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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Schweden und der Weltkrieg

"Militarismus" zurück. Im zweiten Teile legt er unter anderem zahlenmäßig
dar. daß Englands und Frankreichs Ausgaben für Heer und Marine pro Kopf
der Bevölkerung bedeutender sind als die Deutschlands. Für die unglaublichen
Kriegsberichte englischer Journalisten weiß Steffen nur eine Erklärung: so wie
England zum größten Teile aus Jagdgründen besteht, so sieht der Engländer
auch die ganze übrige Welt als sein Jagdrevier an; denn der Sport und be¬
sonders die Jagd erscheinen ihm ja als notwendiger Ausgleich der Schäden
des modernen Jndustrialismus. So ist ihm die Vorliebe geblieben für Kriegs¬
schilderungen, die sich nicht von den alten Jndianergeschichten unterscheiden.
Die krassen Urteile gebildeter Engländer über Deutschland erklärt Steffen mit
der Beschränktheit der englischen Jnsularität. Aus jeder Zeile Steffens spricht
Hochachtung für das deutsche Volk und seine Kultur. Besonders für seine
Kraft der Organisation -- die er sowohl in dem deutschen Militarismus wie
in der deutschen Sozialdemokratie findet -- hat er volles Verständnis und
Worte höchster Anerkennung.

Die rechtsstehende Partei Schwedens geht weiter wie Steffen. Sie ist seit
Kriegsausbruch mit der offiziellen Politik unzufrieden und wünscht ein aktives
Eingreifen zugunsten Deutschlands. Mit scharfen Worten hält sie immer wieder
dem Volke die russische Gefahr vor Augen, die jetzt nach Ausbruch des Krieges
die linksstehende Presse wegzudisputieren sucht*). Sollte Rußland auch die Besitz-
nahme Konstantinopels gelingen, so wird es deshalb nicht aufhören, alle
Mittel in Bewegung zu setzen, um sich in den Besitz eines Hafens am atlantischen
Ozean zu setzen. Kann doch ein Hafen am mittelländischen Meer, in dessen
Beherrschung sich vier Großmächte teilen, nicht den so ersehnten am Weltmeer
ersetzen, gar nicht zu reden von Alexandrowsk an der Murmanküste, das bei
weitem nicht dieselben günstigen Bedingungen eines Kriegshafens aufweist wie
Narvik.

Aufsehen erregende Artikel erschienen in der Zeitschrift "Det mya Sverige,"
deren Herausgeber der Leiter des Nationalvereins gegen die Auswanderung,
Adrian Mölln, ist. Bekanntlich war ja eines der Hauptprobleme der schwedischen
Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten die Verhütung der Auswanderung.
Hat doch das Land von 1850 bis 1910 mehr als eine Million Menschen
verloren, fast ein Fünftel seiner jetzigen Bevölkerung. Der Verein versucht
durch Ansiedlung von Bauern die Leute in der Heimat zu halten und Rück¬
wanderer von neuem an die Heimat zu fesseln. Schon aus der Tätigkeit des
Vereins, deren Direktor -- wie gesagt -- der Herausgeber der Zeitschrift
"Det mya Sverige" ist, läßt sich ihre Tendenz erkennen: Erneuerung der schwedischen
Kultur auf nationaler Grundlage. Mölln will in seinen Artikeln "Starke und
schwache Neutralität", "Schwedische Neutralität", "Narvik oder die Dardanellen"



*) Zur Achtsamkeit auf russische Eroberungspolitik riet auch die immerwährende uner¬
hörte Spionage von feiten Rußlands in Schweden.
Schweden und der Weltkrieg

„Militarismus" zurück. Im zweiten Teile legt er unter anderem zahlenmäßig
dar. daß Englands und Frankreichs Ausgaben für Heer und Marine pro Kopf
der Bevölkerung bedeutender sind als die Deutschlands. Für die unglaublichen
Kriegsberichte englischer Journalisten weiß Steffen nur eine Erklärung: so wie
England zum größten Teile aus Jagdgründen besteht, so sieht der Engländer
auch die ganze übrige Welt als sein Jagdrevier an; denn der Sport und be¬
sonders die Jagd erscheinen ihm ja als notwendiger Ausgleich der Schäden
des modernen Jndustrialismus. So ist ihm die Vorliebe geblieben für Kriegs¬
schilderungen, die sich nicht von den alten Jndianergeschichten unterscheiden.
Die krassen Urteile gebildeter Engländer über Deutschland erklärt Steffen mit
der Beschränktheit der englischen Jnsularität. Aus jeder Zeile Steffens spricht
Hochachtung für das deutsche Volk und seine Kultur. Besonders für seine
Kraft der Organisation — die er sowohl in dem deutschen Militarismus wie
in der deutschen Sozialdemokratie findet — hat er volles Verständnis und
Worte höchster Anerkennung.

Die rechtsstehende Partei Schwedens geht weiter wie Steffen. Sie ist seit
Kriegsausbruch mit der offiziellen Politik unzufrieden und wünscht ein aktives
Eingreifen zugunsten Deutschlands. Mit scharfen Worten hält sie immer wieder
dem Volke die russische Gefahr vor Augen, die jetzt nach Ausbruch des Krieges
die linksstehende Presse wegzudisputieren sucht*). Sollte Rußland auch die Besitz-
nahme Konstantinopels gelingen, so wird es deshalb nicht aufhören, alle
Mittel in Bewegung zu setzen, um sich in den Besitz eines Hafens am atlantischen
Ozean zu setzen. Kann doch ein Hafen am mittelländischen Meer, in dessen
Beherrschung sich vier Großmächte teilen, nicht den so ersehnten am Weltmeer
ersetzen, gar nicht zu reden von Alexandrowsk an der Murmanküste, das bei
weitem nicht dieselben günstigen Bedingungen eines Kriegshafens aufweist wie
Narvik.

Aufsehen erregende Artikel erschienen in der Zeitschrift „Det mya Sverige,"
deren Herausgeber der Leiter des Nationalvereins gegen die Auswanderung,
Adrian Mölln, ist. Bekanntlich war ja eines der Hauptprobleme der schwedischen
Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten die Verhütung der Auswanderung.
Hat doch das Land von 1850 bis 1910 mehr als eine Million Menschen
verloren, fast ein Fünftel seiner jetzigen Bevölkerung. Der Verein versucht
durch Ansiedlung von Bauern die Leute in der Heimat zu halten und Rück¬
wanderer von neuem an die Heimat zu fesseln. Schon aus der Tätigkeit des
Vereins, deren Direktor — wie gesagt — der Herausgeber der Zeitschrift
„Det mya Sverige" ist, läßt sich ihre Tendenz erkennen: Erneuerung der schwedischen
Kultur auf nationaler Grundlage. Mölln will in seinen Artikeln „Starke und
schwache Neutralität", „Schwedische Neutralität", „Narvik oder die Dardanellen"



*) Zur Achtsamkeit auf russische Eroberungspolitik riet auch die immerwährende uner¬
hörte Spionage von feiten Rußlands in Schweden.
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[0117] Schweden und der Weltkrieg „Militarismus" zurück. Im zweiten Teile legt er unter anderem zahlenmäßig dar. daß Englands und Frankreichs Ausgaben für Heer und Marine pro Kopf der Bevölkerung bedeutender sind als die Deutschlands. Für die unglaublichen Kriegsberichte englischer Journalisten weiß Steffen nur eine Erklärung: so wie England zum größten Teile aus Jagdgründen besteht, so sieht der Engländer auch die ganze übrige Welt als sein Jagdrevier an; denn der Sport und be¬ sonders die Jagd erscheinen ihm ja als notwendiger Ausgleich der Schäden des modernen Jndustrialismus. So ist ihm die Vorliebe geblieben für Kriegs¬ schilderungen, die sich nicht von den alten Jndianergeschichten unterscheiden. Die krassen Urteile gebildeter Engländer über Deutschland erklärt Steffen mit der Beschränktheit der englischen Jnsularität. Aus jeder Zeile Steffens spricht Hochachtung für das deutsche Volk und seine Kultur. Besonders für seine Kraft der Organisation — die er sowohl in dem deutschen Militarismus wie in der deutschen Sozialdemokratie findet — hat er volles Verständnis und Worte höchster Anerkennung. Die rechtsstehende Partei Schwedens geht weiter wie Steffen. Sie ist seit Kriegsausbruch mit der offiziellen Politik unzufrieden und wünscht ein aktives Eingreifen zugunsten Deutschlands. Mit scharfen Worten hält sie immer wieder dem Volke die russische Gefahr vor Augen, die jetzt nach Ausbruch des Krieges die linksstehende Presse wegzudisputieren sucht*). Sollte Rußland auch die Besitz- nahme Konstantinopels gelingen, so wird es deshalb nicht aufhören, alle Mittel in Bewegung zu setzen, um sich in den Besitz eines Hafens am atlantischen Ozean zu setzen. Kann doch ein Hafen am mittelländischen Meer, in dessen Beherrschung sich vier Großmächte teilen, nicht den so ersehnten am Weltmeer ersetzen, gar nicht zu reden von Alexandrowsk an der Murmanküste, das bei weitem nicht dieselben günstigen Bedingungen eines Kriegshafens aufweist wie Narvik. Aufsehen erregende Artikel erschienen in der Zeitschrift „Det mya Sverige," deren Herausgeber der Leiter des Nationalvereins gegen die Auswanderung, Adrian Mölln, ist. Bekanntlich war ja eines der Hauptprobleme der schwedischen Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten die Verhütung der Auswanderung. Hat doch das Land von 1850 bis 1910 mehr als eine Million Menschen verloren, fast ein Fünftel seiner jetzigen Bevölkerung. Der Verein versucht durch Ansiedlung von Bauern die Leute in der Heimat zu halten und Rück¬ wanderer von neuem an die Heimat zu fesseln. Schon aus der Tätigkeit des Vereins, deren Direktor — wie gesagt — der Herausgeber der Zeitschrift „Det mya Sverige" ist, läßt sich ihre Tendenz erkennen: Erneuerung der schwedischen Kultur auf nationaler Grundlage. Mölln will in seinen Artikeln „Starke und schwache Neutralität", „Schwedische Neutralität", „Narvik oder die Dardanellen" *) Zur Achtsamkeit auf russische Eroberungspolitik riet auch die immerwährende uner¬ hörte Spionage von feiten Rußlands in Schweden.

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/117>, abgerufen am 28.05.2024.