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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Englands llonterbanderccht und die Proteste der Neutralen

Politik der Vereinigten Staaten widerstrebt, in solchen Angelegenheiten gemeinsam
mit europäischen Regierungen vorzugehen, namentlich wenn es sich im Vergleich
zu ihnen um kleinere Staaten handelt.

Dann aber ist auch höchst bemerkenswert, daß die amerikanische Protestnote
trotz einer gewissen Schärfe im Tone materiell doch keine sehr weitgehenden
Forderungen enthält. Nach dem bisher vorliegenden Wortlaute scheinen die
Vereinigten Staaten nicht von England zu verlangen, daß es sich auf den
Standpunkt der Londoner Deklaration stellt und dieselben humanen Grundsätze
wie Deutschland anwendet. Das ist zu bedauern und zeigt, daß die Vereinigten
Staaten offenbar wenig Vertrauen zu einer so weitgehenden Nachgiebigkeit
Englands haben. Sie sind offenbar froh, wenn die Engländer gewisse
Übergriffe vermeiden. So erklärt es sich auch, daß ein Wunsch, dessen Aus¬
sprache eigentlich sehr rise gelegen hätte, nämlich die Inkraftsetzung des inter¬
nationalen Prisenhofes, unterblieben ist. Kann es doch keinem Zweifel unter¬
liegen, daß die Schaffung dieses Tribunals, über das sich die zweite Haager
Konferenz bereits geeinigt hatte, beinahe alle Klagen der Neutralen aus der
Welt schaffen würde. Dieser über den nationalen Gerichten stehende Hof
würde nicht nur gerechte Verfahrungsgrundsütze anwenden, sondern auch vor¬
aussichtlich die Sätze der Londoner Deklaration als gültig betrachten und die
Prisenurteile Englands, die die Abweichungen des englischen Landesrechts be¬
stätigen, aufheben. Nur aus schwedischen Schiffahrtskreisen scheint bisher der
Wunsch, dieses Resultat der Haager Konferenz ins Leben zu rufen, laut ge¬
worden zu sein. Die neutralen Regierungen glauben offenbar nicht, mit einem
solchen Antrage, der ohne den Beitritt Englands nicht verwirklicht werden
könnte, durchzudringen. Gerade bei den Vereinigten Staaten von Amerika muß
dies auffallen. Haben sie doch bereits 1910 durch den Staatssekretär Knox
den Mächten einen Vorschlag unterbreitet, der den Prisenhof sogar für Streitig¬
keiten anderer Art begründen wollte, und würde doch der Prisenhof sicherlich
das erste wirkliche internationale Gericht sein, dessen Vorkämpfer die Amerikaner
mit besonderem Idealismus gewesen sind.

Der amerikanische Protest befaßt sich zunächst nur mit der Forderung, daß
England in Zukunft die Normen des Seekriegsrechts mehr befolgt als bisher.
Bestimmte Schadenersatzansprüche werden noch nicht geltend gemacht, wohl aber
in Aussicht gestellt. Da diese wahrscheinlich keine geringe Summe ausmachen
werden, dürften später noch bedeutsame Verhandlungen zwischen den beiden
Nationen zu erwarten sein. Die Furcht vor ebenso weitgehenden Forderungen,
wie sie Amerika vor fünfzig Jahren nach dem Sezessionskriege erhoben hat.
wird auch einen Druck auf die Haltung Großbritanniens ausüben. Denn je
nachgiebiger England jetzt sein wird, umso maßvoller dürfte die Rechnung
werden, die Amerika nach dem Frieden präsentieren wird.




Englands llonterbanderccht und die Proteste der Neutralen

Politik der Vereinigten Staaten widerstrebt, in solchen Angelegenheiten gemeinsam
mit europäischen Regierungen vorzugehen, namentlich wenn es sich im Vergleich
zu ihnen um kleinere Staaten handelt.

Dann aber ist auch höchst bemerkenswert, daß die amerikanische Protestnote
trotz einer gewissen Schärfe im Tone materiell doch keine sehr weitgehenden
Forderungen enthält. Nach dem bisher vorliegenden Wortlaute scheinen die
Vereinigten Staaten nicht von England zu verlangen, daß es sich auf den
Standpunkt der Londoner Deklaration stellt und dieselben humanen Grundsätze
wie Deutschland anwendet. Das ist zu bedauern und zeigt, daß die Vereinigten
Staaten offenbar wenig Vertrauen zu einer so weitgehenden Nachgiebigkeit
Englands haben. Sie sind offenbar froh, wenn die Engländer gewisse
Übergriffe vermeiden. So erklärt es sich auch, daß ein Wunsch, dessen Aus¬
sprache eigentlich sehr rise gelegen hätte, nämlich die Inkraftsetzung des inter¬
nationalen Prisenhofes, unterblieben ist. Kann es doch keinem Zweifel unter¬
liegen, daß die Schaffung dieses Tribunals, über das sich die zweite Haager
Konferenz bereits geeinigt hatte, beinahe alle Klagen der Neutralen aus der
Welt schaffen würde. Dieser über den nationalen Gerichten stehende Hof
würde nicht nur gerechte Verfahrungsgrundsütze anwenden, sondern auch vor¬
aussichtlich die Sätze der Londoner Deklaration als gültig betrachten und die
Prisenurteile Englands, die die Abweichungen des englischen Landesrechts be¬
stätigen, aufheben. Nur aus schwedischen Schiffahrtskreisen scheint bisher der
Wunsch, dieses Resultat der Haager Konferenz ins Leben zu rufen, laut ge¬
worden zu sein. Die neutralen Regierungen glauben offenbar nicht, mit einem
solchen Antrage, der ohne den Beitritt Englands nicht verwirklicht werden
könnte, durchzudringen. Gerade bei den Vereinigten Staaten von Amerika muß
dies auffallen. Haben sie doch bereits 1910 durch den Staatssekretär Knox
den Mächten einen Vorschlag unterbreitet, der den Prisenhof sogar für Streitig¬
keiten anderer Art begründen wollte, und würde doch der Prisenhof sicherlich
das erste wirkliche internationale Gericht sein, dessen Vorkämpfer die Amerikaner
mit besonderem Idealismus gewesen sind.

Der amerikanische Protest befaßt sich zunächst nur mit der Forderung, daß
England in Zukunft die Normen des Seekriegsrechts mehr befolgt als bisher.
Bestimmte Schadenersatzansprüche werden noch nicht geltend gemacht, wohl aber
in Aussicht gestellt. Da diese wahrscheinlich keine geringe Summe ausmachen
werden, dürften später noch bedeutsame Verhandlungen zwischen den beiden
Nationen zu erwarten sein. Die Furcht vor ebenso weitgehenden Forderungen,
wie sie Amerika vor fünfzig Jahren nach dem Sezessionskriege erhoben hat.
wird auch einen Druck auf die Haltung Großbritanniens ausüben. Denn je
nachgiebiger England jetzt sein wird, umso maßvoller dürfte die Rechnung
werden, die Amerika nach dem Frieden präsentieren wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/57>, abgerufen am 14.05.2024.