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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsch-englische Gegensatz

des Kanals die Entwicklung des Zollvereins nicht mehr aus dem Auge verlor.
Bei jeder Generalkonferenz waren britische Agenten, die eifrig darüber wachten, daß
keine Zolländerung beschlossen wurde, die gegen die heiligen Geschäftsinteressen
Englands verstieß. Auf der Karlsruher Zollkonferenz von 1845 forderten z. B.
die süddeutschen Staaten eine Erhöhung der Garnzölle. Andere Zollvereins¬
vertreter waren dagegen. Das führte zu Zwistigkeiten, die von englischen Agenten
eifrig geschürt wurden, so daß in der Tat keine Einigung zustande kam.
Daraufhin lud der englische Gesandte die Mitglieder der Konferenz zu einem
Siegesmahl. Der preußische Vertreter sorgte allerdings dafür, daß dieser
Dreistigkeit die gebührende Antwort zuteil wurde.

Seinen Hauptgegner sah England damals freilich nicht in Preußen --
Deutschland, sondern in Frankreich. Diese Gegnerschaft ist deshalb erwähnens-
wert, weil sie mit den gleichen Mitteln arbeitete, mit der die englische Hetze
gegen Deutschland seit Jahren geführt worden ist. Ein Nationalökonom, der
berühmte Freihändler Cobden hat seinerzeit in einer Flugschrift diese Rüstungs¬
hetze hübsch geschildert. T'Ke tiiree ?uniL8 heißt die Schrift, die uns zeigt,
wie seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder von gewissen
Kreisen die Wahnidee gepredigt wurde, daß Frankreich England überfallen
wolle. Als erster gab der greise Herzog von Wellington das Alarmzeichen. Er
schrieb 1847 in einem Briefe über die nationalen Verteidigungsmittel: "Es
gibt an unserer Küste keine Stelle, wo nicht Infanterie ans Land geworfen
werden kann, bei Ebbe und Flut, bei jedem Wind und Wetter." Die Presse
nahm diese Worte auf. Ängstlich wurde in der Folge die Entwicklung der
französischen Marine überwacht und bei jeder Gelegenheit Frankreich unverblümt
als der Bedroher der englischen Küste bezeichnet. Selbst der erste Seelord,
Sir John Packington, scheute sich nicht, öffentlich die französischen Schiffe zu
zählen, um die Bedrohung Englands nachzuweisen. Und alle die bekannten
Kniffe und Schliche, die Churchill in seinen Flottenreden gegen Deutschland
angewendet hat, sehen wir schon Ende der fünfziger Jahre bei der englischen
Admiralität und im Unterhaus in: Schwange: von den eigenen Schiffen wird
eine Anzahl unterschlagen, die Baudaten werden gefälscht, die Tonnenzahlen
falsch angegeben usw. Alles das geschieht, um die eigene Flotte schwach er¬
scheinen zu lassen und Frankreich als den Angreifer hinzustellen. Erst der
deutsch'französische Krieg ließ das Gespenst einer französischen Invasion am
Horizont Englands verschwinden. Deutschland sollte die Stelle des zweiten
Kaiserreiches in den politischen Zwangsvorstellungen der Engländer ein¬
nehmen.

Nach dein Kriege setzte ein beispielloser wirtschaftlicher Aufschwung in
Frankreich und Deutschland, in England, Österreich usw. ein. Wie immer nach
einem Kriege galt es. die Lücken, die der Verbrauch gerissen und die die
Produktion gelassen hatte, auszufüllen. Die Flotte aber war damals und noch
lange Jahre nachher das Stiefkind der deutschen Wehrpolitik. Die Landmacht


Der deutsch-englische Gegensatz

des Kanals die Entwicklung des Zollvereins nicht mehr aus dem Auge verlor.
Bei jeder Generalkonferenz waren britische Agenten, die eifrig darüber wachten, daß
keine Zolländerung beschlossen wurde, die gegen die heiligen Geschäftsinteressen
Englands verstieß. Auf der Karlsruher Zollkonferenz von 1845 forderten z. B.
die süddeutschen Staaten eine Erhöhung der Garnzölle. Andere Zollvereins¬
vertreter waren dagegen. Das führte zu Zwistigkeiten, die von englischen Agenten
eifrig geschürt wurden, so daß in der Tat keine Einigung zustande kam.
Daraufhin lud der englische Gesandte die Mitglieder der Konferenz zu einem
Siegesmahl. Der preußische Vertreter sorgte allerdings dafür, daß dieser
Dreistigkeit die gebührende Antwort zuteil wurde.

Seinen Hauptgegner sah England damals freilich nicht in Preußen —
Deutschland, sondern in Frankreich. Diese Gegnerschaft ist deshalb erwähnens-
wert, weil sie mit den gleichen Mitteln arbeitete, mit der die englische Hetze
gegen Deutschland seit Jahren geführt worden ist. Ein Nationalökonom, der
berühmte Freihändler Cobden hat seinerzeit in einer Flugschrift diese Rüstungs¬
hetze hübsch geschildert. T'Ke tiiree ?uniL8 heißt die Schrift, die uns zeigt,
wie seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder von gewissen
Kreisen die Wahnidee gepredigt wurde, daß Frankreich England überfallen
wolle. Als erster gab der greise Herzog von Wellington das Alarmzeichen. Er
schrieb 1847 in einem Briefe über die nationalen Verteidigungsmittel: „Es
gibt an unserer Küste keine Stelle, wo nicht Infanterie ans Land geworfen
werden kann, bei Ebbe und Flut, bei jedem Wind und Wetter." Die Presse
nahm diese Worte auf. Ängstlich wurde in der Folge die Entwicklung der
französischen Marine überwacht und bei jeder Gelegenheit Frankreich unverblümt
als der Bedroher der englischen Küste bezeichnet. Selbst der erste Seelord,
Sir John Packington, scheute sich nicht, öffentlich die französischen Schiffe zu
zählen, um die Bedrohung Englands nachzuweisen. Und alle die bekannten
Kniffe und Schliche, die Churchill in seinen Flottenreden gegen Deutschland
angewendet hat, sehen wir schon Ende der fünfziger Jahre bei der englischen
Admiralität und im Unterhaus in: Schwange: von den eigenen Schiffen wird
eine Anzahl unterschlagen, die Baudaten werden gefälscht, die Tonnenzahlen
falsch angegeben usw. Alles das geschieht, um die eigene Flotte schwach er¬
scheinen zu lassen und Frankreich als den Angreifer hinzustellen. Erst der
deutsch'französische Krieg ließ das Gespenst einer französischen Invasion am
Horizont Englands verschwinden. Deutschland sollte die Stelle des zweiten
Kaiserreiches in den politischen Zwangsvorstellungen der Engländer ein¬
nehmen.

Nach dein Kriege setzte ein beispielloser wirtschaftlicher Aufschwung in
Frankreich und Deutschland, in England, Österreich usw. ein. Wie immer nach
einem Kriege galt es. die Lücken, die der Verbrauch gerissen und die die
Produktion gelassen hatte, auszufüllen. Die Flotte aber war damals und noch
lange Jahre nachher das Stiefkind der deutschen Wehrpolitik. Die Landmacht


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[0047] Der deutsch-englische Gegensatz des Kanals die Entwicklung des Zollvereins nicht mehr aus dem Auge verlor. Bei jeder Generalkonferenz waren britische Agenten, die eifrig darüber wachten, daß keine Zolländerung beschlossen wurde, die gegen die heiligen Geschäftsinteressen Englands verstieß. Auf der Karlsruher Zollkonferenz von 1845 forderten z. B. die süddeutschen Staaten eine Erhöhung der Garnzölle. Andere Zollvereins¬ vertreter waren dagegen. Das führte zu Zwistigkeiten, die von englischen Agenten eifrig geschürt wurden, so daß in der Tat keine Einigung zustande kam. Daraufhin lud der englische Gesandte die Mitglieder der Konferenz zu einem Siegesmahl. Der preußische Vertreter sorgte allerdings dafür, daß dieser Dreistigkeit die gebührende Antwort zuteil wurde. Seinen Hauptgegner sah England damals freilich nicht in Preußen — Deutschland, sondern in Frankreich. Diese Gegnerschaft ist deshalb erwähnens- wert, weil sie mit den gleichen Mitteln arbeitete, mit der die englische Hetze gegen Deutschland seit Jahren geführt worden ist. Ein Nationalökonom, der berühmte Freihändler Cobden hat seinerzeit in einer Flugschrift diese Rüstungs¬ hetze hübsch geschildert. T'Ke tiiree ?uniL8 heißt die Schrift, die uns zeigt, wie seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder von gewissen Kreisen die Wahnidee gepredigt wurde, daß Frankreich England überfallen wolle. Als erster gab der greise Herzog von Wellington das Alarmzeichen. Er schrieb 1847 in einem Briefe über die nationalen Verteidigungsmittel: „Es gibt an unserer Küste keine Stelle, wo nicht Infanterie ans Land geworfen werden kann, bei Ebbe und Flut, bei jedem Wind und Wetter." Die Presse nahm diese Worte auf. Ängstlich wurde in der Folge die Entwicklung der französischen Marine überwacht und bei jeder Gelegenheit Frankreich unverblümt als der Bedroher der englischen Küste bezeichnet. Selbst der erste Seelord, Sir John Packington, scheute sich nicht, öffentlich die französischen Schiffe zu zählen, um die Bedrohung Englands nachzuweisen. Und alle die bekannten Kniffe und Schliche, die Churchill in seinen Flottenreden gegen Deutschland angewendet hat, sehen wir schon Ende der fünfziger Jahre bei der englischen Admiralität und im Unterhaus in: Schwange: von den eigenen Schiffen wird eine Anzahl unterschlagen, die Baudaten werden gefälscht, die Tonnenzahlen falsch angegeben usw. Alles das geschieht, um die eigene Flotte schwach er¬ scheinen zu lassen und Frankreich als den Angreifer hinzustellen. Erst der deutsch'französische Krieg ließ das Gespenst einer französischen Invasion am Horizont Englands verschwinden. Deutschland sollte die Stelle des zweiten Kaiserreiches in den politischen Zwangsvorstellungen der Engländer ein¬ nehmen. Nach dein Kriege setzte ein beispielloser wirtschaftlicher Aufschwung in Frankreich und Deutschland, in England, Österreich usw. ein. Wie immer nach einem Kriege galt es. die Lücken, die der Verbrauch gerissen und die die Produktion gelassen hatte, auszufüllen. Die Flotte aber war damals und noch lange Jahre nachher das Stiefkind der deutschen Wehrpolitik. Die Landmacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/47>, abgerufen am 15.05.2024.