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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Haß und das Wesen des Deutschen

entschlossenheit, ja sogar Zaghaftigkeit, die aber an und für sich nicht
Schwäche, sondern höchste Ehrfurcht ist. Sie führt aber gelegentlich auch
zu der mit Recht oft getadelten Schwäche dem Fremden gegenüber, die
wieder zu der verruchten Ausländern ausartete. Der geistige Deutsche
wurde zum Anbeter der Götzen des Auslandes: gibt es einen größeren
Widersinn? Aber wo viel Licht, da ist bekanntlich auch viel Schatten! In¬
dessen war es nicht die Geistigkeit, die ihn die Irrwege wandeln ließ, sondern
nur eine gewisse innere Unerzogenheit, die ihn zum Aufgeben seines hohen
Berufes führte. Kein Volk der Erde hat das Christentum so rein erfaßt, als
das deutsche. Das Wesen der Religion Christi aber ist absolute Geistigkeit, und
man kann ruhig sagen, daß nirgendwo versucht worden ist, dieser Geistigreit von
innen heraus so gerecht zu werden, als im Volke Wolframs von Eschenbach, Walters
von der Vogelweide, Luthers, Goethes, Schillers, Kants, Fichtes und Bismarcks.
Wir wollen keine Lobeshymne des Deutschtums anstimmen, wir wissen allzugut,
wo und wann wir sündigten und nicht zuletzt gerade an unserem eigenen
Wesen. Aber vielleicht liegt in dieser unserer eigenen Erkenntnis wieder etwas
von der Verheißung: ihr seid das Salz der Erde.

Nun braucht wohl nicht erst betont zu werden, daß Geistigkeit an sich
gar nichts zu tun hat mit sogenannter verständiger Nüchternheit, ebensowenig
wie sie Intellektualismus ist, wenn auch zugegeben werden muß, daß sie oft in
der Form des Intellektualismus in Erscheinung getreten ist. Sie äußert sich in
der Praxis des Lebens in der Fähigkeit, eine Sache um ihrer selbst willen zu
treiben. Aber diese Fähigkeit ist eben nicht bloß das Resultat der nüchternen
Überlegung, sondern sie beruht auf dem feinen Gefühl der Gerechtigkeit (eben
jener Gewissenhaftigkeit), der sich das eigene sinnliche Ja oder Nein unterordnet,
also auf der Ehrfurcht, von der vorhin gesprochen wurde. In ihrer höchsten
Äußerung ist Geistigkeit die Drangabe des ganzen Selbst an eine große Idee,
die der Menschheit dient. Geistigkeit ist auch nicht das Vorrecht einzelner Volkskreise.
Wer den deutschen Bauer kennt, weiß, mit wie abwägender Gerechtigkeit auch
heut noch von ihm über die Erscheinungen des Lebens geurteilt wird. Der
deutsche Handwerksmeister aber, der nun freilich auf vielen Gebieten leider schon der
Vergangenheit angehört, war zeitweise direkt Träger einer geistigen Kultur.
Und unsere Arbeiterschaft! Steckt nicht in ihrer politischen Bewegung, so
materiell sie von Anfang an basiert war, zuletzt doch eine starke Geistigkeit,
die sich in ihrer Organisation und der Durchführung ihrer Ideen, ja in diesen
selbst kund tut? Vielleicht aber offenbart sich die allen Volksschichten gemein¬
same Geistigkeit nirgendwo schöner als draußen im Felde. Aus der blutigen
Schlacht, aus Blut und Qual und Schmutz zum Gottesdienst, zur inneren
Einkehr! Die Sinne und Herzen empor zu Gott -- und dann wieder hinaus,
dem Tode entgegen! Und wofür? Für Heimat und Vaterland, für Gott!
Ja, auch der Kampf wird Gottesdienst. Und in dieser Geistigkeit beruht
unsere Größe. Man sieht es draußen, wo man sich nicht gerade Augen und


Der Haß und das Wesen des Deutschen

entschlossenheit, ja sogar Zaghaftigkeit, die aber an und für sich nicht
Schwäche, sondern höchste Ehrfurcht ist. Sie führt aber gelegentlich auch
zu der mit Recht oft getadelten Schwäche dem Fremden gegenüber, die
wieder zu der verruchten Ausländern ausartete. Der geistige Deutsche
wurde zum Anbeter der Götzen des Auslandes: gibt es einen größeren
Widersinn? Aber wo viel Licht, da ist bekanntlich auch viel Schatten! In¬
dessen war es nicht die Geistigkeit, die ihn die Irrwege wandeln ließ, sondern
nur eine gewisse innere Unerzogenheit, die ihn zum Aufgeben seines hohen
Berufes führte. Kein Volk der Erde hat das Christentum so rein erfaßt, als
das deutsche. Das Wesen der Religion Christi aber ist absolute Geistigkeit, und
man kann ruhig sagen, daß nirgendwo versucht worden ist, dieser Geistigreit von
innen heraus so gerecht zu werden, als im Volke Wolframs von Eschenbach, Walters
von der Vogelweide, Luthers, Goethes, Schillers, Kants, Fichtes und Bismarcks.
Wir wollen keine Lobeshymne des Deutschtums anstimmen, wir wissen allzugut,
wo und wann wir sündigten und nicht zuletzt gerade an unserem eigenen
Wesen. Aber vielleicht liegt in dieser unserer eigenen Erkenntnis wieder etwas
von der Verheißung: ihr seid das Salz der Erde.

Nun braucht wohl nicht erst betont zu werden, daß Geistigkeit an sich
gar nichts zu tun hat mit sogenannter verständiger Nüchternheit, ebensowenig
wie sie Intellektualismus ist, wenn auch zugegeben werden muß, daß sie oft in
der Form des Intellektualismus in Erscheinung getreten ist. Sie äußert sich in
der Praxis des Lebens in der Fähigkeit, eine Sache um ihrer selbst willen zu
treiben. Aber diese Fähigkeit ist eben nicht bloß das Resultat der nüchternen
Überlegung, sondern sie beruht auf dem feinen Gefühl der Gerechtigkeit (eben
jener Gewissenhaftigkeit), der sich das eigene sinnliche Ja oder Nein unterordnet,
also auf der Ehrfurcht, von der vorhin gesprochen wurde. In ihrer höchsten
Äußerung ist Geistigkeit die Drangabe des ganzen Selbst an eine große Idee,
die der Menschheit dient. Geistigkeit ist auch nicht das Vorrecht einzelner Volkskreise.
Wer den deutschen Bauer kennt, weiß, mit wie abwägender Gerechtigkeit auch
heut noch von ihm über die Erscheinungen des Lebens geurteilt wird. Der
deutsche Handwerksmeister aber, der nun freilich auf vielen Gebieten leider schon der
Vergangenheit angehört, war zeitweise direkt Träger einer geistigen Kultur.
Und unsere Arbeiterschaft! Steckt nicht in ihrer politischen Bewegung, so
materiell sie von Anfang an basiert war, zuletzt doch eine starke Geistigkeit,
die sich in ihrer Organisation und der Durchführung ihrer Ideen, ja in diesen
selbst kund tut? Vielleicht aber offenbart sich die allen Volksschichten gemein¬
same Geistigkeit nirgendwo schöner als draußen im Felde. Aus der blutigen
Schlacht, aus Blut und Qual und Schmutz zum Gottesdienst, zur inneren
Einkehr! Die Sinne und Herzen empor zu Gott — und dann wieder hinaus,
dem Tode entgegen! Und wofür? Für Heimat und Vaterland, für Gott!
Ja, auch der Kampf wird Gottesdienst. Und in dieser Geistigkeit beruht
unsere Größe. Man sieht es draußen, wo man sich nicht gerade Augen und


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[0355] Der Haß und das Wesen des Deutschen entschlossenheit, ja sogar Zaghaftigkeit, die aber an und für sich nicht Schwäche, sondern höchste Ehrfurcht ist. Sie führt aber gelegentlich auch zu der mit Recht oft getadelten Schwäche dem Fremden gegenüber, die wieder zu der verruchten Ausländern ausartete. Der geistige Deutsche wurde zum Anbeter der Götzen des Auslandes: gibt es einen größeren Widersinn? Aber wo viel Licht, da ist bekanntlich auch viel Schatten! In¬ dessen war es nicht die Geistigkeit, die ihn die Irrwege wandeln ließ, sondern nur eine gewisse innere Unerzogenheit, die ihn zum Aufgeben seines hohen Berufes führte. Kein Volk der Erde hat das Christentum so rein erfaßt, als das deutsche. Das Wesen der Religion Christi aber ist absolute Geistigkeit, und man kann ruhig sagen, daß nirgendwo versucht worden ist, dieser Geistigreit von innen heraus so gerecht zu werden, als im Volke Wolframs von Eschenbach, Walters von der Vogelweide, Luthers, Goethes, Schillers, Kants, Fichtes und Bismarcks. Wir wollen keine Lobeshymne des Deutschtums anstimmen, wir wissen allzugut, wo und wann wir sündigten und nicht zuletzt gerade an unserem eigenen Wesen. Aber vielleicht liegt in dieser unserer eigenen Erkenntnis wieder etwas von der Verheißung: ihr seid das Salz der Erde. Nun braucht wohl nicht erst betont zu werden, daß Geistigkeit an sich gar nichts zu tun hat mit sogenannter verständiger Nüchternheit, ebensowenig wie sie Intellektualismus ist, wenn auch zugegeben werden muß, daß sie oft in der Form des Intellektualismus in Erscheinung getreten ist. Sie äußert sich in der Praxis des Lebens in der Fähigkeit, eine Sache um ihrer selbst willen zu treiben. Aber diese Fähigkeit ist eben nicht bloß das Resultat der nüchternen Überlegung, sondern sie beruht auf dem feinen Gefühl der Gerechtigkeit (eben jener Gewissenhaftigkeit), der sich das eigene sinnliche Ja oder Nein unterordnet, also auf der Ehrfurcht, von der vorhin gesprochen wurde. In ihrer höchsten Äußerung ist Geistigkeit die Drangabe des ganzen Selbst an eine große Idee, die der Menschheit dient. Geistigkeit ist auch nicht das Vorrecht einzelner Volkskreise. Wer den deutschen Bauer kennt, weiß, mit wie abwägender Gerechtigkeit auch heut noch von ihm über die Erscheinungen des Lebens geurteilt wird. Der deutsche Handwerksmeister aber, der nun freilich auf vielen Gebieten leider schon der Vergangenheit angehört, war zeitweise direkt Träger einer geistigen Kultur. Und unsere Arbeiterschaft! Steckt nicht in ihrer politischen Bewegung, so materiell sie von Anfang an basiert war, zuletzt doch eine starke Geistigkeit, die sich in ihrer Organisation und der Durchführung ihrer Ideen, ja in diesen selbst kund tut? Vielleicht aber offenbart sich die allen Volksschichten gemein¬ same Geistigkeit nirgendwo schöner als draußen im Felde. Aus der blutigen Schlacht, aus Blut und Qual und Schmutz zum Gottesdienst, zur inneren Einkehr! Die Sinne und Herzen empor zu Gott — und dann wieder hinaus, dem Tode entgegen! Und wofür? Für Heimat und Vaterland, für Gott! Ja, auch der Kampf wird Gottesdienst. Und in dieser Geistigkeit beruht unsere Größe. Man sieht es draußen, wo man sich nicht gerade Augen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/355>, abgerufen am 04.06.2024.