Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lodz

nur hin und wieder ein klapperdürres, spatlahmes Rößlein einherwankt,
Kartoffeln. Rüben. Fleisch. . . .

Womöglich noch lauter und bunter geht es auf dein Markte zu. der uns
alsbald aufnimmt, ohne daß wir es vorerst bemerken. Auch hier sind hohe,
wasserdichte Stiefel das Unentbehrlichste, und wenn ich früher den schweren
Kanonenstiefel unterm Weiberrock eine Ausgeburt gemeiner Sitte schalt und
die polnischen Schönen ob dieser ihrer widerwärtigen Bestiefelung haßte wie
das Gift, -- angesichts dieser Schlammkufen, Gassen und Märkte vergebe ich
den ehedem Verbannter, ihre scheußlichen Wadenpanzerrohre, und wünsche mir
selber aus ganzer Seele ein Paar gehörig geleerte Schiffersocken. Daneben braucht
es allerdings auch noch Geduld und Nachsicht, denn das Schieben und Stoßen
und Drängen der durcheianderhastenden Händler und Unterhändler, Käufer und
Wiederverkäufer erster bis sechster Hand, Schlepper, Horcher und spekulativen
Müßiggänger ist unbeschreiblich. Wäre das Völkchen nicht gar so unbe¬
kümmert, handelswütig und vorteilsfroh, wäre es ein wenig nobler und
appetitlicher, es müßte beinahe eine Lust sein, in diesen wilden Strudel
einzutauchen und sich vom Leben des "toten" Lodz ein Weilchen umspülen zu
lassen.

Aber die lauten Gassen und lärmenden Märkte sind noch nicht Lodz.
Jenseits von ihnen öffnen sich breite, großstädtisch anmutende Straßen, wie die
Piotrkowska, die die Halbmillionenstadt von Nord nach Süd durchschneidet und
an der sich alles angesiedelt hat, was auf das Prädikat "vornehm" und "erst¬
klassig" glaubt Anspruch erheben zu dürfen. Da gibt es auch "Geschäfte", das
heißt etwa das. was wir verwöhnten Großstadtdeutschen als Geschäfte zu
bezeichnen pflegen: gut eingerichtete, saubere, bisweilen elegante Läden, Hotels,
Cafes. Besonders viele Cafes, in denen man eine angenehme, unter Umständen
sogar gemütliche Stunde zubringen kann, wenn einem auch der ewige Geschütz¬
donner noch in den Ohren brummt, der seit vielen Wochen im Felde unsere
einzige und immerwährende Morgen- und Abend-, Tag- und Nachtmusik ge¬
wesen ist. Jetzt klingeln draußen vor dem breiten Fenster die schmucken, stets über¬
füllten Elberfelder Wagen', der elektrischen Straßenbahn vorüber, fahren
herrschaftliche Kutschen und Droschken unterschiedlichster Klasse vorbei, jagen
riesige feldgraue Autos dahin, beladen mit Offizieren und Ärzten, Ordonnanzen
oder Postpaketen, traben flinke Meldereiter ihre Straße oder endlos lange
schwere deutsche Bagage- und Munitionskolonnen, neben denen die österreichischen
Kolonnen mit ihren leichten Wagen und Pferdchen schier fröhlich einherrollen,
und zwischen all diesem kunterbunten Gewühl marschieren immer wieder
Regimenter aller deutscher Gaue, und oft genug auch noch lange Züge russischer
Gefangener. Und dann gibt es auch hier natürlich Hunderte von emsigen
Händlern jeglichen Alters und von aller Art Güte, zahllose Herumsteher
und Flaneure und eine schier unabsehbare Schar von Mädchen zweifel¬
haften Herkommens.


Lodz

nur hin und wieder ein klapperdürres, spatlahmes Rößlein einherwankt,
Kartoffeln. Rüben. Fleisch. . . .

Womöglich noch lauter und bunter geht es auf dein Markte zu. der uns
alsbald aufnimmt, ohne daß wir es vorerst bemerken. Auch hier sind hohe,
wasserdichte Stiefel das Unentbehrlichste, und wenn ich früher den schweren
Kanonenstiefel unterm Weiberrock eine Ausgeburt gemeiner Sitte schalt und
die polnischen Schönen ob dieser ihrer widerwärtigen Bestiefelung haßte wie
das Gift, — angesichts dieser Schlammkufen, Gassen und Märkte vergebe ich
den ehedem Verbannter, ihre scheußlichen Wadenpanzerrohre, und wünsche mir
selber aus ganzer Seele ein Paar gehörig geleerte Schiffersocken. Daneben braucht
es allerdings auch noch Geduld und Nachsicht, denn das Schieben und Stoßen
und Drängen der durcheianderhastenden Händler und Unterhändler, Käufer und
Wiederverkäufer erster bis sechster Hand, Schlepper, Horcher und spekulativen
Müßiggänger ist unbeschreiblich. Wäre das Völkchen nicht gar so unbe¬
kümmert, handelswütig und vorteilsfroh, wäre es ein wenig nobler und
appetitlicher, es müßte beinahe eine Lust sein, in diesen wilden Strudel
einzutauchen und sich vom Leben des „toten" Lodz ein Weilchen umspülen zu
lassen.

Aber die lauten Gassen und lärmenden Märkte sind noch nicht Lodz.
Jenseits von ihnen öffnen sich breite, großstädtisch anmutende Straßen, wie die
Piotrkowska, die die Halbmillionenstadt von Nord nach Süd durchschneidet und
an der sich alles angesiedelt hat, was auf das Prädikat „vornehm" und „erst¬
klassig" glaubt Anspruch erheben zu dürfen. Da gibt es auch „Geschäfte", das
heißt etwa das. was wir verwöhnten Großstadtdeutschen als Geschäfte zu
bezeichnen pflegen: gut eingerichtete, saubere, bisweilen elegante Läden, Hotels,
Cafes. Besonders viele Cafes, in denen man eine angenehme, unter Umständen
sogar gemütliche Stunde zubringen kann, wenn einem auch der ewige Geschütz¬
donner noch in den Ohren brummt, der seit vielen Wochen im Felde unsere
einzige und immerwährende Morgen- und Abend-, Tag- und Nachtmusik ge¬
wesen ist. Jetzt klingeln draußen vor dem breiten Fenster die schmucken, stets über¬
füllten Elberfelder Wagen', der elektrischen Straßenbahn vorüber, fahren
herrschaftliche Kutschen und Droschken unterschiedlichster Klasse vorbei, jagen
riesige feldgraue Autos dahin, beladen mit Offizieren und Ärzten, Ordonnanzen
oder Postpaketen, traben flinke Meldereiter ihre Straße oder endlos lange
schwere deutsche Bagage- und Munitionskolonnen, neben denen die österreichischen
Kolonnen mit ihren leichten Wagen und Pferdchen schier fröhlich einherrollen,
und zwischen all diesem kunterbunten Gewühl marschieren immer wieder
Regimenter aller deutscher Gaue, und oft genug auch noch lange Züge russischer
Gefangener. Und dann gibt es auch hier natürlich Hunderte von emsigen
Händlern jeglichen Alters und von aller Art Güte, zahllose Herumsteher
und Flaneure und eine schier unabsehbare Schar von Mädchen zweifel¬
haften Herkommens.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323162"/>
          <fw type="header" place="top"> Lodz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_116" prev="#ID_115"> nur hin und wieder ein klapperdürres, spatlahmes Rößlein einherwankt,<lb/>
Kartoffeln. Rüben. Fleisch. . . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_117"> Womöglich noch lauter und bunter geht es auf dein Markte zu. der uns<lb/>
alsbald aufnimmt, ohne daß wir es vorerst bemerken. Auch hier sind hohe,<lb/>
wasserdichte Stiefel das Unentbehrlichste, und wenn ich früher den schweren<lb/>
Kanonenstiefel unterm Weiberrock eine Ausgeburt gemeiner Sitte schalt und<lb/>
die polnischen Schönen ob dieser ihrer widerwärtigen Bestiefelung haßte wie<lb/>
das Gift, &#x2014; angesichts dieser Schlammkufen, Gassen und Märkte vergebe ich<lb/>
den ehedem Verbannter, ihre scheußlichen Wadenpanzerrohre, und wünsche mir<lb/>
selber aus ganzer Seele ein Paar gehörig geleerte Schiffersocken. Daneben braucht<lb/>
es allerdings auch noch Geduld und Nachsicht, denn das Schieben und Stoßen<lb/>
und Drängen der durcheianderhastenden Händler und Unterhändler, Käufer und<lb/>
Wiederverkäufer erster bis sechster Hand, Schlepper, Horcher und spekulativen<lb/>
Müßiggänger ist unbeschreiblich. Wäre das Völkchen nicht gar so unbe¬<lb/>
kümmert, handelswütig und vorteilsfroh, wäre es ein wenig nobler und<lb/>
appetitlicher, es müßte beinahe eine Lust sein, in diesen wilden Strudel<lb/>
einzutauchen und sich vom Leben des &#x201E;toten" Lodz ein Weilchen umspülen zu<lb/>
lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_118"> Aber die lauten Gassen und lärmenden Märkte sind noch nicht Lodz.<lb/>
Jenseits von ihnen öffnen sich breite, großstädtisch anmutende Straßen, wie die<lb/>
Piotrkowska, die die Halbmillionenstadt von Nord nach Süd durchschneidet und<lb/>
an der sich alles angesiedelt hat, was auf das Prädikat &#x201E;vornehm" und &#x201E;erst¬<lb/>
klassig" glaubt Anspruch erheben zu dürfen. Da gibt es auch &#x201E;Geschäfte", das<lb/>
heißt etwa das. was wir verwöhnten Großstadtdeutschen als Geschäfte zu<lb/>
bezeichnen pflegen: gut eingerichtete, saubere, bisweilen elegante Läden, Hotels,<lb/>
Cafes. Besonders viele Cafes, in denen man eine angenehme, unter Umständen<lb/>
sogar gemütliche Stunde zubringen kann, wenn einem auch der ewige Geschütz¬<lb/>
donner noch in den Ohren brummt, der seit vielen Wochen im Felde unsere<lb/>
einzige und immerwährende Morgen- und Abend-, Tag- und Nachtmusik ge¬<lb/>
wesen ist. Jetzt klingeln draußen vor dem breiten Fenster die schmucken, stets über¬<lb/>
füllten Elberfelder Wagen', der elektrischen Straßenbahn vorüber, fahren<lb/>
herrschaftliche Kutschen und Droschken unterschiedlichster Klasse vorbei, jagen<lb/>
riesige feldgraue Autos dahin, beladen mit Offizieren und Ärzten, Ordonnanzen<lb/>
oder Postpaketen, traben flinke Meldereiter ihre Straße oder endlos lange<lb/>
schwere deutsche Bagage- und Munitionskolonnen, neben denen die österreichischen<lb/>
Kolonnen mit ihren leichten Wagen und Pferdchen schier fröhlich einherrollen,<lb/>
und zwischen all diesem kunterbunten Gewühl marschieren immer wieder<lb/>
Regimenter aller deutscher Gaue, und oft genug auch noch lange Züge russischer<lb/>
Gefangener. Und dann gibt es auch hier natürlich Hunderte von emsigen<lb/>
Händlern jeglichen Alters und von aller Art Güte, zahllose Herumsteher<lb/>
und Flaneure und eine schier unabsehbare Schar von Mädchen zweifel¬<lb/>
haften Herkommens.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0064] Lodz nur hin und wieder ein klapperdürres, spatlahmes Rößlein einherwankt, Kartoffeln. Rüben. Fleisch. . . . Womöglich noch lauter und bunter geht es auf dein Markte zu. der uns alsbald aufnimmt, ohne daß wir es vorerst bemerken. Auch hier sind hohe, wasserdichte Stiefel das Unentbehrlichste, und wenn ich früher den schweren Kanonenstiefel unterm Weiberrock eine Ausgeburt gemeiner Sitte schalt und die polnischen Schönen ob dieser ihrer widerwärtigen Bestiefelung haßte wie das Gift, — angesichts dieser Schlammkufen, Gassen und Märkte vergebe ich den ehedem Verbannter, ihre scheußlichen Wadenpanzerrohre, und wünsche mir selber aus ganzer Seele ein Paar gehörig geleerte Schiffersocken. Daneben braucht es allerdings auch noch Geduld und Nachsicht, denn das Schieben und Stoßen und Drängen der durcheianderhastenden Händler und Unterhändler, Käufer und Wiederverkäufer erster bis sechster Hand, Schlepper, Horcher und spekulativen Müßiggänger ist unbeschreiblich. Wäre das Völkchen nicht gar so unbe¬ kümmert, handelswütig und vorteilsfroh, wäre es ein wenig nobler und appetitlicher, es müßte beinahe eine Lust sein, in diesen wilden Strudel einzutauchen und sich vom Leben des „toten" Lodz ein Weilchen umspülen zu lassen. Aber die lauten Gassen und lärmenden Märkte sind noch nicht Lodz. Jenseits von ihnen öffnen sich breite, großstädtisch anmutende Straßen, wie die Piotrkowska, die die Halbmillionenstadt von Nord nach Süd durchschneidet und an der sich alles angesiedelt hat, was auf das Prädikat „vornehm" und „erst¬ klassig" glaubt Anspruch erheben zu dürfen. Da gibt es auch „Geschäfte", das heißt etwa das. was wir verwöhnten Großstadtdeutschen als Geschäfte zu bezeichnen pflegen: gut eingerichtete, saubere, bisweilen elegante Läden, Hotels, Cafes. Besonders viele Cafes, in denen man eine angenehme, unter Umständen sogar gemütliche Stunde zubringen kann, wenn einem auch der ewige Geschütz¬ donner noch in den Ohren brummt, der seit vielen Wochen im Felde unsere einzige und immerwährende Morgen- und Abend-, Tag- und Nachtmusik ge¬ wesen ist. Jetzt klingeln draußen vor dem breiten Fenster die schmucken, stets über¬ füllten Elberfelder Wagen', der elektrischen Straßenbahn vorüber, fahren herrschaftliche Kutschen und Droschken unterschiedlichster Klasse vorbei, jagen riesige feldgraue Autos dahin, beladen mit Offizieren und Ärzten, Ordonnanzen oder Postpaketen, traben flinke Meldereiter ihre Straße oder endlos lange schwere deutsche Bagage- und Munitionskolonnen, neben denen die österreichischen Kolonnen mit ihren leichten Wagen und Pferdchen schier fröhlich einherrollen, und zwischen all diesem kunterbunten Gewühl marschieren immer wieder Regimenter aller deutscher Gaue, und oft genug auch noch lange Züge russischer Gefangener. Und dann gibt es auch hier natürlich Hunderte von emsigen Händlern jeglichen Alters und von aller Art Güte, zahllose Herumsteher und Flaneure und eine schier unabsehbare Schar von Mädchen zweifel¬ haften Herkommens.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/64
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/64>, abgerufen am 15.05.2024.