Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der deutsch-englische Gegensatz

erholte, geriet fast der ganze Überseehandel in englische Hände. Damals wurde
Helgoland englischer Besitz, und daß die Niederlande und Elsaß von Deutschland
getrennt blieben, dankt Frankreich Englands Beistand.

Eine kleine Zeitspanne vorher war die Dampfkraft in den Dienst der
menschlichen Arbeit gestellt worden, und dieses folgenreichste Ereignis in der
Geschichte der menschlichen Arbeit kam in erster Linie England zugute. Die
Erfindungen Watts und Arkwrights ließen England zum Großfabrikanten der
Welt werden. Und die Umwälzungen im Verkehrswesen im dritten und vierten
Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts -- das Werk Symingtons. Stephen-
sons u. a. -- vollendeten die wirtschaftliche Vorherrschaft Englands. Gro߬
britannien wurde "die privilegierte Macht des Verkehrs", und die Erfahrungen,
die wir mit dem interozeanischen Kabelverkehr gemacht haben, zeigen, daß auch
heute England dieses Privileg noch nicht entrissen worden ist.

Die überragende Wirtschaftsentwicklung des Vereinigten Königreiches wurde
wesentlich begünstigt durch die tiefe wirtschaftlche Erschöpfung des Festlandes nach
den napoleonischen Kriegen. Der erste wirtschastspolitische Schritt nach den
Befreiungskriegen bestand bei fast allen Staaten, die an der Niederwerfung
Napoleons teilgenommen hatten, darin, sich wirtschaftlich abzuschließen. Zu
gleicher Zeit suchte England die während der Kontinentalsperre angehäuften
Waren um jeden Preis auf dem Festlande, besonders in Deutschland, das zahl¬
reiche Einfalltore bot. abzusetzen. Die Hauptausfuhrartikel Preußens hingegen,
Getreide, Holz und schlesische Leinwand, schloß es durch hohe Zölle und sonstige
Einfuhrerschwerungen von seinem Markte aus. Da tat Preußen mit dem
berühmten Zollgesetz von 1818 den ersten Schritt zur Erringung seiner wirtschaft¬
lichen Großmachtstellung, und es ist bezeichnend, daß man in England die
Bedeutung dieses Gesetzes sofort erkannte. Das Unerhörte dieses neuen Gesetzes
bestand darin, daß es alle Provinzialzölle beseitigte, alle Einfuhr- und Durchfuhr¬
verbote aufhob und die Zollsätze außerordentlich ermäßigte. England, das bisher
die preußische Schiffahrt belästigt und die Einfuhr erschwert hatte, schloß wenige
Jahre später einen Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Preußen. Der Leiter
des öoarä ok 1>a<1e, Huskisson, richtete an das Parlament sogar die Aufforderung,
Großbritannien bald ein Zollsystem nach dem Vorbild der liberalen preußischen
Zollgesetzgebung zu bescheren.

Das Gesetz von 1818 war die Vorbereitung des Zollvereins, der im Jahre
1834 zwischen Preußen, Hessen, Bayern und Württemberg zustande kam. Auch
hierbei war Großbritannien wiederum zur Stelle. Mir diplomatischen Ränken,
aber auch mit 8farce 8öl-vice money versuchte England die Gründung des
Zollvereins und später seine Erweiterung zu hintertreiben. Wie hoch die Engländer
die Bedeutung des Zollvereins, den sie wie eine kleine Kontinentalsperre empfanden,
einschätzten, zeigt sich auch darin, daß sie im Jahre 1839 einen Volkswirt eigens
zum Studium der Qerman Luswm liZue nach dem Festland sandten. Sein
Bericht, der dem Parlament vorgelegt wurde, trug dazu bei, daß man jenseits


Der deutsch-englische Gegensatz

erholte, geriet fast der ganze Überseehandel in englische Hände. Damals wurde
Helgoland englischer Besitz, und daß die Niederlande und Elsaß von Deutschland
getrennt blieben, dankt Frankreich Englands Beistand.

Eine kleine Zeitspanne vorher war die Dampfkraft in den Dienst der
menschlichen Arbeit gestellt worden, und dieses folgenreichste Ereignis in der
Geschichte der menschlichen Arbeit kam in erster Linie England zugute. Die
Erfindungen Watts und Arkwrights ließen England zum Großfabrikanten der
Welt werden. Und die Umwälzungen im Verkehrswesen im dritten und vierten
Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts — das Werk Symingtons. Stephen-
sons u. a. — vollendeten die wirtschaftliche Vorherrschaft Englands. Gro߬
britannien wurde „die privilegierte Macht des Verkehrs", und die Erfahrungen,
die wir mit dem interozeanischen Kabelverkehr gemacht haben, zeigen, daß auch
heute England dieses Privileg noch nicht entrissen worden ist.

Die überragende Wirtschaftsentwicklung des Vereinigten Königreiches wurde
wesentlich begünstigt durch die tiefe wirtschaftlche Erschöpfung des Festlandes nach
den napoleonischen Kriegen. Der erste wirtschastspolitische Schritt nach den
Befreiungskriegen bestand bei fast allen Staaten, die an der Niederwerfung
Napoleons teilgenommen hatten, darin, sich wirtschaftlich abzuschließen. Zu
gleicher Zeit suchte England die während der Kontinentalsperre angehäuften
Waren um jeden Preis auf dem Festlande, besonders in Deutschland, das zahl¬
reiche Einfalltore bot. abzusetzen. Die Hauptausfuhrartikel Preußens hingegen,
Getreide, Holz und schlesische Leinwand, schloß es durch hohe Zölle und sonstige
Einfuhrerschwerungen von seinem Markte aus. Da tat Preußen mit dem
berühmten Zollgesetz von 1818 den ersten Schritt zur Erringung seiner wirtschaft¬
lichen Großmachtstellung, und es ist bezeichnend, daß man in England die
Bedeutung dieses Gesetzes sofort erkannte. Das Unerhörte dieses neuen Gesetzes
bestand darin, daß es alle Provinzialzölle beseitigte, alle Einfuhr- und Durchfuhr¬
verbote aufhob und die Zollsätze außerordentlich ermäßigte. England, das bisher
die preußische Schiffahrt belästigt und die Einfuhr erschwert hatte, schloß wenige
Jahre später einen Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Preußen. Der Leiter
des öoarä ok 1>a<1e, Huskisson, richtete an das Parlament sogar die Aufforderung,
Großbritannien bald ein Zollsystem nach dem Vorbild der liberalen preußischen
Zollgesetzgebung zu bescheren.

Das Gesetz von 1818 war die Vorbereitung des Zollvereins, der im Jahre
1834 zwischen Preußen, Hessen, Bayern und Württemberg zustande kam. Auch
hierbei war Großbritannien wiederum zur Stelle. Mir diplomatischen Ränken,
aber auch mit 8farce 8öl-vice money versuchte England die Gründung des
Zollvereins und später seine Erweiterung zu hintertreiben. Wie hoch die Engländer
die Bedeutung des Zollvereins, den sie wie eine kleine Kontinentalsperre empfanden,
einschätzten, zeigt sich auch darin, daß sie im Jahre 1839 einen Volkswirt eigens
zum Studium der Qerman Luswm liZue nach dem Festland sandten. Sein
Bericht, der dem Parlament vorgelegt wurde, trug dazu bei, daß man jenseits


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323144"/>
          <fw type="header" place="top"> Der deutsch-englische Gegensatz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_70" prev="#ID_69"> erholte, geriet fast der ganze Überseehandel in englische Hände. Damals wurde<lb/>
Helgoland englischer Besitz, und daß die Niederlande und Elsaß von Deutschland<lb/>
getrennt blieben, dankt Frankreich Englands Beistand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_71"> Eine kleine Zeitspanne vorher war die Dampfkraft in den Dienst der<lb/>
menschlichen Arbeit gestellt worden, und dieses folgenreichste Ereignis in der<lb/>
Geschichte der menschlichen Arbeit kam in erster Linie England zugute. Die<lb/>
Erfindungen Watts und Arkwrights ließen England zum Großfabrikanten der<lb/>
Welt werden. Und die Umwälzungen im Verkehrswesen im dritten und vierten<lb/>
Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts &#x2014; das Werk Symingtons. Stephen-<lb/>
sons u. a. &#x2014; vollendeten die wirtschaftliche Vorherrschaft Englands. Gro߬<lb/>
britannien wurde &#x201E;die privilegierte Macht des Verkehrs", und die Erfahrungen,<lb/>
die wir mit dem interozeanischen Kabelverkehr gemacht haben, zeigen, daß auch<lb/>
heute England dieses Privileg noch nicht entrissen worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_72"> Die überragende Wirtschaftsentwicklung des Vereinigten Königreiches wurde<lb/>
wesentlich begünstigt durch die tiefe wirtschaftlche Erschöpfung des Festlandes nach<lb/>
den napoleonischen Kriegen. Der erste wirtschastspolitische Schritt nach den<lb/>
Befreiungskriegen bestand bei fast allen Staaten, die an der Niederwerfung<lb/>
Napoleons teilgenommen hatten, darin, sich wirtschaftlich abzuschließen. Zu<lb/>
gleicher Zeit suchte England die während der Kontinentalsperre angehäuften<lb/>
Waren um jeden Preis auf dem Festlande, besonders in Deutschland, das zahl¬<lb/>
reiche Einfalltore bot. abzusetzen. Die Hauptausfuhrartikel Preußens hingegen,<lb/>
Getreide, Holz und schlesische Leinwand, schloß es durch hohe Zölle und sonstige<lb/>
Einfuhrerschwerungen von seinem Markte aus. Da tat Preußen mit dem<lb/>
berühmten Zollgesetz von 1818 den ersten Schritt zur Erringung seiner wirtschaft¬<lb/>
lichen Großmachtstellung, und es ist bezeichnend, daß man in England die<lb/>
Bedeutung dieses Gesetzes sofort erkannte. Das Unerhörte dieses neuen Gesetzes<lb/>
bestand darin, daß es alle Provinzialzölle beseitigte, alle Einfuhr- und Durchfuhr¬<lb/>
verbote aufhob und die Zollsätze außerordentlich ermäßigte. England, das bisher<lb/>
die preußische Schiffahrt belästigt und die Einfuhr erschwert hatte, schloß wenige<lb/>
Jahre später einen Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Preußen. Der Leiter<lb/>
des öoarä ok 1&gt;a&lt;1e, Huskisson, richtete an das Parlament sogar die Aufforderung,<lb/>
Großbritannien bald ein Zollsystem nach dem Vorbild der liberalen preußischen<lb/>
Zollgesetzgebung zu bescheren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_73" next="#ID_74"> Das Gesetz von 1818 war die Vorbereitung des Zollvereins, der im Jahre<lb/>
1834 zwischen Preußen, Hessen, Bayern und Württemberg zustande kam. Auch<lb/>
hierbei war Großbritannien wiederum zur Stelle. Mir diplomatischen Ränken,<lb/>
aber auch mit 8farce 8öl-vice money versuchte England die Gründung des<lb/>
Zollvereins und später seine Erweiterung zu hintertreiben. Wie hoch die Engländer<lb/>
die Bedeutung des Zollvereins, den sie wie eine kleine Kontinentalsperre empfanden,<lb/>
einschätzten, zeigt sich auch darin, daß sie im Jahre 1839 einen Volkswirt eigens<lb/>
zum Studium der Qerman Luswm liZue nach dem Festland sandten. Sein<lb/>
Bericht, der dem Parlament vorgelegt wurde, trug dazu bei, daß man jenseits</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0046] Der deutsch-englische Gegensatz erholte, geriet fast der ganze Überseehandel in englische Hände. Damals wurde Helgoland englischer Besitz, und daß die Niederlande und Elsaß von Deutschland getrennt blieben, dankt Frankreich Englands Beistand. Eine kleine Zeitspanne vorher war die Dampfkraft in den Dienst der menschlichen Arbeit gestellt worden, und dieses folgenreichste Ereignis in der Geschichte der menschlichen Arbeit kam in erster Linie England zugute. Die Erfindungen Watts und Arkwrights ließen England zum Großfabrikanten der Welt werden. Und die Umwälzungen im Verkehrswesen im dritten und vierten Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts — das Werk Symingtons. Stephen- sons u. a. — vollendeten die wirtschaftliche Vorherrschaft Englands. Gro߬ britannien wurde „die privilegierte Macht des Verkehrs", und die Erfahrungen, die wir mit dem interozeanischen Kabelverkehr gemacht haben, zeigen, daß auch heute England dieses Privileg noch nicht entrissen worden ist. Die überragende Wirtschaftsentwicklung des Vereinigten Königreiches wurde wesentlich begünstigt durch die tiefe wirtschaftlche Erschöpfung des Festlandes nach den napoleonischen Kriegen. Der erste wirtschastspolitische Schritt nach den Befreiungskriegen bestand bei fast allen Staaten, die an der Niederwerfung Napoleons teilgenommen hatten, darin, sich wirtschaftlich abzuschließen. Zu gleicher Zeit suchte England die während der Kontinentalsperre angehäuften Waren um jeden Preis auf dem Festlande, besonders in Deutschland, das zahl¬ reiche Einfalltore bot. abzusetzen. Die Hauptausfuhrartikel Preußens hingegen, Getreide, Holz und schlesische Leinwand, schloß es durch hohe Zölle und sonstige Einfuhrerschwerungen von seinem Markte aus. Da tat Preußen mit dem berühmten Zollgesetz von 1818 den ersten Schritt zur Erringung seiner wirtschaft¬ lichen Großmachtstellung, und es ist bezeichnend, daß man in England die Bedeutung dieses Gesetzes sofort erkannte. Das Unerhörte dieses neuen Gesetzes bestand darin, daß es alle Provinzialzölle beseitigte, alle Einfuhr- und Durchfuhr¬ verbote aufhob und die Zollsätze außerordentlich ermäßigte. England, das bisher die preußische Schiffahrt belästigt und die Einfuhr erschwert hatte, schloß wenige Jahre später einen Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Preußen. Der Leiter des öoarä ok 1>a<1e, Huskisson, richtete an das Parlament sogar die Aufforderung, Großbritannien bald ein Zollsystem nach dem Vorbild der liberalen preußischen Zollgesetzgebung zu bescheren. Das Gesetz von 1818 war die Vorbereitung des Zollvereins, der im Jahre 1834 zwischen Preußen, Hessen, Bayern und Württemberg zustande kam. Auch hierbei war Großbritannien wiederum zur Stelle. Mir diplomatischen Ränken, aber auch mit 8farce 8öl-vice money versuchte England die Gründung des Zollvereins und später seine Erweiterung zu hintertreiben. Wie hoch die Engländer die Bedeutung des Zollvereins, den sie wie eine kleine Kontinentalsperre empfanden, einschätzten, zeigt sich auch darin, daß sie im Jahre 1839 einen Volkswirt eigens zum Studium der Qerman Luswm liZue nach dem Festland sandten. Sein Bericht, der dem Parlament vorgelegt wurde, trug dazu bei, daß man jenseits

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/46
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/46>, abgerufen am 15.05.2024.