und Bauersmann, ist der
Soldat gezwungen, sich eine eigene Welt zu zimmern, ein neues Leben und
eine neue Lust. Daß dies Leben nur ein freies, eigenmächtiges Leben sein
kann, ist dem nicht zu verargen, der ein Leben hinter sich lassen muß. um das
zu werden, was er ist. Weit entfernt, ein abfälliges Urteil zu begründen,
zeugt es vielmehr von dem sittlichen Schwung der kriegerischen Volkspoeste, daß
vom ersten bis zum letzten, vom ältesten bis zum neuesten Lied dieser herz¬
erfrischende Hauch der Freiheit weht, der dem Schmerze Valet sagt und ein
Leben dem Tode entgegen zum frohen Leben macht. Freiheit, das ist das
dritte Leitmotiv der kriegerischen Volkspoesie.

Das vierte, das sogar eine sittliche Höhe bedeutet, ist das Motiv vom
guten Kameraden, das seit ältesten Zeiten immer wiederkehrt. Jedesmal,
wenn der Landsknecht an sich selber denkt, denkt er auch an den Herzbruder
an seiner Seite. Die Freude am Kameraden versüßt dem Soldaten das Schwere
seines Standes. Im Kugelregen sieht er seitwärts, wo der andere geht. Die
Tragik des neben ihm Fallenden, die Uhland so herrlich nachempfunden hat,
das Liegenlassen der Verwundeten beim Sturm oder bei der Flucht, der Anblick
des Schlachtfeldes nach geschlagener Schlacht, das ist es. was dem Soldaten
zu allen Zeiten am härtesten an die Nieren gegangen ist:

[Beginn Spaltensatz] Bruder, ach. Bruder, ich bin ja geschossen,
Eine Kugel, die hat mich getroffen.
Geh und hole mir den Feldarzt her,
Ob mir vielleicht "och zu helfen wär. [Spaltenumbruch] Bruder, ach, Bruder, ich kann dir nicht helfen,
Heise dir der liebe, liebe Gott,
Heut oder morgen marschieren wir fort. [Ende Spaltensatz]

So sang vor kaum zwanzig Jahren ein deutscher Soldat auf Chinas Erde.
Aber schon vor zweihundert Jahren sang ein anderer:

[Beginn Spaltensatz] Ach, Bruder, jetzt bin ich geschossen,
Die Kugel hat mich schwer getroffen,
Trag mich in mein Quartier,
Tralali, tralalei, tralala,
Es ist nicht weit von hier. [Spaltenumbruch] Ach, Bruder, ich kann dich nicht tragen,
Die Feinde haben uns geschlagen,
Helf dir der liebe Gott;
Tralali, tralalei. tralala,
Ich muß marschieren in den Tod. [Ende Spaltensatz]

Und vor drei Jahrhunderten klagte ein braver Kriegsmann:


Kriegerische volkspocsie

Soldat sein hieß und heißt nichts anderes, als ans seinem Leben heraus¬
gerissen werden. Der Dienst schon treibt ihn von Ort zu Ort, und der Krieg
wirft ihn in fremde Länder. Und wie oft, wenn er heimkehrt, hat ihm die
Liebste inzwischen die Treue gebrochen:

Was brauch ich denn dir zu gefallen,
Ich hab ja schon längst einen Mann;
Der ist ja viel schöner und feiner,
Ju, ja, und feiner,
Von Herzen gefaltet er mir.

So muß er das Bielersee der Liebe kosten, ihr Flüchtiges und nicht ihr
Bleibendes, und es ist verständlich, wenn ihm, der so auf die Stunde gestellt
ist, schließlich auch die Liebe zum flüchtigen Genuß der Stunde wird.

Es ist das alte Lied, das uns schon aus der Landsknechtspoesie entgegen¬
schallte: herausgehoben aus der Welt von Bürger und Bauersmann, ist der
Soldat gezwungen, sich eine eigene Welt zu zimmern, ein neues Leben und
eine neue Lust. Daß dies Leben nur ein freies, eigenmächtiges Leben sein
kann, ist dem nicht zu verargen, der ein Leben hinter sich lassen muß. um das
zu werden, was er ist. Weit entfernt, ein abfälliges Urteil zu begründen,
zeugt es vielmehr von dem sittlichen Schwung der kriegerischen Volkspoeste, daß
vom ersten bis zum letzten, vom ältesten bis zum neuesten Lied dieser herz¬
erfrischende Hauch der Freiheit weht, der dem Schmerze Valet sagt und ein
Leben dem Tode entgegen zum frohen Leben macht. Freiheit, das ist das
dritte Leitmotiv der kriegerischen Volkspoesie.

Das vierte, das sogar eine sittliche Höhe bedeutet, ist das Motiv vom
guten Kameraden, das seit ältesten Zeiten immer wiederkehrt. Jedesmal,
wenn der Landsknecht an sich selber denkt, denkt er auch an den Herzbruder
an seiner Seite. Die Freude am Kameraden versüßt dem Soldaten das Schwere
seines Standes. Im Kugelregen sieht er seitwärts, wo der andere geht. Die
Tragik des neben ihm Fallenden, die Uhland so herrlich nachempfunden hat,
das Liegenlassen der Verwundeten beim Sturm oder bei der Flucht, der Anblick
des Schlachtfeldes nach geschlagener Schlacht, das ist es. was dem Soldaten
zu allen Zeiten am härtesten an die Nieren gegangen ist:

[Beginn Spaltensatz] Bruder, ach. Bruder, ich bin ja geschossen,
Eine Kugel, die hat mich getroffen.
Geh und hole mir den Feldarzt her,
Ob mir vielleicht »och zu helfen wär. [Spaltenumbruch] Bruder, ach, Bruder, ich kann dir nicht helfen,
Heise dir der liebe, liebe Gott,
Heut oder morgen marschieren wir fort. [Ende Spaltensatz]

So sang vor kaum zwanzig Jahren ein deutscher Soldat auf Chinas Erde.
Aber schon vor zweihundert Jahren sang ein anderer:

[Beginn Spaltensatz] Ach, Bruder, jetzt bin ich geschossen,
Die Kugel hat mich schwer getroffen,
Trag mich in mein Quartier,
Tralali, tralalei, tralala,
Es ist nicht weit von hier. [Spaltenumbruch] Ach, Bruder, ich kann dich nicht tragen,
Die Feinde haben uns geschlagen,
Helf dir der liebe Gott;
Tralali, tralalei. tralala,
Ich muß marschieren in den Tod. [Ende Spaltensatz]

Und vor drei Jahrhunderten klagte ein braver Kriegsmann:


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[0201] Kriegerische volkspocsie Soldat sein hieß und heißt nichts anderes, als ans seinem Leben heraus¬ gerissen werden. Der Dienst schon treibt ihn von Ort zu Ort, und der Krieg wirft ihn in fremde Länder. Und wie oft, wenn er heimkehrt, hat ihm die Liebste inzwischen die Treue gebrochen: Was brauch ich denn dir zu gefallen, Ich hab ja schon längst einen Mann; Der ist ja viel schöner und feiner, Ju, ja, und feiner, Von Herzen gefaltet er mir. So muß er das Bielersee der Liebe kosten, ihr Flüchtiges und nicht ihr Bleibendes, und es ist verständlich, wenn ihm, der so auf die Stunde gestellt ist, schließlich auch die Liebe zum flüchtigen Genuß der Stunde wird. Es ist das alte Lied, das uns schon aus der Landsknechtspoesie entgegen¬ schallte: herausgehoben aus der Welt von Bürger und Bauersmann, ist der Soldat gezwungen, sich eine eigene Welt zu zimmern, ein neues Leben und eine neue Lust. Daß dies Leben nur ein freies, eigenmächtiges Leben sein kann, ist dem nicht zu verargen, der ein Leben hinter sich lassen muß. um das zu werden, was er ist. Weit entfernt, ein abfälliges Urteil zu begründen, zeugt es vielmehr von dem sittlichen Schwung der kriegerischen Volkspoeste, daß vom ersten bis zum letzten, vom ältesten bis zum neuesten Lied dieser herz¬ erfrischende Hauch der Freiheit weht, der dem Schmerze Valet sagt und ein Leben dem Tode entgegen zum frohen Leben macht. Freiheit, das ist das dritte Leitmotiv der kriegerischen Volkspoesie. Das vierte, das sogar eine sittliche Höhe bedeutet, ist das Motiv vom guten Kameraden, das seit ältesten Zeiten immer wiederkehrt. Jedesmal, wenn der Landsknecht an sich selber denkt, denkt er auch an den Herzbruder an seiner Seite. Die Freude am Kameraden versüßt dem Soldaten das Schwere seines Standes. Im Kugelregen sieht er seitwärts, wo der andere geht. Die Tragik des neben ihm Fallenden, die Uhland so herrlich nachempfunden hat, das Liegenlassen der Verwundeten beim Sturm oder bei der Flucht, der Anblick des Schlachtfeldes nach geschlagener Schlacht, das ist es. was dem Soldaten zu allen Zeiten am härtesten an die Nieren gegangen ist: Bruder, ach. Bruder, ich bin ja geschossen, Eine Kugel, die hat mich getroffen. Geh und hole mir den Feldarzt her, Ob mir vielleicht »och zu helfen wär. Bruder, ach, Bruder, ich kann dir nicht helfen, Heise dir der liebe, liebe Gott, Heut oder morgen marschieren wir fort. So sang vor kaum zwanzig Jahren ein deutscher Soldat auf Chinas Erde. Aber schon vor zweihundert Jahren sang ein anderer: Ach, Bruder, jetzt bin ich geschossen, Die Kugel hat mich schwer getroffen, Trag mich in mein Quartier, Tralali, tralalei, tralala, Es ist nicht weit von hier. Ach, Bruder, ich kann dich nicht tragen, Die Feinde haben uns geschlagen, Helf dir der liebe Gott; Tralali, tralalei. tralala, Ich muß marschieren in den Tod. Und vor drei Jahrhunderten klagte ein braver Kriegsmann:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/201>, abgerufen am 03.06.2024.