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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Heinrich Heine über Lnglemd

riellen Interessen Englands und ein richtiges Abwägen der ausländischen Zu¬
stände, inwieweit sie für Englands Wohl und Handel schädlich oder heilsam
sein können. Es ist merkwürdig, wie sie alle, vom Premierminister bis zum
geringsten Flickschneider, hierüber die genauesten Notizen im Kopf tragen und
bei jedem Tagesereignisse gleich herausfinden, was das liebe England dabei zu
gewinnen oder zu verlieren hat.... Hier ist der Instinkt ihres Egoismus geradezu
bewunderungswürdig." Auch folgende, 1842 datierte Briefstelle klingt wie
eine Prophezeiung der jetzigen Zustände. Ihren Grundton bildet die Sorge
um Deutschland! Wer zweifelt da wohl noch an Heines Vaterlandsliebe?
"Ich gestehe es, ich bin nicht ganz unparteiisch, wenn ich von Engländern rede,
und mein Mißurteil, meine Abneigung wurzelt vielleicht in den Besorgnissen
ob der glücklichen Friedensruhe des deutschen Vaterlandes. Seitdem ich nämlich
tief begriffen habe, welcher schnöde Egoismus auch in ihrer Politik waltet, er¬
füllen mich diese Engländer mit einer grenzenlosen, grauenhaften Furcht. Ich
hege den besten Respekt vor ihrer materiellen Obmacht; sie haben sehr viel von
jener brutalen Energie, womit die Römer die Welt unterdrückt, aber sie ver¬
einigen mit der römischen Wolfsgier auch die Schlangenlist Karthagos. Gegen
erstere haben wir gute, erprobte Waffen; aber gegen die meuchlerischen Ränke
jener Punier der Nordsee sind wir wehrlos. Und jetzt ist England gefährlicher
denn je, jetzt, wo seine merkantilischen Interessen unterliegen -- es gibt in
der ganzen Schöps ung kein so hartherziges Geschöpf wie ein Krämer, dessen
Handel ins Stocken geraten. . . . Wie wird sich England aus solcher Geschäfts'
krisis retten? Ich weiß nicht, wie die Frage der Fabrikarbeiter gelöst werden
kann; aber ich weiß, daß die Politik des modernen Karthagos nicht sehr wählig
in ihren Mitteln ist. Ein europäischer Krieg wird dieser Selbsucht vielleicht
zuletzt als das geeignetste Mittel erscheinen, um dem inneren Gebreste einige
Ableitung nach außen zu bereiten*)."

Ganz merkwürdige Einblicke in das englische Agenten-Wesen erhalten wir
durch Heines Berichte: "Man hat keinen Begriff davon, wie England jährlich
die ungeheuersten Summen ausgibt, bloß zur Besoldung seiner ausländischen
Agenten, deren Instruktionen alle für den Fall eines europäischen Krieges be¬
rechnet sind." Und dann: "Mehr als je wimmelt es in der Levante von
britischen Agenten, die über jeden Beduinen, ja über jedes Kameel, das durch
die Wüste zieht, Erkundigungen einziehen. . . . Aber nicht bloß im Orient, auch
im Occident hat England seine zuverlässigen Agenten und hier (in Paris) be¬
gegnen wir nicht selten Leuten, die mit ihrer geheimen Mission auch die
Korrespondenz für Londoner aristokratische und ministerielle Blätter verbinden...."

" . . . wir sehen im grellsten Lichte den Egoismus jener britischen Oligarchie,
die uns damals gegen die Franzosen versetzte. Ihre Agenten schlichen sich ein
in die deutsche Presse, um die politische Unerfahrenheit meiner Landsleute aus-



) Vergleiche den Leitartikel dieses Heftes Seite 41.
Heinrich Heine über Lnglemd

riellen Interessen Englands und ein richtiges Abwägen der ausländischen Zu¬
stände, inwieweit sie für Englands Wohl und Handel schädlich oder heilsam
sein können. Es ist merkwürdig, wie sie alle, vom Premierminister bis zum
geringsten Flickschneider, hierüber die genauesten Notizen im Kopf tragen und
bei jedem Tagesereignisse gleich herausfinden, was das liebe England dabei zu
gewinnen oder zu verlieren hat.... Hier ist der Instinkt ihres Egoismus geradezu
bewunderungswürdig." Auch folgende, 1842 datierte Briefstelle klingt wie
eine Prophezeiung der jetzigen Zustände. Ihren Grundton bildet die Sorge
um Deutschland! Wer zweifelt da wohl noch an Heines Vaterlandsliebe?
„Ich gestehe es, ich bin nicht ganz unparteiisch, wenn ich von Engländern rede,
und mein Mißurteil, meine Abneigung wurzelt vielleicht in den Besorgnissen
ob der glücklichen Friedensruhe des deutschen Vaterlandes. Seitdem ich nämlich
tief begriffen habe, welcher schnöde Egoismus auch in ihrer Politik waltet, er¬
füllen mich diese Engländer mit einer grenzenlosen, grauenhaften Furcht. Ich
hege den besten Respekt vor ihrer materiellen Obmacht; sie haben sehr viel von
jener brutalen Energie, womit die Römer die Welt unterdrückt, aber sie ver¬
einigen mit der römischen Wolfsgier auch die Schlangenlist Karthagos. Gegen
erstere haben wir gute, erprobte Waffen; aber gegen die meuchlerischen Ränke
jener Punier der Nordsee sind wir wehrlos. Und jetzt ist England gefährlicher
denn je, jetzt, wo seine merkantilischen Interessen unterliegen — es gibt in
der ganzen Schöps ung kein so hartherziges Geschöpf wie ein Krämer, dessen
Handel ins Stocken geraten. . . . Wie wird sich England aus solcher Geschäfts'
krisis retten? Ich weiß nicht, wie die Frage der Fabrikarbeiter gelöst werden
kann; aber ich weiß, daß die Politik des modernen Karthagos nicht sehr wählig
in ihren Mitteln ist. Ein europäischer Krieg wird dieser Selbsucht vielleicht
zuletzt als das geeignetste Mittel erscheinen, um dem inneren Gebreste einige
Ableitung nach außen zu bereiten*)."

Ganz merkwürdige Einblicke in das englische Agenten-Wesen erhalten wir
durch Heines Berichte: „Man hat keinen Begriff davon, wie England jährlich
die ungeheuersten Summen ausgibt, bloß zur Besoldung seiner ausländischen
Agenten, deren Instruktionen alle für den Fall eines europäischen Krieges be¬
rechnet sind." Und dann: „Mehr als je wimmelt es in der Levante von
britischen Agenten, die über jeden Beduinen, ja über jedes Kameel, das durch
die Wüste zieht, Erkundigungen einziehen. . . . Aber nicht bloß im Orient, auch
im Occident hat England seine zuverlässigen Agenten und hier (in Paris) be¬
gegnen wir nicht selten Leuten, die mit ihrer geheimen Mission auch die
Korrespondenz für Londoner aristokratische und ministerielle Blätter verbinden...."

„ . . . wir sehen im grellsten Lichte den Egoismus jener britischen Oligarchie,
die uns damals gegen die Franzosen versetzte. Ihre Agenten schlichen sich ein
in die deutsche Presse, um die politische Unerfahrenheit meiner Landsleute aus-



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[0071] Heinrich Heine über Lnglemd riellen Interessen Englands und ein richtiges Abwägen der ausländischen Zu¬ stände, inwieweit sie für Englands Wohl und Handel schädlich oder heilsam sein können. Es ist merkwürdig, wie sie alle, vom Premierminister bis zum geringsten Flickschneider, hierüber die genauesten Notizen im Kopf tragen und bei jedem Tagesereignisse gleich herausfinden, was das liebe England dabei zu gewinnen oder zu verlieren hat.... Hier ist der Instinkt ihres Egoismus geradezu bewunderungswürdig." Auch folgende, 1842 datierte Briefstelle klingt wie eine Prophezeiung der jetzigen Zustände. Ihren Grundton bildet die Sorge um Deutschland! Wer zweifelt da wohl noch an Heines Vaterlandsliebe? „Ich gestehe es, ich bin nicht ganz unparteiisch, wenn ich von Engländern rede, und mein Mißurteil, meine Abneigung wurzelt vielleicht in den Besorgnissen ob der glücklichen Friedensruhe des deutschen Vaterlandes. Seitdem ich nämlich tief begriffen habe, welcher schnöde Egoismus auch in ihrer Politik waltet, er¬ füllen mich diese Engländer mit einer grenzenlosen, grauenhaften Furcht. Ich hege den besten Respekt vor ihrer materiellen Obmacht; sie haben sehr viel von jener brutalen Energie, womit die Römer die Welt unterdrückt, aber sie ver¬ einigen mit der römischen Wolfsgier auch die Schlangenlist Karthagos. Gegen erstere haben wir gute, erprobte Waffen; aber gegen die meuchlerischen Ränke jener Punier der Nordsee sind wir wehrlos. Und jetzt ist England gefährlicher denn je, jetzt, wo seine merkantilischen Interessen unterliegen — es gibt in der ganzen Schöps ung kein so hartherziges Geschöpf wie ein Krämer, dessen Handel ins Stocken geraten. . . . Wie wird sich England aus solcher Geschäfts' krisis retten? Ich weiß nicht, wie die Frage der Fabrikarbeiter gelöst werden kann; aber ich weiß, daß die Politik des modernen Karthagos nicht sehr wählig in ihren Mitteln ist. Ein europäischer Krieg wird dieser Selbsucht vielleicht zuletzt als das geeignetste Mittel erscheinen, um dem inneren Gebreste einige Ableitung nach außen zu bereiten*)." Ganz merkwürdige Einblicke in das englische Agenten-Wesen erhalten wir durch Heines Berichte: „Man hat keinen Begriff davon, wie England jährlich die ungeheuersten Summen ausgibt, bloß zur Besoldung seiner ausländischen Agenten, deren Instruktionen alle für den Fall eines europäischen Krieges be¬ rechnet sind." Und dann: „Mehr als je wimmelt es in der Levante von britischen Agenten, die über jeden Beduinen, ja über jedes Kameel, das durch die Wüste zieht, Erkundigungen einziehen. . . . Aber nicht bloß im Orient, auch im Occident hat England seine zuverlässigen Agenten und hier (in Paris) be¬ gegnen wir nicht selten Leuten, die mit ihrer geheimen Mission auch die Korrespondenz für Londoner aristokratische und ministerielle Blätter verbinden...." „ . . . wir sehen im grellsten Lichte den Egoismus jener britischen Oligarchie, die uns damals gegen die Franzosen versetzte. Ihre Agenten schlichen sich ein in die deutsche Presse, um die politische Unerfahrenheit meiner Landsleute aus- ) Vergleiche den Leitartikel dieses Heftes Seite 41.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/71>, abgerufen am 30.05.2024.