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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Englands Ronterbandcrecht und die Proteste der Zentralen

auch, wenn es sich um Waren der relativen Konterbande, zum Beispiel um
Lebensmittel, handelt. Die neue oräsr in counLil vom 29. Oktober 1914
beseitigt dieses Prinzip grundsätzlich, und wenn sie es auch durch eine Hintertür
wieder einführt, namentlich falls die Waren auf Order lauten, so läßt sie doch
hier den Schiffskommandanten und Prisengerichten, ja sogar der englischen
Regierung einen gewissen Spielraum, um allzu scharfe Folgen aus dem Wege zu
räumen. Freilich hat England gleichzeitig mit dieser Milderung der Theorie
der fortgesetzten Reise die Listen der Konterbandegegenstände sehr erheblich er¬
weitert. Es hat Gegenstände der relativen Konterbande, wie Stacheldrähte.
Lustfahrzeuge und Motorfahrzeuge, für absolute Konterbande erklärt, und andere
Materialien, die nach der Londoner Deklaration niemals zur Konterbande erklärt
werden dürfen, in die Liste der absoluten oder relativen Konterbande aufgenommen.
(Hierzu mein Buch "Das Seekriegsrecht" bei Kohlhammer. Stuttgart, 1915).

Man kann nicht sagen, daß England sehr klug gehandelt hat, als es von
vornherein den Bogen so straff spannte und das Mißfallen der Neutralen
erregte. Das Konterbanderecht kann ein Land wie Deutschland mit seinen
unerschöpflichen Quellen nicht leicht von heute auf morgen empfindlich treffen.
Erst in längerer Zeit können sich gewisse ungünstige Wirkungen zeigen, die
zwar keine entscheidende Bedeutung für den Ausgang des großen Krieges haben,
aber immerhin dem Gegner gewisse Nadelstiche versetzen. Deshalb wäre es
diplomatischer gewesen, sich zunächst mit den Neutralen gut zu stellen und das
Konterbanderecht möglichst milde zu handhaben, um dann in einem späteren
Stadium des Krieges energischer vorzugehen. Gewiß würden sich die Neutralen
auch später das nicht gefallen lassen. Aber sie haben doch jetzt schon fünf
Monate die Übergriffe Englands geduldet und würden sicherlich auch später
eine geraume Zeit nötig gehabt haben, um die nötige. Sammlung zu einem
energischen Vorgehen zu finden. Die voreilige Art, mit der England gleich zu
Beginn des Krieges den Bogen überspannte, hat ein Eingreifen der Nemralen
bereits jetzt herbeigeführt, und es ist sicher, daß England nunmehr dauernd
unter dem Drucke der neutralen Regierungen bei der Handhabung des
Prisenrechts stehen wird. Das ist für Deutschland außerordentlich günstig.
Es zeigt sich hier, daß die humane Auffassung von dem Seekriegsrecht,
wie sie unsere leitenden Stellen besitzen, keine Gefühlsduselei ist. daß sie
vielmehr bedeutsame politische Folgen hat und dazu beiträgt, die Neutralen
um so ernstlicher auf das für sie wie für uns so schädliche Verhalten Englands
aufmerksam zu machen.

Und noch etwas anderes folgt aus den genannten Protesten! Indem die
Neutralen durch ihre Proteste zugeben, daß sich England dauernd Übergriffe
zur See zuschulden kommen läßt, können sie Deutschland nicht mehr das Recht
bestreiten, seinerseits in der erforderlichen Weise dagegen vorzugehen. Ich meine
hier nicht, daß Deutschland Repressalien gegen England anwenden soll. Ob
man diese Frage bejaht, hängt davon ab, wie man sich vom völkerrechtlichen


Englands Ronterbandcrecht und die Proteste der Zentralen

auch, wenn es sich um Waren der relativen Konterbande, zum Beispiel um
Lebensmittel, handelt. Die neue oräsr in counLil vom 29. Oktober 1914
beseitigt dieses Prinzip grundsätzlich, und wenn sie es auch durch eine Hintertür
wieder einführt, namentlich falls die Waren auf Order lauten, so läßt sie doch
hier den Schiffskommandanten und Prisengerichten, ja sogar der englischen
Regierung einen gewissen Spielraum, um allzu scharfe Folgen aus dem Wege zu
räumen. Freilich hat England gleichzeitig mit dieser Milderung der Theorie
der fortgesetzten Reise die Listen der Konterbandegegenstände sehr erheblich er¬
weitert. Es hat Gegenstände der relativen Konterbande, wie Stacheldrähte.
Lustfahrzeuge und Motorfahrzeuge, für absolute Konterbande erklärt, und andere
Materialien, die nach der Londoner Deklaration niemals zur Konterbande erklärt
werden dürfen, in die Liste der absoluten oder relativen Konterbande aufgenommen.
(Hierzu mein Buch „Das Seekriegsrecht" bei Kohlhammer. Stuttgart, 1915).

Man kann nicht sagen, daß England sehr klug gehandelt hat, als es von
vornherein den Bogen so straff spannte und das Mißfallen der Neutralen
erregte. Das Konterbanderecht kann ein Land wie Deutschland mit seinen
unerschöpflichen Quellen nicht leicht von heute auf morgen empfindlich treffen.
Erst in längerer Zeit können sich gewisse ungünstige Wirkungen zeigen, die
zwar keine entscheidende Bedeutung für den Ausgang des großen Krieges haben,
aber immerhin dem Gegner gewisse Nadelstiche versetzen. Deshalb wäre es
diplomatischer gewesen, sich zunächst mit den Neutralen gut zu stellen und das
Konterbanderecht möglichst milde zu handhaben, um dann in einem späteren
Stadium des Krieges energischer vorzugehen. Gewiß würden sich die Neutralen
auch später das nicht gefallen lassen. Aber sie haben doch jetzt schon fünf
Monate die Übergriffe Englands geduldet und würden sicherlich auch später
eine geraume Zeit nötig gehabt haben, um die nötige. Sammlung zu einem
energischen Vorgehen zu finden. Die voreilige Art, mit der England gleich zu
Beginn des Krieges den Bogen überspannte, hat ein Eingreifen der Nemralen
bereits jetzt herbeigeführt, und es ist sicher, daß England nunmehr dauernd
unter dem Drucke der neutralen Regierungen bei der Handhabung des
Prisenrechts stehen wird. Das ist für Deutschland außerordentlich günstig.
Es zeigt sich hier, daß die humane Auffassung von dem Seekriegsrecht,
wie sie unsere leitenden Stellen besitzen, keine Gefühlsduselei ist. daß sie
vielmehr bedeutsame politische Folgen hat und dazu beiträgt, die Neutralen
um so ernstlicher auf das für sie wie für uns so schädliche Verhalten Englands
aufmerksam zu machen.

Und noch etwas anderes folgt aus den genannten Protesten! Indem die
Neutralen durch ihre Proteste zugeben, daß sich England dauernd Übergriffe
zur See zuschulden kommen läßt, können sie Deutschland nicht mehr das Recht
bestreiten, seinerseits in der erforderlichen Weise dagegen vorzugehen. Ich meine
hier nicht, daß Deutschland Repressalien gegen England anwenden soll. Ob
man diese Frage bejaht, hängt davon ab, wie man sich vom völkerrechtlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/55>, abgerufen am 14.05.2024.