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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Das große wecken

wächst über dem Wald -- Mond -- du Guter! Trostspender l -- du verläßt
mich nicht--

Walter Werdens Hände greifen in die Nacht. Kein Fieber ist es und
kein verreckender Todeskampf. Will er das Mondlicht greifen -- will er die
Nacht streicheln?

Seine Finger, seine Hände bewegen sich -- Formen schaffen sie -- und
vor seinem erlöschenden Auge wachsen Gebilde, wie so schön er nie sie sah --

Helden sind es -- stille, schweigende, ernste Helden, Kämpfer -- und
Sieger.

Frauen auch schafft er, aber nicht mehr tanzende, sich windende, nixenhafte
Symbole des Meeres, dessen Rätsel er nie gelöst. Ruhig und fest stehen die
Frauengestalten, ihr Auge ist klar -- sie schauen hinaus, wo die Männer im
Kampfe stehen--und die Demut, die Fassung, die Treue wohnt in ihnen.
Mütter sind es und Gattinnen.

Welch ein gewaltiger Schöpfer ward Walter Werden. Steht nicht dort
sein Haus am Meer -- der Tempel der Schönheit? Lebe wohl, du stilles,
schönes Haus -- wo ich der Nacht und dem Meere lauschte, die Rätsel der
Welt zu ergründen. Sieh, mein Haus -- der Mond geht mit mir -- ich
teile seine Fahrt -- und die Nacht nimmt mich mit--es gibt nicht mehr
Rätsel, die mich quälen -- und die Welt ist so einfach, das Leben so leicht!

Müde sinken die schaffenden Hände. Haben sie genug getan? -- Leiser
wird, verröchelnd der Atem---

Was klingt und dröhnt da stampfend durch die Nacht . . .

Schwarz und schattenhaft zieht es dahin: Helme und Pferdeköpfe -- der
Boden dröhnt -- Geschütze und Männer -- Pferde und Wagen.

Deutsche Truppen marschieren nach Ost. Hinter ihm her, dem geschlagenen
Russen--hinter ihm her -- in die Sümpfe, in die Seen ihn zu werfen,
den Räuber, eine mächtige, nächtliche Heerschar.

Leise verrauscht in dem eiligen Takt der Geräusche ein Atem. Hoch steht
der Mond. Segnend umgreift sein Strahl ein bleiches Antlitz. Hört er es
noch? Klingt es wie Gotteswort hinüber ins andere Leben -- von fern
vom Osten -- das jubelnde Wort:

"Sieg!"




Das große wecken

wächst über dem Wald — Mond — du Guter! Trostspender l — du verläßt
mich nicht--

Walter Werdens Hände greifen in die Nacht. Kein Fieber ist es und
kein verreckender Todeskampf. Will er das Mondlicht greifen — will er die
Nacht streicheln?

Seine Finger, seine Hände bewegen sich — Formen schaffen sie — und
vor seinem erlöschenden Auge wachsen Gebilde, wie so schön er nie sie sah —

Helden sind es — stille, schweigende, ernste Helden, Kämpfer — und
Sieger.

Frauen auch schafft er, aber nicht mehr tanzende, sich windende, nixenhafte
Symbole des Meeres, dessen Rätsel er nie gelöst. Ruhig und fest stehen die
Frauengestalten, ihr Auge ist klar — sie schauen hinaus, wo die Männer im
Kampfe stehen--und die Demut, die Fassung, die Treue wohnt in ihnen.
Mütter sind es und Gattinnen.

Welch ein gewaltiger Schöpfer ward Walter Werden. Steht nicht dort
sein Haus am Meer — der Tempel der Schönheit? Lebe wohl, du stilles,
schönes Haus — wo ich der Nacht und dem Meere lauschte, die Rätsel der
Welt zu ergründen. Sieh, mein Haus — der Mond geht mit mir — ich
teile seine Fahrt — und die Nacht nimmt mich mit--es gibt nicht mehr
Rätsel, die mich quälen — und die Welt ist so einfach, das Leben so leicht!

Müde sinken die schaffenden Hände. Haben sie genug getan? — Leiser
wird, verröchelnd der Atem---

Was klingt und dröhnt da stampfend durch die Nacht . . .

Schwarz und schattenhaft zieht es dahin: Helme und Pferdeköpfe — der
Boden dröhnt — Geschütze und Männer — Pferde und Wagen.

Deutsche Truppen marschieren nach Ost. Hinter ihm her, dem geschlagenen
Russen--hinter ihm her — in die Sümpfe, in die Seen ihn zu werfen,
den Räuber, eine mächtige, nächtliche Heerschar.

Leise verrauscht in dem eiligen Takt der Geräusche ein Atem. Hoch steht
der Mond. Segnend umgreift sein Strahl ein bleiches Antlitz. Hört er es
noch? Klingt es wie Gotteswort hinüber ins andere Leben — von fern
vom Osten — das jubelnde Wort:

„Sieg!"




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[0388] Das große wecken wächst über dem Wald — Mond — du Guter! Trostspender l — du verläßt mich nicht-- Walter Werdens Hände greifen in die Nacht. Kein Fieber ist es und kein verreckender Todeskampf. Will er das Mondlicht greifen — will er die Nacht streicheln? Seine Finger, seine Hände bewegen sich — Formen schaffen sie — und vor seinem erlöschenden Auge wachsen Gebilde, wie so schön er nie sie sah — Helden sind es — stille, schweigende, ernste Helden, Kämpfer — und Sieger. Frauen auch schafft er, aber nicht mehr tanzende, sich windende, nixenhafte Symbole des Meeres, dessen Rätsel er nie gelöst. Ruhig und fest stehen die Frauengestalten, ihr Auge ist klar — sie schauen hinaus, wo die Männer im Kampfe stehen--und die Demut, die Fassung, die Treue wohnt in ihnen. Mütter sind es und Gattinnen. Welch ein gewaltiger Schöpfer ward Walter Werden. Steht nicht dort sein Haus am Meer — der Tempel der Schönheit? Lebe wohl, du stilles, schönes Haus — wo ich der Nacht und dem Meere lauschte, die Rätsel der Welt zu ergründen. Sieh, mein Haus — der Mond geht mit mir — ich teile seine Fahrt — und die Nacht nimmt mich mit--es gibt nicht mehr Rätsel, die mich quälen — und die Welt ist so einfach, das Leben so leicht! Müde sinken die schaffenden Hände. Haben sie genug getan? — Leiser wird, verröchelnd der Atem--- Was klingt und dröhnt da stampfend durch die Nacht . . . Schwarz und schattenhaft zieht es dahin: Helme und Pferdeköpfe — der Boden dröhnt — Geschütze und Männer — Pferde und Wagen. Deutsche Truppen marschieren nach Ost. Hinter ihm her, dem geschlagenen Russen--hinter ihm her — in die Sümpfe, in die Seen ihn zu werfen, den Räuber, eine mächtige, nächtliche Heerschar. Leise verrauscht in dem eiligen Takt der Geräusche ein Atem. Hoch steht der Mond. Segnend umgreift sein Strahl ein bleiches Antlitz. Hört er es noch? Klingt es wie Gotteswort hinüber ins andere Leben — von fern vom Osten — das jubelnde Wort: „Sieg!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/388>, abgerufen am 29.05.2024.