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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Zur Genesis des Weltkrieges

unabhängiger zu gestalten. Nun hatte das Kabinett Asquith wohl der parla¬
mentarischen Macht der regierenden clans im Oberhaus das Rückgrat gebrochen,
nicht aber ihren gewaltigen und ererbten Einfluß auf Altenglands Geschicke
restlos beseitigt, zumal der Negierung die echtbürtigen Aristokraten Grey.
Curchill und Crewe angehörten, die wohl nicht rein zufällig die panbritische
Politik mit dem bronzenen Willen zum Kriege erfüllten, nicht um Altenglands
Ruhm und Größe, sondern um den kapitalistisch übersättigten Wirtschastsbau
des Jnselreichs zu stützen, den überlieferten Herren, den alt- und neuadligen
clans den ungestörten Rentenbezug zu sichern. Die Welt mag in Blut und
Feuer aufgehen, aber Altenglands regierender Kaste muß die Zunahme
des mobilen und immobilem Vermögens gewährleistet werden. Da galt uns
Großbritannien immer als das Muster- und Mutterland des Parlamentarismus.
Da gab das Viktorianische Zeitalter der Welt das Schauspiel ohnegleichen, wie
ein Volk sich scheinbar selbst regierte. Und dies England, das bis zu Beginn
der Viktorianischen Renaissance buchstäblich kulturlos dahingelebt hatte, dessen
größte Geister, die Bacon, die Hume, Locke und Carlyle die öffentliche und
politische Moral ganz und gar nicht beeinflußt hatten, dies England, dessen geistiger
Oberbau nicht einmal stark genug war, um Shakespeare zu empfinden, den erst
der Deutschen Genius Goethe für die Weltliteratur entdecken mußte, dies England,
das niemals die geistige und befreiende Kraft echtbürtiger Denker über sich hin¬
brausen und wehen fühlte, dies England hat bei uns über ein Jahrhundert
die Legende von der diesen Weisheit seines Parlamentarismus behaupten können.
Genug Schweiß des Hirns und des Herzens haben wir zugesetzt, um dies Vor¬
bild nachzuahmen, ein Vorbild, das niemals von den Ideen politischer Freiheit
feuertrunken war, das weltenfern lag von der urgermanischen und wahrhaft
demokratischen Auffassung des Volkskönigstums: Englands Parlamentarismus
war in der Vergangenheit immer nur eine wechselseitige Versicherungsgesellschaft
der regierenden clans. Die herrschende Kaste hatte Reichtümer erworben in
der kolonialen Naubperiode des britischen Staates, dann im Zeitalter der
industriellen Vorherrschaft, als man um dieser Gewinne willen sogar die Land¬
wirtschaft preis gab, endlich, als das System der volkswirtschaftlichen Kapital¬
anlage im Auslande den meerbefahrenen Handel cimr Goldquelle glich, die im
Raubbau gefaßt und ausgebeutet wurde.

Im Raubbau gefaßt. Das allein ist die "Folgerichtigkeit" der panbritischen
Politik. Die rentenhnngrige herrschende Kaste eroberte Kolonien, um ihre
Reichtümer sich allein dienstbar zu machen. Ani die Kolonien zu sichern,
um ein großes zusammenhängendes Gebiet zu schaffen, wurden immer weitere
Lündermassen angegliedert. Darin liegt auch die Bedeutung Ägyptens. Es
ist der Schlüsselpunkt, denn von hier aus soll sich das britische Reich
ununterbrochen bis Indien und Südafrika ausdehnen. Kairo-Kalkutta und
Kairo-Kapstadt sind die großen Linien, die man über alle Widerstände hinweg
durchzudrücken sucht. Als Frankreich nach Faschoda aus dem Wege ging, konnte


Zur Genesis des Weltkrieges

unabhängiger zu gestalten. Nun hatte das Kabinett Asquith wohl der parla¬
mentarischen Macht der regierenden clans im Oberhaus das Rückgrat gebrochen,
nicht aber ihren gewaltigen und ererbten Einfluß auf Altenglands Geschicke
restlos beseitigt, zumal der Negierung die echtbürtigen Aristokraten Grey.
Curchill und Crewe angehörten, die wohl nicht rein zufällig die panbritische
Politik mit dem bronzenen Willen zum Kriege erfüllten, nicht um Altenglands
Ruhm und Größe, sondern um den kapitalistisch übersättigten Wirtschastsbau
des Jnselreichs zu stützen, den überlieferten Herren, den alt- und neuadligen
clans den ungestörten Rentenbezug zu sichern. Die Welt mag in Blut und
Feuer aufgehen, aber Altenglands regierender Kaste muß die Zunahme
des mobilen und immobilem Vermögens gewährleistet werden. Da galt uns
Großbritannien immer als das Muster- und Mutterland des Parlamentarismus.
Da gab das Viktorianische Zeitalter der Welt das Schauspiel ohnegleichen, wie
ein Volk sich scheinbar selbst regierte. Und dies England, das bis zu Beginn
der Viktorianischen Renaissance buchstäblich kulturlos dahingelebt hatte, dessen
größte Geister, die Bacon, die Hume, Locke und Carlyle die öffentliche und
politische Moral ganz und gar nicht beeinflußt hatten, dies England, dessen geistiger
Oberbau nicht einmal stark genug war, um Shakespeare zu empfinden, den erst
der Deutschen Genius Goethe für die Weltliteratur entdecken mußte, dies England,
das niemals die geistige und befreiende Kraft echtbürtiger Denker über sich hin¬
brausen und wehen fühlte, dies England hat bei uns über ein Jahrhundert
die Legende von der diesen Weisheit seines Parlamentarismus behaupten können.
Genug Schweiß des Hirns und des Herzens haben wir zugesetzt, um dies Vor¬
bild nachzuahmen, ein Vorbild, das niemals von den Ideen politischer Freiheit
feuertrunken war, das weltenfern lag von der urgermanischen und wahrhaft
demokratischen Auffassung des Volkskönigstums: Englands Parlamentarismus
war in der Vergangenheit immer nur eine wechselseitige Versicherungsgesellschaft
der regierenden clans. Die herrschende Kaste hatte Reichtümer erworben in
der kolonialen Naubperiode des britischen Staates, dann im Zeitalter der
industriellen Vorherrschaft, als man um dieser Gewinne willen sogar die Land¬
wirtschaft preis gab, endlich, als das System der volkswirtschaftlichen Kapital¬
anlage im Auslande den meerbefahrenen Handel cimr Goldquelle glich, die im
Raubbau gefaßt und ausgebeutet wurde.

Im Raubbau gefaßt. Das allein ist die „Folgerichtigkeit" der panbritischen
Politik. Die rentenhnngrige herrschende Kaste eroberte Kolonien, um ihre
Reichtümer sich allein dienstbar zu machen. Ani die Kolonien zu sichern,
um ein großes zusammenhängendes Gebiet zu schaffen, wurden immer weitere
Lündermassen angegliedert. Darin liegt auch die Bedeutung Ägyptens. Es
ist der Schlüsselpunkt, denn von hier aus soll sich das britische Reich
ununterbrochen bis Indien und Südafrika ausdehnen. Kairo-Kalkutta und
Kairo-Kapstadt sind die großen Linien, die man über alle Widerstände hinweg
durchzudrücken sucht. Als Frankreich nach Faschoda aus dem Wege ging, konnte


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[0084] Zur Genesis des Weltkrieges unabhängiger zu gestalten. Nun hatte das Kabinett Asquith wohl der parla¬ mentarischen Macht der regierenden clans im Oberhaus das Rückgrat gebrochen, nicht aber ihren gewaltigen und ererbten Einfluß auf Altenglands Geschicke restlos beseitigt, zumal der Negierung die echtbürtigen Aristokraten Grey. Curchill und Crewe angehörten, die wohl nicht rein zufällig die panbritische Politik mit dem bronzenen Willen zum Kriege erfüllten, nicht um Altenglands Ruhm und Größe, sondern um den kapitalistisch übersättigten Wirtschastsbau des Jnselreichs zu stützen, den überlieferten Herren, den alt- und neuadligen clans den ungestörten Rentenbezug zu sichern. Die Welt mag in Blut und Feuer aufgehen, aber Altenglands regierender Kaste muß die Zunahme des mobilen und immobilem Vermögens gewährleistet werden. Da galt uns Großbritannien immer als das Muster- und Mutterland des Parlamentarismus. Da gab das Viktorianische Zeitalter der Welt das Schauspiel ohnegleichen, wie ein Volk sich scheinbar selbst regierte. Und dies England, das bis zu Beginn der Viktorianischen Renaissance buchstäblich kulturlos dahingelebt hatte, dessen größte Geister, die Bacon, die Hume, Locke und Carlyle die öffentliche und politische Moral ganz und gar nicht beeinflußt hatten, dies England, dessen geistiger Oberbau nicht einmal stark genug war, um Shakespeare zu empfinden, den erst der Deutschen Genius Goethe für die Weltliteratur entdecken mußte, dies England, das niemals die geistige und befreiende Kraft echtbürtiger Denker über sich hin¬ brausen und wehen fühlte, dies England hat bei uns über ein Jahrhundert die Legende von der diesen Weisheit seines Parlamentarismus behaupten können. Genug Schweiß des Hirns und des Herzens haben wir zugesetzt, um dies Vor¬ bild nachzuahmen, ein Vorbild, das niemals von den Ideen politischer Freiheit feuertrunken war, das weltenfern lag von der urgermanischen und wahrhaft demokratischen Auffassung des Volkskönigstums: Englands Parlamentarismus war in der Vergangenheit immer nur eine wechselseitige Versicherungsgesellschaft der regierenden clans. Die herrschende Kaste hatte Reichtümer erworben in der kolonialen Naubperiode des britischen Staates, dann im Zeitalter der industriellen Vorherrschaft, als man um dieser Gewinne willen sogar die Land¬ wirtschaft preis gab, endlich, als das System der volkswirtschaftlichen Kapital¬ anlage im Auslande den meerbefahrenen Handel cimr Goldquelle glich, die im Raubbau gefaßt und ausgebeutet wurde. Im Raubbau gefaßt. Das allein ist die „Folgerichtigkeit" der panbritischen Politik. Die rentenhnngrige herrschende Kaste eroberte Kolonien, um ihre Reichtümer sich allein dienstbar zu machen. Ani die Kolonien zu sichern, um ein großes zusammenhängendes Gebiet zu schaffen, wurden immer weitere Lündermassen angegliedert. Darin liegt auch die Bedeutung Ägyptens. Es ist der Schlüsselpunkt, denn von hier aus soll sich das britische Reich ununterbrochen bis Indien und Südafrika ausdehnen. Kairo-Kalkutta und Kairo-Kapstadt sind die großen Linien, die man über alle Widerstände hinweg durchzudrücken sucht. Als Frankreich nach Faschoda aus dem Wege ging, konnte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/84>, abgerufen am 30.05.2024.