Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin französisches Herz

Und der Deutsche redet weiter auf mich ein, daß ich es gut haben werde
bei ihnen und nach dem Krieg heimkehren kann.

"Jaki Heimkehren?" frag ich. "Nachdem mich die Deutschen gefangen
haben? Da spring ich vom Zug in den Rhein runter, wenn ich nicht vorher
sterben kann." Und so rede ich verzweifelt weiter und weiter. Und dann sage
ich: "Herr, lassen Sie mich frei. Gott segne Sie. Aber lassen Sie mich
laufen. Oder erschießen Sie mich. Herr, erschießen Sie mich. Ich bitte Sie
bei der Madonna und Ihrer Mutter. Eine Kugel ins Herz oder wo Sie
wollen. Ich will mich quälen und langsam verrecken. Aber nicht gefangen --."

Er bleibt stehen und schweigt. Ich subis, er kämpft in sich. Endlich sagt
er: "Ren6, es ist ein Unrecht, vielleicht ein Verbrechen von mir, und ich muß
es dem Hauptmann sagen und werde vielleicht bestraft werden, aber Du
sollst laufen."

Ich schrei auf. Er packt mich an der Brust und ruft: "Still, hör! Du
mußt mir aber versprechen, nie mehr auf uns zu schießen, keine Waffe mehr
gegen uns zu heben. Willst Du?"

"Ja," stammte ich, "ja, ja." Und dabei geht mir schon ein teuflischer
Plan im Kopf um.

"Schieß in die Luft, wenn es nicht anders geht." fährt er fort. "Aber
siehst Du, ich denke an das Dorf, wo es doch schön war trotz Eurem Haß.
und Du warst mir der Liebste, Du Schlingel. Werd ein rechter Mann, mach
Herz und Augen auf. Wir sind alle Brüder."

Er steht ganz dicht vor mir. Er will mich laufen lassen und dafür Strafe
auf sich nehmen. . . Mir ists, als ob ich ihn lieben müßte. Aber dieses gute
Gefühl beschämt mich, und ich muß es sofort durch das böseste ausgleichen.
Er gibt mir die Hand, und ich reich ihm die Linke. Und meine Rechte fährt
in den Hosensack, da habe ich ein Messer. Er legt beide Hände um meine
Linke und sagt: "Grüß mir das Dorf. Ich habe viel gelernt bei Euch, Be¬
herrschung und Selbstzucht und Schweigen. Es ist bitter, daß wir auf Euch
schießen müssen. Ihr armes, verblendetes Volk! Für wen verblutet Ihr Euch!
Eure letzte Kraft opfert Ihr einem Phantom. Die Freunde haben Euch
verraten. Und gegen uns, das Brudervolk, raset Ihr. Geh, lauf. Aber Du
hast versprochen, keine Waffe mehr gegen uns zu führen."

Und während er so Liebes und Mitleidiges zu mir spricht, habe ich das
Messer in der Tasche aufgeklappt, und meine Linke in seinen treuen Händen,
stoß ich ihm mit der Rechten das Messer ins Herz.

Er bleibt stehen, er umklammert jäh meine Hand so heftig, daß ich denke,
er läßt mich nie mehr los. Aber dann bin ich plötzlich frei, er schwankt mit
lautlos aufgerissenem Mund -- und schon lauf ich davon. Hinter mir hör ich
ihn fallen und einmal laut aufschreien. Und schon knallt es. Kugeln sausen
an mir vorbei, ich werde verfolgt, aber schon bin ich im Wald, kannte in einen
nassen Graben mit verstauchten Fuß.


Lin französisches Herz

Und der Deutsche redet weiter auf mich ein, daß ich es gut haben werde
bei ihnen und nach dem Krieg heimkehren kann.

„Jaki Heimkehren?" frag ich. „Nachdem mich die Deutschen gefangen
haben? Da spring ich vom Zug in den Rhein runter, wenn ich nicht vorher
sterben kann." Und so rede ich verzweifelt weiter und weiter. Und dann sage
ich: „Herr, lassen Sie mich frei. Gott segne Sie. Aber lassen Sie mich
laufen. Oder erschießen Sie mich. Herr, erschießen Sie mich. Ich bitte Sie
bei der Madonna und Ihrer Mutter. Eine Kugel ins Herz oder wo Sie
wollen. Ich will mich quälen und langsam verrecken. Aber nicht gefangen —."

Er bleibt stehen und schweigt. Ich subis, er kämpft in sich. Endlich sagt
er: „Ren6, es ist ein Unrecht, vielleicht ein Verbrechen von mir, und ich muß
es dem Hauptmann sagen und werde vielleicht bestraft werden, aber Du
sollst laufen."

Ich schrei auf. Er packt mich an der Brust und ruft: „Still, hör! Du
mußt mir aber versprechen, nie mehr auf uns zu schießen, keine Waffe mehr
gegen uns zu heben. Willst Du?"

„Ja," stammte ich, „ja, ja." Und dabei geht mir schon ein teuflischer
Plan im Kopf um.

„Schieß in die Luft, wenn es nicht anders geht." fährt er fort. „Aber
siehst Du, ich denke an das Dorf, wo es doch schön war trotz Eurem Haß.
und Du warst mir der Liebste, Du Schlingel. Werd ein rechter Mann, mach
Herz und Augen auf. Wir sind alle Brüder."

Er steht ganz dicht vor mir. Er will mich laufen lassen und dafür Strafe
auf sich nehmen. . . Mir ists, als ob ich ihn lieben müßte. Aber dieses gute
Gefühl beschämt mich, und ich muß es sofort durch das böseste ausgleichen.
Er gibt mir die Hand, und ich reich ihm die Linke. Und meine Rechte fährt
in den Hosensack, da habe ich ein Messer. Er legt beide Hände um meine
Linke und sagt: „Grüß mir das Dorf. Ich habe viel gelernt bei Euch, Be¬
herrschung und Selbstzucht und Schweigen. Es ist bitter, daß wir auf Euch
schießen müssen. Ihr armes, verblendetes Volk! Für wen verblutet Ihr Euch!
Eure letzte Kraft opfert Ihr einem Phantom. Die Freunde haben Euch
verraten. Und gegen uns, das Brudervolk, raset Ihr. Geh, lauf. Aber Du
hast versprochen, keine Waffe mehr gegen uns zu führen."

Und während er so Liebes und Mitleidiges zu mir spricht, habe ich das
Messer in der Tasche aufgeklappt, und meine Linke in seinen treuen Händen,
stoß ich ihm mit der Rechten das Messer ins Herz.

Er bleibt stehen, er umklammert jäh meine Hand so heftig, daß ich denke,
er läßt mich nie mehr los. Aber dann bin ich plötzlich frei, er schwankt mit
lautlos aufgerissenem Mund — und schon lauf ich davon. Hinter mir hör ich
ihn fallen und einmal laut aufschreien. Und schon knallt es. Kugeln sausen
an mir vorbei, ich werde verfolgt, aber schon bin ich im Wald, kannte in einen
nassen Graben mit verstauchten Fuß.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323195"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin französisches Herz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_231"> Und der Deutsche redet weiter auf mich ein, daß ich es gut haben werde<lb/>
bei ihnen und nach dem Krieg heimkehren kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_232"> &#x201E;Jaki Heimkehren?" frag ich. &#x201E;Nachdem mich die Deutschen gefangen<lb/>
haben? Da spring ich vom Zug in den Rhein runter, wenn ich nicht vorher<lb/>
sterben kann." Und so rede ich verzweifelt weiter und weiter. Und dann sage<lb/>
ich: &#x201E;Herr, lassen Sie mich frei. Gott segne Sie. Aber lassen Sie mich<lb/>
laufen. Oder erschießen Sie mich. Herr, erschießen Sie mich. Ich bitte Sie<lb/>
bei der Madonna und Ihrer Mutter. Eine Kugel ins Herz oder wo Sie<lb/>
wollen. Ich will mich quälen und langsam verrecken. Aber nicht gefangen &#x2014;."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_233"> Er bleibt stehen und schweigt. Ich subis, er kämpft in sich. Endlich sagt<lb/>
er: &#x201E;Ren6, es ist ein Unrecht, vielleicht ein Verbrechen von mir, und ich muß<lb/>
es dem Hauptmann sagen und werde vielleicht bestraft werden, aber Du<lb/>
sollst laufen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_234"> Ich schrei auf. Er packt mich an der Brust und ruft: &#x201E;Still, hör! Du<lb/>
mußt mir aber versprechen, nie mehr auf uns zu schießen, keine Waffe mehr<lb/>
gegen uns zu heben.  Willst Du?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_235"> &#x201E;Ja," stammte ich, &#x201E;ja, ja." Und dabei geht mir schon ein teuflischer<lb/>
Plan im Kopf um.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_236"> &#x201E;Schieß in die Luft, wenn es nicht anders geht." fährt er fort. &#x201E;Aber<lb/>
siehst Du, ich denke an das Dorf, wo es doch schön war trotz Eurem Haß.<lb/>
und Du warst mir der Liebste, Du Schlingel. Werd ein rechter Mann, mach<lb/>
Herz und Augen auf.  Wir sind alle Brüder."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_237"> Er steht ganz dicht vor mir. Er will mich laufen lassen und dafür Strafe<lb/>
auf sich nehmen. . . Mir ists, als ob ich ihn lieben müßte. Aber dieses gute<lb/>
Gefühl beschämt mich, und ich muß es sofort durch das böseste ausgleichen.<lb/>
Er gibt mir die Hand, und ich reich ihm die Linke. Und meine Rechte fährt<lb/>
in den Hosensack, da habe ich ein Messer. Er legt beide Hände um meine<lb/>
Linke und sagt: &#x201E;Grüß mir das Dorf. Ich habe viel gelernt bei Euch, Be¬<lb/>
herrschung und Selbstzucht und Schweigen. Es ist bitter, daß wir auf Euch<lb/>
schießen müssen. Ihr armes, verblendetes Volk! Für wen verblutet Ihr Euch!<lb/>
Eure letzte Kraft opfert Ihr einem Phantom. Die Freunde haben Euch<lb/>
verraten. Und gegen uns, das Brudervolk, raset Ihr. Geh, lauf. Aber Du<lb/>
hast versprochen, keine Waffe mehr gegen uns zu führen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_238"> Und während er so Liebes und Mitleidiges zu mir spricht, habe ich das<lb/>
Messer in der Tasche aufgeklappt, und meine Linke in seinen treuen Händen,<lb/>
stoß ich ihm mit der Rechten das Messer ins Herz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_239"> Er bleibt stehen, er umklammert jäh meine Hand so heftig, daß ich denke,<lb/>
er läßt mich nie mehr los. Aber dann bin ich plötzlich frei, er schwankt mit<lb/>
lautlos aufgerissenem Mund &#x2014; und schon lauf ich davon. Hinter mir hör ich<lb/>
ihn fallen und einmal laut aufschreien. Und schon knallt es. Kugeln sausen<lb/>
an mir vorbei, ich werde verfolgt, aber schon bin ich im Wald, kannte in einen<lb/>
nassen Graben mit verstauchten Fuß.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] Lin französisches Herz Und der Deutsche redet weiter auf mich ein, daß ich es gut haben werde bei ihnen und nach dem Krieg heimkehren kann. „Jaki Heimkehren?" frag ich. „Nachdem mich die Deutschen gefangen haben? Da spring ich vom Zug in den Rhein runter, wenn ich nicht vorher sterben kann." Und so rede ich verzweifelt weiter und weiter. Und dann sage ich: „Herr, lassen Sie mich frei. Gott segne Sie. Aber lassen Sie mich laufen. Oder erschießen Sie mich. Herr, erschießen Sie mich. Ich bitte Sie bei der Madonna und Ihrer Mutter. Eine Kugel ins Herz oder wo Sie wollen. Ich will mich quälen und langsam verrecken. Aber nicht gefangen —." Er bleibt stehen und schweigt. Ich subis, er kämpft in sich. Endlich sagt er: „Ren6, es ist ein Unrecht, vielleicht ein Verbrechen von mir, und ich muß es dem Hauptmann sagen und werde vielleicht bestraft werden, aber Du sollst laufen." Ich schrei auf. Er packt mich an der Brust und ruft: „Still, hör! Du mußt mir aber versprechen, nie mehr auf uns zu schießen, keine Waffe mehr gegen uns zu heben. Willst Du?" „Ja," stammte ich, „ja, ja." Und dabei geht mir schon ein teuflischer Plan im Kopf um. „Schieß in die Luft, wenn es nicht anders geht." fährt er fort. „Aber siehst Du, ich denke an das Dorf, wo es doch schön war trotz Eurem Haß. und Du warst mir der Liebste, Du Schlingel. Werd ein rechter Mann, mach Herz und Augen auf. Wir sind alle Brüder." Er steht ganz dicht vor mir. Er will mich laufen lassen und dafür Strafe auf sich nehmen. . . Mir ists, als ob ich ihn lieben müßte. Aber dieses gute Gefühl beschämt mich, und ich muß es sofort durch das böseste ausgleichen. Er gibt mir die Hand, und ich reich ihm die Linke. Und meine Rechte fährt in den Hosensack, da habe ich ein Messer. Er legt beide Hände um meine Linke und sagt: „Grüß mir das Dorf. Ich habe viel gelernt bei Euch, Be¬ herrschung und Selbstzucht und Schweigen. Es ist bitter, daß wir auf Euch schießen müssen. Ihr armes, verblendetes Volk! Für wen verblutet Ihr Euch! Eure letzte Kraft opfert Ihr einem Phantom. Die Freunde haben Euch verraten. Und gegen uns, das Brudervolk, raset Ihr. Geh, lauf. Aber Du hast versprochen, keine Waffe mehr gegen uns zu führen." Und während er so Liebes und Mitleidiges zu mir spricht, habe ich das Messer in der Tasche aufgeklappt, und meine Linke in seinen treuen Händen, stoß ich ihm mit der Rechten das Messer ins Herz. Er bleibt stehen, er umklammert jäh meine Hand so heftig, daß ich denke, er läßt mich nie mehr los. Aber dann bin ich plötzlich frei, er schwankt mit lautlos aufgerissenem Mund — und schon lauf ich davon. Hinter mir hör ich ihn fallen und einmal laut aufschreien. Und schon knallt es. Kugeln sausen an mir vorbei, ich werde verfolgt, aber schon bin ich im Wald, kannte in einen nassen Graben mit verstauchten Fuß.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/98>, abgerufen am 29.05.2024.