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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ein französisches Herz

Am nächsten Tage erst schleppe ich mich zu den Unsrigen zurück. Ich
hatte Fieber und bekam die Ruhr. Ich lag vier Wochen im Lazarett.

Und da, wie ich so lag. da erwachte mein Gewissen. Ich wollte mich
töten, denn ich war ja ehrloser, als wenn ich gefangen gewesen wäre. Aber
meine Kugel war zu gut für mich. Die Deutschen sollten mich erschlagen,
aufspießen, hinschlachten! Dieses Los bestimmte ich mir. Denn schließlich sind
wir gerecht. Wir sind alles in einem: Helden und Feiglinge, Meuchelmörder
und eigener Henker. Und wenn wir die Ehre verscherzen, büßen wir's freiwillig ab.

Ich kehrte ins Feld zurück. Es war Winter geworden. Ich hielt mein
Versprechen und schoß nur noch in die Luft. Immer, immer sah ich sein
schönes, gütiges Gesicht vor mir. Ach, ich krümmte mich vor Reue. Ein
Kugeltod schien mir zu ehrenvoll. Ich wollte bei einem Bajonettsturm auf¬
gespießt werden, langsam sterben. Ach, ich Hab's gebüßt. Oft war ich wie
von Sinnen. Die Kameraden bekamen Angst vor mir. Und der Tod ver¬
schonte mich.

Erst heute traf mich eine Kugel. Ich glaube, mir ist vielleicht verziehen,
weil ich so ehrenvoll sterben darf. Ich sterbe ja. Bei Deutschen. Sie rächen
sich mit Liebe. Das tut am bittersten weh. Aber auch wohl. Kann ich
absolviert werden?"

Ich trocknete ihm die nasse Stirn. Bald darauf fiel er in Delirien. Im
Morgengrauen, als fern längst wieder die Schlacht donnerte, schlug er die
Augen auf und sah mich an.

"Mein Bruder," flüsterte er.

Das war das Letzte. Bald darauf starb er. Ich drückte ihm die Augen zu.

"Mein Bruder."




Ein französisches Herz

Am nächsten Tage erst schleppe ich mich zu den Unsrigen zurück. Ich
hatte Fieber und bekam die Ruhr. Ich lag vier Wochen im Lazarett.

Und da, wie ich so lag. da erwachte mein Gewissen. Ich wollte mich
töten, denn ich war ja ehrloser, als wenn ich gefangen gewesen wäre. Aber
meine Kugel war zu gut für mich. Die Deutschen sollten mich erschlagen,
aufspießen, hinschlachten! Dieses Los bestimmte ich mir. Denn schließlich sind
wir gerecht. Wir sind alles in einem: Helden und Feiglinge, Meuchelmörder
und eigener Henker. Und wenn wir die Ehre verscherzen, büßen wir's freiwillig ab.

Ich kehrte ins Feld zurück. Es war Winter geworden. Ich hielt mein
Versprechen und schoß nur noch in die Luft. Immer, immer sah ich sein
schönes, gütiges Gesicht vor mir. Ach, ich krümmte mich vor Reue. Ein
Kugeltod schien mir zu ehrenvoll. Ich wollte bei einem Bajonettsturm auf¬
gespießt werden, langsam sterben. Ach, ich Hab's gebüßt. Oft war ich wie
von Sinnen. Die Kameraden bekamen Angst vor mir. Und der Tod ver¬
schonte mich.

Erst heute traf mich eine Kugel. Ich glaube, mir ist vielleicht verziehen,
weil ich so ehrenvoll sterben darf. Ich sterbe ja. Bei Deutschen. Sie rächen
sich mit Liebe. Das tut am bittersten weh. Aber auch wohl. Kann ich
absolviert werden?"

Ich trocknete ihm die nasse Stirn. Bald darauf fiel er in Delirien. Im
Morgengrauen, als fern längst wieder die Schlacht donnerte, schlug er die
Augen auf und sah mich an.

„Mein Bruder," flüsterte er.

Das war das Letzte. Bald darauf starb er. Ich drückte ihm die Augen zu.

„Mein Bruder."




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[0099] Ein französisches Herz Am nächsten Tage erst schleppe ich mich zu den Unsrigen zurück. Ich hatte Fieber und bekam die Ruhr. Ich lag vier Wochen im Lazarett. Und da, wie ich so lag. da erwachte mein Gewissen. Ich wollte mich töten, denn ich war ja ehrloser, als wenn ich gefangen gewesen wäre. Aber meine Kugel war zu gut für mich. Die Deutschen sollten mich erschlagen, aufspießen, hinschlachten! Dieses Los bestimmte ich mir. Denn schließlich sind wir gerecht. Wir sind alles in einem: Helden und Feiglinge, Meuchelmörder und eigener Henker. Und wenn wir die Ehre verscherzen, büßen wir's freiwillig ab. Ich kehrte ins Feld zurück. Es war Winter geworden. Ich hielt mein Versprechen und schoß nur noch in die Luft. Immer, immer sah ich sein schönes, gütiges Gesicht vor mir. Ach, ich krümmte mich vor Reue. Ein Kugeltod schien mir zu ehrenvoll. Ich wollte bei einem Bajonettsturm auf¬ gespießt werden, langsam sterben. Ach, ich Hab's gebüßt. Oft war ich wie von Sinnen. Die Kameraden bekamen Angst vor mir. Und der Tod ver¬ schonte mich. Erst heute traf mich eine Kugel. Ich glaube, mir ist vielleicht verziehen, weil ich so ehrenvoll sterben darf. Ich sterbe ja. Bei Deutschen. Sie rächen sich mit Liebe. Das tut am bittersten weh. Aber auch wohl. Kann ich absolviert werden?" Ich trocknete ihm die nasse Stirn. Bald darauf fiel er in Delirien. Im Morgengrauen, als fern längst wieder die Schlacht donnerte, schlug er die Augen auf und sah mich an. „Mein Bruder," flüsterte er. Das war das Letzte. Bald darauf starb er. Ich drückte ihm die Augen zu. „Mein Bruder."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/99>, abgerufen am 15.05.2024.