Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

gezeigt, soweit sie nicht an sprachliches gebunden ist, eher international und
keinesfalls Gemeingut aller Klassen eines Volkes. Kultur vermag daher eher
die höheren Schichten verschiedener Völker als die verschiedenen Schichten des¬
selben Volkes zu verknüpfen. Hier ist die Kultur in ihren meisten Gebieten
eher trennend als verbindend. Es ist daher ein gut Teil Phrase, wenn die
Kultur im allgemeinen als Bindeglied innerhalb des einzelnen Volkskreises
bezeichnet wird. Besonders falsch ist es, wenn man glaubt, die wirtschaftlichen
Verhältnisse seien ein Vereinigungsmittel. Nichts trennt die Völker so sehr
als gerade diese. Wir haben es erlebt, daß nicht nur West und Ost dadurch
sich verfeindeten, auch zwischen hoch und niedrig liegt hier der tiefste Grund
der Trennung.

Einzelne Kulturphänomene machen allerdings eine Ausnahme, und zwar
vor allem die Religion. Diese ist. ehe die Sprache dazu wurde, das mächtigste
Bindeglied großer Massen gewesen. "Dieselben Götter haben", ist vielfach
gleichbedeutend gewesen mit "sich als ein Volk fühlen". Wir sehen im Islam,
im Christentum (besonders zur Zeit der Kreuzzüge), wie die Religionen selbst
über sprachliche und andere Trennungen hinweg, gewaltige weit zerstreute
Volksmassen einigend zusammenbanden. Soweit überhaupt frühere Zeiten ein
Solidaritätsbewußtsein ganzer Völker kannten, ist es vor allem die Religion
gewesen, die das bewirkt hat. -- Leider sind nun gerade wir Deutschen in der
schwierigen Lage, daß wir die Religion nicht als Bindemittel verwenden
können, im Gegenteil, sie ist für uns die gefährlichste Trennung. Die
Kirchenspaltung verschärft auch die sprachlichen Gegensätze. Der Gegensatz
katholischer Polen zum Preußentum ist viel gefährlicher als der protestantischer
Polen. Gerade dieses sonst so wichtige Bindemittel dürfen wir in Deutschland
nicht heranziehen, im Gegenteil, es müßte die Religion im Interesse unserer
nationalen Einheit möglichst wenig ins politische Leben hineingezogen werden.

Ähnlich verhält es sich oder verhielt es sich wenigstens mit einem anderen
Faktum, das ein Solidaritätsbewußtsein in größeren Kreisen zu schaffen vermag:
dein dynastischen Gefühl. Die gemeinsame Verehrung für eine Person oder
eine Dynastie vermag es, Völker ganz verschiedener Sprache zusammenzuhalten,
was sich uns besonders in Österreich zeigt. Der Monarch wird dann sozusagen
zum sichtbaren Symbol des gemeinsamen Gefühls, und er vermag es durch
seine Persönlichkeit, besonders auf die niederen Massen unendlich mehr zu
wirken, da diesen eine abstrakte Staatsidee meist ganz unverständlich bleibt,
Den abstrakten Staat vermag niemand zu lieben, nur den Menschen, der ihn
repräsentiert. Besonders in früheren Zeiten ist Staat und Dynastie für das
Volk dasselbe gewesen. -- Leider stand es bisher auch hierin in Deutschland
nicht günstig. Deutschland hatte nicht einen, sondern einige Dutzend Monarchen,
die oft feindlich einander gegenüber standen. Erst seit 1871 haben wir einen
sichtbaren Vertreter des ganzen Deutschland, und darum hat das Kaisertum
eine so gewaltige einigende Macht geübt, ganz anders als es je ein noch so


gezeigt, soweit sie nicht an sprachliches gebunden ist, eher international und
keinesfalls Gemeingut aller Klassen eines Volkes. Kultur vermag daher eher
die höheren Schichten verschiedener Völker als die verschiedenen Schichten des¬
selben Volkes zu verknüpfen. Hier ist die Kultur in ihren meisten Gebieten
eher trennend als verbindend. Es ist daher ein gut Teil Phrase, wenn die
Kultur im allgemeinen als Bindeglied innerhalb des einzelnen Volkskreises
bezeichnet wird. Besonders falsch ist es, wenn man glaubt, die wirtschaftlichen
Verhältnisse seien ein Vereinigungsmittel. Nichts trennt die Völker so sehr
als gerade diese. Wir haben es erlebt, daß nicht nur West und Ost dadurch
sich verfeindeten, auch zwischen hoch und niedrig liegt hier der tiefste Grund
der Trennung.

Einzelne Kulturphänomene machen allerdings eine Ausnahme, und zwar
vor allem die Religion. Diese ist. ehe die Sprache dazu wurde, das mächtigste
Bindeglied großer Massen gewesen. „Dieselben Götter haben", ist vielfach
gleichbedeutend gewesen mit „sich als ein Volk fühlen". Wir sehen im Islam,
im Christentum (besonders zur Zeit der Kreuzzüge), wie die Religionen selbst
über sprachliche und andere Trennungen hinweg, gewaltige weit zerstreute
Volksmassen einigend zusammenbanden. Soweit überhaupt frühere Zeiten ein
Solidaritätsbewußtsein ganzer Völker kannten, ist es vor allem die Religion
gewesen, die das bewirkt hat. — Leider sind nun gerade wir Deutschen in der
schwierigen Lage, daß wir die Religion nicht als Bindemittel verwenden
können, im Gegenteil, sie ist für uns die gefährlichste Trennung. Die
Kirchenspaltung verschärft auch die sprachlichen Gegensätze. Der Gegensatz
katholischer Polen zum Preußentum ist viel gefährlicher als der protestantischer
Polen. Gerade dieses sonst so wichtige Bindemittel dürfen wir in Deutschland
nicht heranziehen, im Gegenteil, es müßte die Religion im Interesse unserer
nationalen Einheit möglichst wenig ins politische Leben hineingezogen werden.

Ähnlich verhält es sich oder verhielt es sich wenigstens mit einem anderen
Faktum, das ein Solidaritätsbewußtsein in größeren Kreisen zu schaffen vermag:
dein dynastischen Gefühl. Die gemeinsame Verehrung für eine Person oder
eine Dynastie vermag es, Völker ganz verschiedener Sprache zusammenzuhalten,
was sich uns besonders in Österreich zeigt. Der Monarch wird dann sozusagen
zum sichtbaren Symbol des gemeinsamen Gefühls, und er vermag es durch
seine Persönlichkeit, besonders auf die niederen Massen unendlich mehr zu
wirken, da diesen eine abstrakte Staatsidee meist ganz unverständlich bleibt,
Den abstrakten Staat vermag niemand zu lieben, nur den Menschen, der ihn
repräsentiert. Besonders in früheren Zeiten ist Staat und Dynastie für das
Volk dasselbe gewesen. — Leider stand es bisher auch hierin in Deutschland
nicht günstig. Deutschland hatte nicht einen, sondern einige Dutzend Monarchen,
die oft feindlich einander gegenüber standen. Erst seit 1871 haben wir einen
sichtbaren Vertreter des ganzen Deutschland, und darum hat das Kaisertum
eine so gewaltige einigende Macht geübt, ganz anders als es je ein noch so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323331"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_736" prev="#ID_735"> gezeigt, soweit sie nicht an sprachliches gebunden ist, eher international und<lb/>
keinesfalls Gemeingut aller Klassen eines Volkes. Kultur vermag daher eher<lb/>
die höheren Schichten verschiedener Völker als die verschiedenen Schichten des¬<lb/>
selben Volkes zu verknüpfen. Hier ist die Kultur in ihren meisten Gebieten<lb/>
eher trennend als verbindend. Es ist daher ein gut Teil Phrase, wenn die<lb/>
Kultur im allgemeinen als Bindeglied innerhalb des einzelnen Volkskreises<lb/>
bezeichnet wird. Besonders falsch ist es, wenn man glaubt, die wirtschaftlichen<lb/>
Verhältnisse seien ein Vereinigungsmittel. Nichts trennt die Völker so sehr<lb/>
als gerade diese. Wir haben es erlebt, daß nicht nur West und Ost dadurch<lb/>
sich verfeindeten, auch zwischen hoch und niedrig liegt hier der tiefste Grund<lb/>
der Trennung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_737"> Einzelne Kulturphänomene machen allerdings eine Ausnahme, und zwar<lb/>
vor allem die Religion. Diese ist. ehe die Sprache dazu wurde, das mächtigste<lb/>
Bindeglied großer Massen gewesen. &#x201E;Dieselben Götter haben", ist vielfach<lb/>
gleichbedeutend gewesen mit &#x201E;sich als ein Volk fühlen". Wir sehen im Islam,<lb/>
im Christentum (besonders zur Zeit der Kreuzzüge), wie die Religionen selbst<lb/>
über sprachliche und andere Trennungen hinweg, gewaltige weit zerstreute<lb/>
Volksmassen einigend zusammenbanden. Soweit überhaupt frühere Zeiten ein<lb/>
Solidaritätsbewußtsein ganzer Völker kannten, ist es vor allem die Religion<lb/>
gewesen, die das bewirkt hat. &#x2014; Leider sind nun gerade wir Deutschen in der<lb/>
schwierigen Lage, daß wir die Religion nicht als Bindemittel verwenden<lb/>
können, im Gegenteil, sie ist für uns die gefährlichste Trennung. Die<lb/>
Kirchenspaltung verschärft auch die sprachlichen Gegensätze. Der Gegensatz<lb/>
katholischer Polen zum Preußentum ist viel gefährlicher als der protestantischer<lb/>
Polen. Gerade dieses sonst so wichtige Bindemittel dürfen wir in Deutschland<lb/>
nicht heranziehen, im Gegenteil, es müßte die Religion im Interesse unserer<lb/>
nationalen Einheit möglichst wenig ins politische Leben hineingezogen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_738" next="#ID_739"> Ähnlich verhält es sich oder verhielt es sich wenigstens mit einem anderen<lb/>
Faktum, das ein Solidaritätsbewußtsein in größeren Kreisen zu schaffen vermag:<lb/>
dein dynastischen Gefühl. Die gemeinsame Verehrung für eine Person oder<lb/>
eine Dynastie vermag es, Völker ganz verschiedener Sprache zusammenzuhalten,<lb/>
was sich uns besonders in Österreich zeigt. Der Monarch wird dann sozusagen<lb/>
zum sichtbaren Symbol des gemeinsamen Gefühls, und er vermag es durch<lb/>
seine Persönlichkeit, besonders auf die niederen Massen unendlich mehr zu<lb/>
wirken, da diesen eine abstrakte Staatsidee meist ganz unverständlich bleibt,<lb/>
Den abstrakten Staat vermag niemand zu lieben, nur den Menschen, der ihn<lb/>
repräsentiert. Besonders in früheren Zeiten ist Staat und Dynastie für das<lb/>
Volk dasselbe gewesen. &#x2014; Leider stand es bisher auch hierin in Deutschland<lb/>
nicht günstig. Deutschland hatte nicht einen, sondern einige Dutzend Monarchen,<lb/>
die oft feindlich einander gegenüber standen. Erst seit 1871 haben wir einen<lb/>
sichtbaren Vertreter des ganzen Deutschland, und darum hat das Kaisertum<lb/>
eine so gewaltige einigende Macht geübt, ganz anders als es je ein noch so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] gezeigt, soweit sie nicht an sprachliches gebunden ist, eher international und keinesfalls Gemeingut aller Klassen eines Volkes. Kultur vermag daher eher die höheren Schichten verschiedener Völker als die verschiedenen Schichten des¬ selben Volkes zu verknüpfen. Hier ist die Kultur in ihren meisten Gebieten eher trennend als verbindend. Es ist daher ein gut Teil Phrase, wenn die Kultur im allgemeinen als Bindeglied innerhalb des einzelnen Volkskreises bezeichnet wird. Besonders falsch ist es, wenn man glaubt, die wirtschaftlichen Verhältnisse seien ein Vereinigungsmittel. Nichts trennt die Völker so sehr als gerade diese. Wir haben es erlebt, daß nicht nur West und Ost dadurch sich verfeindeten, auch zwischen hoch und niedrig liegt hier der tiefste Grund der Trennung. Einzelne Kulturphänomene machen allerdings eine Ausnahme, und zwar vor allem die Religion. Diese ist. ehe die Sprache dazu wurde, das mächtigste Bindeglied großer Massen gewesen. „Dieselben Götter haben", ist vielfach gleichbedeutend gewesen mit „sich als ein Volk fühlen". Wir sehen im Islam, im Christentum (besonders zur Zeit der Kreuzzüge), wie die Religionen selbst über sprachliche und andere Trennungen hinweg, gewaltige weit zerstreute Volksmassen einigend zusammenbanden. Soweit überhaupt frühere Zeiten ein Solidaritätsbewußtsein ganzer Völker kannten, ist es vor allem die Religion gewesen, die das bewirkt hat. — Leider sind nun gerade wir Deutschen in der schwierigen Lage, daß wir die Religion nicht als Bindemittel verwenden können, im Gegenteil, sie ist für uns die gefährlichste Trennung. Die Kirchenspaltung verschärft auch die sprachlichen Gegensätze. Der Gegensatz katholischer Polen zum Preußentum ist viel gefährlicher als der protestantischer Polen. Gerade dieses sonst so wichtige Bindemittel dürfen wir in Deutschland nicht heranziehen, im Gegenteil, es müßte die Religion im Interesse unserer nationalen Einheit möglichst wenig ins politische Leben hineingezogen werden. Ähnlich verhält es sich oder verhielt es sich wenigstens mit einem anderen Faktum, das ein Solidaritätsbewußtsein in größeren Kreisen zu schaffen vermag: dein dynastischen Gefühl. Die gemeinsame Verehrung für eine Person oder eine Dynastie vermag es, Völker ganz verschiedener Sprache zusammenzuhalten, was sich uns besonders in Österreich zeigt. Der Monarch wird dann sozusagen zum sichtbaren Symbol des gemeinsamen Gefühls, und er vermag es durch seine Persönlichkeit, besonders auf die niederen Massen unendlich mehr zu wirken, da diesen eine abstrakte Staatsidee meist ganz unverständlich bleibt, Den abstrakten Staat vermag niemand zu lieben, nur den Menschen, der ihn repräsentiert. Besonders in früheren Zeiten ist Staat und Dynastie für das Volk dasselbe gewesen. — Leider stand es bisher auch hierin in Deutschland nicht günstig. Deutschland hatte nicht einen, sondern einige Dutzend Monarchen, die oft feindlich einander gegenüber standen. Erst seit 1871 haben wir einen sichtbaren Vertreter des ganzen Deutschland, und darum hat das Kaisertum eine so gewaltige einigende Macht geübt, ganz anders als es je ein noch so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/234>, abgerufen am 29.05.2024.