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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts

Interessant ist. daß auf der Haager Interparlamentarischen Versammlung
ein österreichischer Abgeordneter Dr. von Oberleithner ähnliche Gründe gegen
ein solches Verbot vorbrachte wie jetzt die Amerikaner bezüglich der Waffen¬
lieferungen. Er führte folgendes aus: "Die geplante Resolution zugunsten
eines Verbotes würde in allererster Linie den kapitalkräftigsten Staaten England,
Frankreich, den nordamerikanischen Staaten wie dem Deutschen Reiche nützen;
aber jedenfalls würde sie anderen kapitalsschwächeren Mächten zum Nachteile
gereichen. Ein kapitalsschwacher Staat könnte die gerechteste Sache vertreten,
er würde nicht imstande sein, sie durchzusetzen, sondern auf Gnade und
Ungnade der Willkür des kapitalsstarken Staates ausgeliefert werden. Das
Geld würde geradezu der einzige, der dominierende Faktor in sehr vielen
völkerrechtlichen Fragen werden, und die Eroberungsgelüste und Eroberungs¬
kriege würden sich ins maßlose steigern." Auch hier kann man prinzipiell nur
darauf hinweisen, daß es nicht Aufgabe der neutralen Staaten sein kann, die Un¬
gleichheit der militärischen und wirtschaftlichen Stärke zwischen den Parteien
auszugleichen.

Auch in der Praxis der Staaten ist seit den Balkankriegen ein gewisser
Wandel in der Auffassung vor sich gegangen. Noch 1873 hatte Gladstone im
englischen Parlamente auf eine Anfrage erklärt, die finanzielle Unterstützung
von Kriegführenden oder Revolutionären durch Anleihen gehöre nicht zu den
durch die Neutralität verbotenen Akten. Auch die Zurückweisung einer russischen
Anleihe durch Holland während des Krimkrieges widerspricht der damaligen
Auffassung kaum, da Holland lediglich unter einem Drucke der französischen
Regierung gehandelt haben soll. Noch am 31. Oktober 1912 erklärte Sir
Edward Grey, daß die englischen Bankiers selbst wissen müßten, ob sie eine
Kriegsanleihe unterstützen wollten oder nicht; die Regierung werde nichts tun,
um eine solche finanzielle Unterstützung zu verhindern. Aber bereits zur selben
Zeit bat der französische Ministerpräsident Poincarö die französischen Banken,
Bulgarien kein Geld zur Führung eines neuen Balkankrieg.es vorzustrecken.
Gewiß handelte es sich hier nicht um eine Anleihe, die während des Krieges
von einem Kriegführenden gemacht wurde, sondern um eine solche, die erst die
Mittel zum Beginn eines Krieges liefern sollte. Auch erklärte sich Poincarö
nicht nur gegen die Zulassung von Anleihen, sondern allgemein gegen das
Vorstrecken von Geld zwecks Führung eines Krieges. Aber diese Tatsache
beweist doch immerhin, daß sich eine neue Anschauung Bahn bricht. Nach dem
Financial LommerLial LKronicle" vom 22. August 1914 hat der amerika¬
nische Staatssekretär Bruan auf eine Anfrage bezüglich einer eventuellen Anleihe
erklärt, daß Anleihen von amerikanischen Bankiers an kriegführende Staaten
mit der Neutralität der Vereinigten Staaten unvereinbar seien. I. P. MorganLCo.
ließen darauf bekannt machen, sie könnten auf weitere Verhandlungen wegen
einer Anleihe von hundert Millionen Dollar an Frankreich nicht ein-
gehen.


Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts

Interessant ist. daß auf der Haager Interparlamentarischen Versammlung
ein österreichischer Abgeordneter Dr. von Oberleithner ähnliche Gründe gegen
ein solches Verbot vorbrachte wie jetzt die Amerikaner bezüglich der Waffen¬
lieferungen. Er führte folgendes aus: „Die geplante Resolution zugunsten
eines Verbotes würde in allererster Linie den kapitalkräftigsten Staaten England,
Frankreich, den nordamerikanischen Staaten wie dem Deutschen Reiche nützen;
aber jedenfalls würde sie anderen kapitalsschwächeren Mächten zum Nachteile
gereichen. Ein kapitalsschwacher Staat könnte die gerechteste Sache vertreten,
er würde nicht imstande sein, sie durchzusetzen, sondern auf Gnade und
Ungnade der Willkür des kapitalsstarken Staates ausgeliefert werden. Das
Geld würde geradezu der einzige, der dominierende Faktor in sehr vielen
völkerrechtlichen Fragen werden, und die Eroberungsgelüste und Eroberungs¬
kriege würden sich ins maßlose steigern." Auch hier kann man prinzipiell nur
darauf hinweisen, daß es nicht Aufgabe der neutralen Staaten sein kann, die Un¬
gleichheit der militärischen und wirtschaftlichen Stärke zwischen den Parteien
auszugleichen.

Auch in der Praxis der Staaten ist seit den Balkankriegen ein gewisser
Wandel in der Auffassung vor sich gegangen. Noch 1873 hatte Gladstone im
englischen Parlamente auf eine Anfrage erklärt, die finanzielle Unterstützung
von Kriegführenden oder Revolutionären durch Anleihen gehöre nicht zu den
durch die Neutralität verbotenen Akten. Auch die Zurückweisung einer russischen
Anleihe durch Holland während des Krimkrieges widerspricht der damaligen
Auffassung kaum, da Holland lediglich unter einem Drucke der französischen
Regierung gehandelt haben soll. Noch am 31. Oktober 1912 erklärte Sir
Edward Grey, daß die englischen Bankiers selbst wissen müßten, ob sie eine
Kriegsanleihe unterstützen wollten oder nicht; die Regierung werde nichts tun,
um eine solche finanzielle Unterstützung zu verhindern. Aber bereits zur selben
Zeit bat der französische Ministerpräsident Poincarö die französischen Banken,
Bulgarien kein Geld zur Führung eines neuen Balkankrieg.es vorzustrecken.
Gewiß handelte es sich hier nicht um eine Anleihe, die während des Krieges
von einem Kriegführenden gemacht wurde, sondern um eine solche, die erst die
Mittel zum Beginn eines Krieges liefern sollte. Auch erklärte sich Poincarö
nicht nur gegen die Zulassung von Anleihen, sondern allgemein gegen das
Vorstrecken von Geld zwecks Führung eines Krieges. Aber diese Tatsache
beweist doch immerhin, daß sich eine neue Anschauung Bahn bricht. Nach dem
Financial LommerLial LKronicle" vom 22. August 1914 hat der amerika¬
nische Staatssekretär Bruan auf eine Anfrage bezüglich einer eventuellen Anleihe
erklärt, daß Anleihen von amerikanischen Bankiers an kriegführende Staaten
mit der Neutralität der Vereinigten Staaten unvereinbar seien. I. P. MorganLCo.
ließen darauf bekannt machen, sie könnten auf weitere Verhandlungen wegen
einer Anleihe von hundert Millionen Dollar an Frankreich nicht ein-
gehen.


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[0369] Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts Interessant ist. daß auf der Haager Interparlamentarischen Versammlung ein österreichischer Abgeordneter Dr. von Oberleithner ähnliche Gründe gegen ein solches Verbot vorbrachte wie jetzt die Amerikaner bezüglich der Waffen¬ lieferungen. Er führte folgendes aus: „Die geplante Resolution zugunsten eines Verbotes würde in allererster Linie den kapitalkräftigsten Staaten England, Frankreich, den nordamerikanischen Staaten wie dem Deutschen Reiche nützen; aber jedenfalls würde sie anderen kapitalsschwächeren Mächten zum Nachteile gereichen. Ein kapitalsschwacher Staat könnte die gerechteste Sache vertreten, er würde nicht imstande sein, sie durchzusetzen, sondern auf Gnade und Ungnade der Willkür des kapitalsstarken Staates ausgeliefert werden. Das Geld würde geradezu der einzige, der dominierende Faktor in sehr vielen völkerrechtlichen Fragen werden, und die Eroberungsgelüste und Eroberungs¬ kriege würden sich ins maßlose steigern." Auch hier kann man prinzipiell nur darauf hinweisen, daß es nicht Aufgabe der neutralen Staaten sein kann, die Un¬ gleichheit der militärischen und wirtschaftlichen Stärke zwischen den Parteien auszugleichen. Auch in der Praxis der Staaten ist seit den Balkankriegen ein gewisser Wandel in der Auffassung vor sich gegangen. Noch 1873 hatte Gladstone im englischen Parlamente auf eine Anfrage erklärt, die finanzielle Unterstützung von Kriegführenden oder Revolutionären durch Anleihen gehöre nicht zu den durch die Neutralität verbotenen Akten. Auch die Zurückweisung einer russischen Anleihe durch Holland während des Krimkrieges widerspricht der damaligen Auffassung kaum, da Holland lediglich unter einem Drucke der französischen Regierung gehandelt haben soll. Noch am 31. Oktober 1912 erklärte Sir Edward Grey, daß die englischen Bankiers selbst wissen müßten, ob sie eine Kriegsanleihe unterstützen wollten oder nicht; die Regierung werde nichts tun, um eine solche finanzielle Unterstützung zu verhindern. Aber bereits zur selben Zeit bat der französische Ministerpräsident Poincarö die französischen Banken, Bulgarien kein Geld zur Führung eines neuen Balkankrieg.es vorzustrecken. Gewiß handelte es sich hier nicht um eine Anleihe, die während des Krieges von einem Kriegführenden gemacht wurde, sondern um eine solche, die erst die Mittel zum Beginn eines Krieges liefern sollte. Auch erklärte sich Poincarö nicht nur gegen die Zulassung von Anleihen, sondern allgemein gegen das Vorstrecken von Geld zwecks Führung eines Krieges. Aber diese Tatsache beweist doch immerhin, daß sich eine neue Anschauung Bahn bricht. Nach dem Financial LommerLial LKronicle" vom 22. August 1914 hat der amerika¬ nische Staatssekretär Bruan auf eine Anfrage bezüglich einer eventuellen Anleihe erklärt, daß Anleihen von amerikanischen Bankiers an kriegführende Staaten mit der Neutralität der Vereinigten Staaten unvereinbar seien. I. P. MorganLCo. ließen darauf bekannt machen, sie könnten auf weitere Verhandlungen wegen einer Anleihe von hundert Millionen Dollar an Frankreich nicht ein- gehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/369>, abgerufen am 04.06.2024.