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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ein französisches Herz

echo. Es säuselte draußen und wisperte, ein Lied auf allerhöchsten Saiten
zirpte im Dorf. War es der Frost, der Wind? oder nur die Reaktion meiner
Gehörsnerven? war alles das nur in mir? sang mein Blut, erwachte Fieber in mir?

Dann wurden die zarten Stimmen lauter, sie verdichteten sich und schwollen
an. Und da war es das Stöhnen der Verwundeten. Sie lagen da im Nach¬
rausch der Narkose und atmeten tief und schwer. Und ich erinnerte mich, wie
ich vor Jahren einmal drüben bei einem Präriehirten geschlafen und nachts
erwacht war, weil ich zu hören meinte, wie Wasser, Meer sich an uns heran¬
wälzte. Aber da war es die Büffelherde gewesen, die draußen im Schlaf so
tiefwogend geatmet hatte. Diese vielen hundert Tiere hatten in dumpfem
Traum die heiße Luft eingesogen und ausgestoßen, daß es wie Ozeanatem
klang. Daran dachte ich jetzt. Aber in dieses tiefe Auf und Ab klangen
Seufzer, Ächzen. Rufe und Stöhnen. Im Schlaf litten sie vielleicht oder
träumten vom Kampf. Fiebernde stießen ein Kommando aus. und aus einer
Ecke klang immer wieder ein Name, sehnsüchtig und zärtlich gerufen.

Ich stand auf und ging durch die vier Reihen. Ich benetzte hier trockene
Lippen und füllte dort einen Eisbeutel. Der gefrorene Dorfteich hatte das Eis
hergegeben. Es lag aus der Schwelle des Portals, und ich mußte vor die
Tür, es zu holen. O. welcher Friede! Wieviel Sterne im Unermeßlichen!
Und dieselben Sternbilder wie daheim, Kassiopeia und Orion und Jupiters
stiller Glanz. Da war der Krieg verschlungen. Die Stille über dem Schnee!
Fern ein Feuerglanz. Und Pferdeschnauben aus einer Scheune, dann Posten-
schritt. Sonst Schlaf und Schweigen. Aber drinnen, als ich eintrat, wieder
das Grauen des Krieges. Luft voll Äther und Karbol und Jod. Süß und
schwer. Und Blutgeruch, von Strohdust durchzogen. Ein bleicher Mensch
richtet sich auf und starrt mich im Wundfieber an. Und das trübe Licht. Die
hohen weißen Wände. Laut, laut geht oben die Turmuhr. Sie geht weiter,
obschon der Turmhelm abgeschossen ist. Nur schlägt sie nicht mehr. Sie rasselt
alle halbe Stunden laut, als würden Ketten über Steinboden gezogen.

Da sitze ich wieder im Beichtstuhl. An was alles könnte man denken,
wovon träumen! In diesem engen Gehäuse hinter dem grünwollenen Vorhang,
was ist da alles geflüstert worden! Liebe und Sünde, Haß, Verbrechen.
Junge und alte Stimmen. Tränen der Reue sind auf das Holz geflossen,
Andenken an Wollustschauer sind aufgebebt und erstorben. Die blassen Gesichter
schöner Büßerinnen könnten vorüberziehen, milde und harte Züge alter Priester.
Nichts von alledem. Müde bin ich, müde. Und um nicht in Schlaf zu fallen,
steh ich wieder auf und geh umher uno beschau mir die Kirche.

Sie ist alt und klein und armselig. Vom Hauptaltar haben die Bauern
das Bild gerettet. Billig versilberte Leuchter ohne Kerzen recken sich vor der
Leere auf. Ungeschickt geschnitzte oder gar gipserne Heilige stehen in Nischen.
Von der Kanzel ist die Treppe gerissen. Der stuttatierte Balkon hängt wie
ein Riesennest an der einen der zwei Säulen, die das Gebälk tragen. Noch


Ein französisches Herz

echo. Es säuselte draußen und wisperte, ein Lied auf allerhöchsten Saiten
zirpte im Dorf. War es der Frost, der Wind? oder nur die Reaktion meiner
Gehörsnerven? war alles das nur in mir? sang mein Blut, erwachte Fieber in mir?

Dann wurden die zarten Stimmen lauter, sie verdichteten sich und schwollen
an. Und da war es das Stöhnen der Verwundeten. Sie lagen da im Nach¬
rausch der Narkose und atmeten tief und schwer. Und ich erinnerte mich, wie
ich vor Jahren einmal drüben bei einem Präriehirten geschlafen und nachts
erwacht war, weil ich zu hören meinte, wie Wasser, Meer sich an uns heran¬
wälzte. Aber da war es die Büffelherde gewesen, die draußen im Schlaf so
tiefwogend geatmet hatte. Diese vielen hundert Tiere hatten in dumpfem
Traum die heiße Luft eingesogen und ausgestoßen, daß es wie Ozeanatem
klang. Daran dachte ich jetzt. Aber in dieses tiefe Auf und Ab klangen
Seufzer, Ächzen. Rufe und Stöhnen. Im Schlaf litten sie vielleicht oder
träumten vom Kampf. Fiebernde stießen ein Kommando aus. und aus einer
Ecke klang immer wieder ein Name, sehnsüchtig und zärtlich gerufen.

Ich stand auf und ging durch die vier Reihen. Ich benetzte hier trockene
Lippen und füllte dort einen Eisbeutel. Der gefrorene Dorfteich hatte das Eis
hergegeben. Es lag aus der Schwelle des Portals, und ich mußte vor die
Tür, es zu holen. O. welcher Friede! Wieviel Sterne im Unermeßlichen!
Und dieselben Sternbilder wie daheim, Kassiopeia und Orion und Jupiters
stiller Glanz. Da war der Krieg verschlungen. Die Stille über dem Schnee!
Fern ein Feuerglanz. Und Pferdeschnauben aus einer Scheune, dann Posten-
schritt. Sonst Schlaf und Schweigen. Aber drinnen, als ich eintrat, wieder
das Grauen des Krieges. Luft voll Äther und Karbol und Jod. Süß und
schwer. Und Blutgeruch, von Strohdust durchzogen. Ein bleicher Mensch
richtet sich auf und starrt mich im Wundfieber an. Und das trübe Licht. Die
hohen weißen Wände. Laut, laut geht oben die Turmuhr. Sie geht weiter,
obschon der Turmhelm abgeschossen ist. Nur schlägt sie nicht mehr. Sie rasselt
alle halbe Stunden laut, als würden Ketten über Steinboden gezogen.

Da sitze ich wieder im Beichtstuhl. An was alles könnte man denken,
wovon träumen! In diesem engen Gehäuse hinter dem grünwollenen Vorhang,
was ist da alles geflüstert worden! Liebe und Sünde, Haß, Verbrechen.
Junge und alte Stimmen. Tränen der Reue sind auf das Holz geflossen,
Andenken an Wollustschauer sind aufgebebt und erstorben. Die blassen Gesichter
schöner Büßerinnen könnten vorüberziehen, milde und harte Züge alter Priester.
Nichts von alledem. Müde bin ich, müde. Und um nicht in Schlaf zu fallen,
steh ich wieder auf und geh umher uno beschau mir die Kirche.

Sie ist alt und klein und armselig. Vom Hauptaltar haben die Bauern
das Bild gerettet. Billig versilberte Leuchter ohne Kerzen recken sich vor der
Leere auf. Ungeschickt geschnitzte oder gar gipserne Heilige stehen in Nischen.
Von der Kanzel ist die Treppe gerissen. Der stuttatierte Balkon hängt wie
ein Riesennest an der einen der zwei Säulen, die das Gebälk tragen. Noch


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[0092] Ein französisches Herz echo. Es säuselte draußen und wisperte, ein Lied auf allerhöchsten Saiten zirpte im Dorf. War es der Frost, der Wind? oder nur die Reaktion meiner Gehörsnerven? war alles das nur in mir? sang mein Blut, erwachte Fieber in mir? Dann wurden die zarten Stimmen lauter, sie verdichteten sich und schwollen an. Und da war es das Stöhnen der Verwundeten. Sie lagen da im Nach¬ rausch der Narkose und atmeten tief und schwer. Und ich erinnerte mich, wie ich vor Jahren einmal drüben bei einem Präriehirten geschlafen und nachts erwacht war, weil ich zu hören meinte, wie Wasser, Meer sich an uns heran¬ wälzte. Aber da war es die Büffelherde gewesen, die draußen im Schlaf so tiefwogend geatmet hatte. Diese vielen hundert Tiere hatten in dumpfem Traum die heiße Luft eingesogen und ausgestoßen, daß es wie Ozeanatem klang. Daran dachte ich jetzt. Aber in dieses tiefe Auf und Ab klangen Seufzer, Ächzen. Rufe und Stöhnen. Im Schlaf litten sie vielleicht oder träumten vom Kampf. Fiebernde stießen ein Kommando aus. und aus einer Ecke klang immer wieder ein Name, sehnsüchtig und zärtlich gerufen. Ich stand auf und ging durch die vier Reihen. Ich benetzte hier trockene Lippen und füllte dort einen Eisbeutel. Der gefrorene Dorfteich hatte das Eis hergegeben. Es lag aus der Schwelle des Portals, und ich mußte vor die Tür, es zu holen. O. welcher Friede! Wieviel Sterne im Unermeßlichen! Und dieselben Sternbilder wie daheim, Kassiopeia und Orion und Jupiters stiller Glanz. Da war der Krieg verschlungen. Die Stille über dem Schnee! Fern ein Feuerglanz. Und Pferdeschnauben aus einer Scheune, dann Posten- schritt. Sonst Schlaf und Schweigen. Aber drinnen, als ich eintrat, wieder das Grauen des Krieges. Luft voll Äther und Karbol und Jod. Süß und schwer. Und Blutgeruch, von Strohdust durchzogen. Ein bleicher Mensch richtet sich auf und starrt mich im Wundfieber an. Und das trübe Licht. Die hohen weißen Wände. Laut, laut geht oben die Turmuhr. Sie geht weiter, obschon der Turmhelm abgeschossen ist. Nur schlägt sie nicht mehr. Sie rasselt alle halbe Stunden laut, als würden Ketten über Steinboden gezogen. Da sitze ich wieder im Beichtstuhl. An was alles könnte man denken, wovon träumen! In diesem engen Gehäuse hinter dem grünwollenen Vorhang, was ist da alles geflüstert worden! Liebe und Sünde, Haß, Verbrechen. Junge und alte Stimmen. Tränen der Reue sind auf das Holz geflossen, Andenken an Wollustschauer sind aufgebebt und erstorben. Die blassen Gesichter schöner Büßerinnen könnten vorüberziehen, milde und harte Züge alter Priester. Nichts von alledem. Müde bin ich, müde. Und um nicht in Schlaf zu fallen, steh ich wieder auf und geh umher uno beschau mir die Kirche. Sie ist alt und klein und armselig. Vom Hauptaltar haben die Bauern das Bild gerettet. Billig versilberte Leuchter ohne Kerzen recken sich vor der Leere auf. Ungeschickt geschnitzte oder gar gipserne Heilige stehen in Nischen. Von der Kanzel ist die Treppe gerissen. Der stuttatierte Balkon hängt wie ein Riesennest an der einen der zwei Säulen, die das Gebälk tragen. Noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/92>, abgerufen am 15.05.2024.