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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Lin französisches Herz

ein kleiner Altar ist da mit einem Bilde der heiligen Agathe. Es ist dunkel
und schmutzig, nur der entblößte Oberleib des Mädchens schimmert wie etwas
Unverletzliches und Unnahbares. Dort brennt auch noch ein ewiges Lämplein.
Es schwankt über einem Schläfer auf den Altarstufen, einem Trompeter, der eine
Kugel im Kopf hat und verzerrten Gesichtes hindämmert.

In der Sakeistei schläft fest ein Krankenträger. Er hatte die Wache haben
sollen, aber er konnte sich nicht mehr halten. Gehend war er eingeschlafen.
Da hatte ich ihn abgelöst. Aber auch ich war zu müde gewesen, um noch den
Steinboden der Sakristei zu säubern. Dort gerann das Blut. In starren
Tropfen hing es am Altar, auf dem Menschen sich geopfert hatten. Und wie
mir da Ahnungen des Heidentums, Offenbarungen untergegangener Völker auf.
gingen, Empfindung des Glaubens an blutdürstige Götter, da schwindelte mir fast.

Auf einmal flüstert eine Stimme zu mir herauf: ,Mon camaraäö --".

Ich erschrak. So unwirklich war alles gewesen, so traumhaft, daß eine
Menschenstimme mir jetzt wie etwas aus anderer Welt erschien. Lebte das
Bild da vor mir?

Es war ein Franzose, den man mit einem Bauchschuß aufgelesen hatte.
Es war nichts mehr zu hoffen, und wir hatten ihm genug Morphium gegeben,
um ihm den Rest des Lebens nicht mit Schmerzen zu verbittern. Aber nun
schien er zu sich gekommen. Ich beugte mich über ihn. Ja, das war der Tod.
Das war des Todes Daumen, der so das Gesicht ummodellierte, der darin
wie in Ton arbeitete, die Nase schärfer schnitt, die Augen in Höhlen legte,
Falten um den Mund drückte, die Wangen abglättete.

"Wie geht es, Kamerad?" sagte ich leise. "Hast Du Schmerzen? Durst?"

Als er seine Sprache hörte, ging ein Licht in seinen blauen Augen auf.
Er sah sich um. Und ich verstand diese Frage und beruhigte ihn und sagte:

"Du bist bei Freunden. Willst Du etwas?"

Er schloß die Augen und lächelte mühsam und flüsterte: "Einen Priester,
ich bitte. Beichten. Bald." Und er sah mich wieder flehend an.

Aber das Dorf war leer. Ich konnte niemanden zu ihm holen. Ich be¬
ruhigte ihn und tröstete ihn. Aber er schien wohl zu spüren, daß seine Zeit
knapp wurde.

"Willst Du es mir sagen. Kamerad?" fragte ich ihn. "Wenn es gesagt
sein muß. Ich höre und schweige. Freisprechen wird Dich Gott. Du kannst
mir vertrauen."

Plötzlich sagte er: "Du bist ein Preuße!" Nicht "Deutscher" sagte er;
das alte verhaßte, dem Franzosen wie Gift im Blut wirkende "prüfen" stieß
er hervor.

"Ich bin Dein deutscher Bruder, Kamerad."

Er tastete nach meiner Hand, leise bewegte er zustimmend den Kopf. Und
dann erfaßte sein Blick den roten Stern der ewigen Lampe, die vor dem
Agathem-Altar schwankte. Da lächelte er. Er begriff wohl, daß er in einer


Grenzboten I 191V ">
Lin französisches Herz

ein kleiner Altar ist da mit einem Bilde der heiligen Agathe. Es ist dunkel
und schmutzig, nur der entblößte Oberleib des Mädchens schimmert wie etwas
Unverletzliches und Unnahbares. Dort brennt auch noch ein ewiges Lämplein.
Es schwankt über einem Schläfer auf den Altarstufen, einem Trompeter, der eine
Kugel im Kopf hat und verzerrten Gesichtes hindämmert.

In der Sakeistei schläft fest ein Krankenträger. Er hatte die Wache haben
sollen, aber er konnte sich nicht mehr halten. Gehend war er eingeschlafen.
Da hatte ich ihn abgelöst. Aber auch ich war zu müde gewesen, um noch den
Steinboden der Sakristei zu säubern. Dort gerann das Blut. In starren
Tropfen hing es am Altar, auf dem Menschen sich geopfert hatten. Und wie
mir da Ahnungen des Heidentums, Offenbarungen untergegangener Völker auf.
gingen, Empfindung des Glaubens an blutdürstige Götter, da schwindelte mir fast.

Auf einmal flüstert eine Stimme zu mir herauf: ,Mon camaraäö —".

Ich erschrak. So unwirklich war alles gewesen, so traumhaft, daß eine
Menschenstimme mir jetzt wie etwas aus anderer Welt erschien. Lebte das
Bild da vor mir?

Es war ein Franzose, den man mit einem Bauchschuß aufgelesen hatte.
Es war nichts mehr zu hoffen, und wir hatten ihm genug Morphium gegeben,
um ihm den Rest des Lebens nicht mit Schmerzen zu verbittern. Aber nun
schien er zu sich gekommen. Ich beugte mich über ihn. Ja, das war der Tod.
Das war des Todes Daumen, der so das Gesicht ummodellierte, der darin
wie in Ton arbeitete, die Nase schärfer schnitt, die Augen in Höhlen legte,
Falten um den Mund drückte, die Wangen abglättete.

„Wie geht es, Kamerad?" sagte ich leise. „Hast Du Schmerzen? Durst?"

Als er seine Sprache hörte, ging ein Licht in seinen blauen Augen auf.
Er sah sich um. Und ich verstand diese Frage und beruhigte ihn und sagte:

„Du bist bei Freunden. Willst Du etwas?"

Er schloß die Augen und lächelte mühsam und flüsterte: „Einen Priester,
ich bitte. Beichten. Bald." Und er sah mich wieder flehend an.

Aber das Dorf war leer. Ich konnte niemanden zu ihm holen. Ich be¬
ruhigte ihn und tröstete ihn. Aber er schien wohl zu spüren, daß seine Zeit
knapp wurde.

„Willst Du es mir sagen. Kamerad?" fragte ich ihn. „Wenn es gesagt
sein muß. Ich höre und schweige. Freisprechen wird Dich Gott. Du kannst
mir vertrauen."

Plötzlich sagte er: „Du bist ein Preuße!" Nicht „Deutscher" sagte er;
das alte verhaßte, dem Franzosen wie Gift im Blut wirkende „prüfen" stieß
er hervor.

„Ich bin Dein deutscher Bruder, Kamerad."

Er tastete nach meiner Hand, leise bewegte er zustimmend den Kopf. Und
dann erfaßte sein Blick den roten Stern der ewigen Lampe, die vor dem
Agathem-Altar schwankte. Da lächelte er. Er begriff wohl, daß er in einer


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[0093] Lin französisches Herz ein kleiner Altar ist da mit einem Bilde der heiligen Agathe. Es ist dunkel und schmutzig, nur der entblößte Oberleib des Mädchens schimmert wie etwas Unverletzliches und Unnahbares. Dort brennt auch noch ein ewiges Lämplein. Es schwankt über einem Schläfer auf den Altarstufen, einem Trompeter, der eine Kugel im Kopf hat und verzerrten Gesichtes hindämmert. In der Sakeistei schläft fest ein Krankenträger. Er hatte die Wache haben sollen, aber er konnte sich nicht mehr halten. Gehend war er eingeschlafen. Da hatte ich ihn abgelöst. Aber auch ich war zu müde gewesen, um noch den Steinboden der Sakristei zu säubern. Dort gerann das Blut. In starren Tropfen hing es am Altar, auf dem Menschen sich geopfert hatten. Und wie mir da Ahnungen des Heidentums, Offenbarungen untergegangener Völker auf. gingen, Empfindung des Glaubens an blutdürstige Götter, da schwindelte mir fast. Auf einmal flüstert eine Stimme zu mir herauf: ,Mon camaraäö —". Ich erschrak. So unwirklich war alles gewesen, so traumhaft, daß eine Menschenstimme mir jetzt wie etwas aus anderer Welt erschien. Lebte das Bild da vor mir? Es war ein Franzose, den man mit einem Bauchschuß aufgelesen hatte. Es war nichts mehr zu hoffen, und wir hatten ihm genug Morphium gegeben, um ihm den Rest des Lebens nicht mit Schmerzen zu verbittern. Aber nun schien er zu sich gekommen. Ich beugte mich über ihn. Ja, das war der Tod. Das war des Todes Daumen, der so das Gesicht ummodellierte, der darin wie in Ton arbeitete, die Nase schärfer schnitt, die Augen in Höhlen legte, Falten um den Mund drückte, die Wangen abglättete. „Wie geht es, Kamerad?" sagte ich leise. „Hast Du Schmerzen? Durst?" Als er seine Sprache hörte, ging ein Licht in seinen blauen Augen auf. Er sah sich um. Und ich verstand diese Frage und beruhigte ihn und sagte: „Du bist bei Freunden. Willst Du etwas?" Er schloß die Augen und lächelte mühsam und flüsterte: „Einen Priester, ich bitte. Beichten. Bald." Und er sah mich wieder flehend an. Aber das Dorf war leer. Ich konnte niemanden zu ihm holen. Ich be¬ ruhigte ihn und tröstete ihn. Aber er schien wohl zu spüren, daß seine Zeit knapp wurde. „Willst Du es mir sagen. Kamerad?" fragte ich ihn. „Wenn es gesagt sein muß. Ich höre und schweige. Freisprechen wird Dich Gott. Du kannst mir vertrauen." Plötzlich sagte er: „Du bist ein Preuße!" Nicht „Deutscher" sagte er; das alte verhaßte, dem Franzosen wie Gift im Blut wirkende „prüfen" stieß er hervor. „Ich bin Dein deutscher Bruder, Kamerad." Er tastete nach meiner Hand, leise bewegte er zustimmend den Kopf. Und dann erfaßte sein Blick den roten Stern der ewigen Lampe, die vor dem Agathem-Altar schwankte. Da lächelte er. Er begriff wohl, daß er in einer Grenzboten I 191V «>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/93>, abgerufen am 29.05.2024.