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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Feind im (öfter

kürlichen Voraussetzungen spinnen sie, logisch folgernd, Systeme heraus, nach
denen sie, ohne Rücksicht auf das im Laufe der natürlichen Entwicklung ge¬
schichtlich Gewordene, ihren Staat einzurichten geneigt sind. Weil aber solches
Verfahren allen gestattet, die Anarchie bedeuten würde, überlassen sie die Ver¬
wirklichung ihrer mehr oder weniger übereinstimmenden logischen Phantasien
einem Gewalthaber und begnügen sich, ein jeder für seine Person, mit dem
Scheine der Freiheit, wie es Bismarck so hübsch schildert mit dem Sprüchlein
von dem Franzosen, der sich geduldig fünfundzwanzig aufzählen läßt, wenn
man ihm nur die französische Freiheit dabei lobt. Kein anderes Volk Europas
wird so bureaukratisch regiert, ist so eng in Polizeivorschriften eingezwängt, übt so
wenig Selbstverwaltung, wie die Franzosen. Die deutschen Gemeinwesen sind aus
der Markgenossenschaft erwachsen. Die Über- und Unterordnungen, die bei fort¬
schreitender Differenzierung auf natürlichen Wegen entstanden, haben die Freiheit
nicht beeinträchtigt. Der Deutsche behielt soviel Freiheit, als mit der öffentlichen
Ordnung verträglich ist, indem jedem in seinem Stande die angemessene Sphäre
des Wirkens zugeteilt war, und jede Stadt, jede Zunft, jede Bauernschaft
sich selbst regierte. So wenig war die öffentliche Ordnung ein Ausfluß des
Fürstenwillens, daß vielmehr der Fürst beim Regierungsantritt, das galt
namentlich in den ganz germanischen Niederlanden, die Rechte der Stände und
die Volksgewohnheiten anzuerkennen hatte, und daß der Bruch dieses Vertrages
durch den Fürsten die Untertanen von der Pflicht des Gehorsams entband;
der moderne Begriff der Souveränität war den mittelalterlichen Germanen
fremd. Der Absolutismus ist freilich auch in Deutschland vorübergehend eine
Notwendigkeit gewesen, aber auf deutschem Boden gewachsen ist er nicht. Er
ist französisches Gewächs; I'Ltat c'e8t moi gilt noch heute, nur daß der
absolute Regent nicht eine einzelne Person ist, sondern eine Gruppe, deren
Mitglieder durch Geldgeschäfte und durch die Handhabung der parlamentarischen
Maschine ans Ruder kommen, und von denen die einen auf der politischen
Schaubühne agieren, während die andern, die Geldfürsten, die eigentlichen
Gewalthaber, hinter den Kulissen bleiben. Den Deutschen wird es niemals
einfallen, mit allem natürlich und historisch Gewordenen radikal aufzuräumen;
sie achten die Natur und das Bestehende, und verfahren wie der Gärtner, der
das Wachstum überwacht, leitet, fördert und die Natur veredelt. Die würfel-
nnd kegelförmig verstutzten Baumkronen der französischen Gärten offenbaren den
französischen Geist.

Von der Charakteristik der Russen bei Prohaska ist die eine Hälfte
zutreffend. Er beginnt mit der Erzählung, wie die Russen die Waräger
gerufen haben sollen, im Lande Ordnung zu schaffen, und führt ganz
richtig aus, daß ihre ungeheure undifferenzierte Ebene die Entstehung charakter¬
voller sozialer Gebilde erschwere, daß ihr europäisch zugeschnittenes Staatswesen
nicht ihr Werk sei, und daß ihnen Rechtssinn und Pflichtgefühl fehlen. Wenn
er aber dann als Grundeigenschaft des Slawen und besonders des Russen


Der Feind im (öfter

kürlichen Voraussetzungen spinnen sie, logisch folgernd, Systeme heraus, nach
denen sie, ohne Rücksicht auf das im Laufe der natürlichen Entwicklung ge¬
schichtlich Gewordene, ihren Staat einzurichten geneigt sind. Weil aber solches
Verfahren allen gestattet, die Anarchie bedeuten würde, überlassen sie die Ver¬
wirklichung ihrer mehr oder weniger übereinstimmenden logischen Phantasien
einem Gewalthaber und begnügen sich, ein jeder für seine Person, mit dem
Scheine der Freiheit, wie es Bismarck so hübsch schildert mit dem Sprüchlein
von dem Franzosen, der sich geduldig fünfundzwanzig aufzählen läßt, wenn
man ihm nur die französische Freiheit dabei lobt. Kein anderes Volk Europas
wird so bureaukratisch regiert, ist so eng in Polizeivorschriften eingezwängt, übt so
wenig Selbstverwaltung, wie die Franzosen. Die deutschen Gemeinwesen sind aus
der Markgenossenschaft erwachsen. Die Über- und Unterordnungen, die bei fort¬
schreitender Differenzierung auf natürlichen Wegen entstanden, haben die Freiheit
nicht beeinträchtigt. Der Deutsche behielt soviel Freiheit, als mit der öffentlichen
Ordnung verträglich ist, indem jedem in seinem Stande die angemessene Sphäre
des Wirkens zugeteilt war, und jede Stadt, jede Zunft, jede Bauernschaft
sich selbst regierte. So wenig war die öffentliche Ordnung ein Ausfluß des
Fürstenwillens, daß vielmehr der Fürst beim Regierungsantritt, das galt
namentlich in den ganz germanischen Niederlanden, die Rechte der Stände und
die Volksgewohnheiten anzuerkennen hatte, und daß der Bruch dieses Vertrages
durch den Fürsten die Untertanen von der Pflicht des Gehorsams entband;
der moderne Begriff der Souveränität war den mittelalterlichen Germanen
fremd. Der Absolutismus ist freilich auch in Deutschland vorübergehend eine
Notwendigkeit gewesen, aber auf deutschem Boden gewachsen ist er nicht. Er
ist französisches Gewächs; I'Ltat c'e8t moi gilt noch heute, nur daß der
absolute Regent nicht eine einzelne Person ist, sondern eine Gruppe, deren
Mitglieder durch Geldgeschäfte und durch die Handhabung der parlamentarischen
Maschine ans Ruder kommen, und von denen die einen auf der politischen
Schaubühne agieren, während die andern, die Geldfürsten, die eigentlichen
Gewalthaber, hinter den Kulissen bleiben. Den Deutschen wird es niemals
einfallen, mit allem natürlich und historisch Gewordenen radikal aufzuräumen;
sie achten die Natur und das Bestehende, und verfahren wie der Gärtner, der
das Wachstum überwacht, leitet, fördert und die Natur veredelt. Die würfel-
nnd kegelförmig verstutzten Baumkronen der französischen Gärten offenbaren den
französischen Geist.

Von der Charakteristik der Russen bei Prohaska ist die eine Hälfte
zutreffend. Er beginnt mit der Erzählung, wie die Russen die Waräger
gerufen haben sollen, im Lande Ordnung zu schaffen, und führt ganz
richtig aus, daß ihre ungeheure undifferenzierte Ebene die Entstehung charakter¬
voller sozialer Gebilde erschwere, daß ihr europäisch zugeschnittenes Staatswesen
nicht ihr Werk sei, und daß ihnen Rechtssinn und Pflichtgefühl fehlen. Wenn
er aber dann als Grundeigenschaft des Slawen und besonders des Russen


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[0022] Der Feind im (öfter kürlichen Voraussetzungen spinnen sie, logisch folgernd, Systeme heraus, nach denen sie, ohne Rücksicht auf das im Laufe der natürlichen Entwicklung ge¬ schichtlich Gewordene, ihren Staat einzurichten geneigt sind. Weil aber solches Verfahren allen gestattet, die Anarchie bedeuten würde, überlassen sie die Ver¬ wirklichung ihrer mehr oder weniger übereinstimmenden logischen Phantasien einem Gewalthaber und begnügen sich, ein jeder für seine Person, mit dem Scheine der Freiheit, wie es Bismarck so hübsch schildert mit dem Sprüchlein von dem Franzosen, der sich geduldig fünfundzwanzig aufzählen läßt, wenn man ihm nur die französische Freiheit dabei lobt. Kein anderes Volk Europas wird so bureaukratisch regiert, ist so eng in Polizeivorschriften eingezwängt, übt so wenig Selbstverwaltung, wie die Franzosen. Die deutschen Gemeinwesen sind aus der Markgenossenschaft erwachsen. Die Über- und Unterordnungen, die bei fort¬ schreitender Differenzierung auf natürlichen Wegen entstanden, haben die Freiheit nicht beeinträchtigt. Der Deutsche behielt soviel Freiheit, als mit der öffentlichen Ordnung verträglich ist, indem jedem in seinem Stande die angemessene Sphäre des Wirkens zugeteilt war, und jede Stadt, jede Zunft, jede Bauernschaft sich selbst regierte. So wenig war die öffentliche Ordnung ein Ausfluß des Fürstenwillens, daß vielmehr der Fürst beim Regierungsantritt, das galt namentlich in den ganz germanischen Niederlanden, die Rechte der Stände und die Volksgewohnheiten anzuerkennen hatte, und daß der Bruch dieses Vertrages durch den Fürsten die Untertanen von der Pflicht des Gehorsams entband; der moderne Begriff der Souveränität war den mittelalterlichen Germanen fremd. Der Absolutismus ist freilich auch in Deutschland vorübergehend eine Notwendigkeit gewesen, aber auf deutschem Boden gewachsen ist er nicht. Er ist französisches Gewächs; I'Ltat c'e8t moi gilt noch heute, nur daß der absolute Regent nicht eine einzelne Person ist, sondern eine Gruppe, deren Mitglieder durch Geldgeschäfte und durch die Handhabung der parlamentarischen Maschine ans Ruder kommen, und von denen die einen auf der politischen Schaubühne agieren, während die andern, die Geldfürsten, die eigentlichen Gewalthaber, hinter den Kulissen bleiben. Den Deutschen wird es niemals einfallen, mit allem natürlich und historisch Gewordenen radikal aufzuräumen; sie achten die Natur und das Bestehende, und verfahren wie der Gärtner, der das Wachstum überwacht, leitet, fördert und die Natur veredelt. Die würfel- nnd kegelförmig verstutzten Baumkronen der französischen Gärten offenbaren den französischen Geist. Von der Charakteristik der Russen bei Prohaska ist die eine Hälfte zutreffend. Er beginnt mit der Erzählung, wie die Russen die Waräger gerufen haben sollen, im Lande Ordnung zu schaffen, und führt ganz richtig aus, daß ihre ungeheure undifferenzierte Ebene die Entstehung charakter¬ voller sozialer Gebilde erschwere, daß ihr europäisch zugeschnittenes Staatswesen nicht ihr Werk sei, und daß ihnen Rechtssinn und Pflichtgefühl fehlen. Wenn er aber dann als Grundeigenschaft des Slawen und besonders des Russen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/22>, abgerufen am 14.05.2024.