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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Schweden und der Weltkrieg

beweisen, daß im Unterschied von Italien Schweden durch seine Neutralität
nur verlieren kann. Italien läßt in jedem Falle die Großmächte den Kampf
auch für sich ausfechten. Es wird am Tage des Friedens seinen Nutzen aus
dem Weltkrieg ziehen, weil beide kriegführenden Parteien -- dank seiner
kräftigen Machtmittel -- ihm jederzeit eine aktive Politik zutrauen, sie herbei¬
wünschen oder fürchten. Schweden aber wegen seiner geringen Machtmittel nicht
ernst genommen wird.

Deutschland -- so fährt Mölln fort -- ist der einzige Staat, der Schweden
Stütze gewähren kann. Man wird es ihm aber beim Frieden nicht verübeln
können, wenn ihm die Türkei, die aktiv eingriff, nähersteht als der skandinavische
Stammesgenosse. Es wird niemand wundern können, wenn es sür die
Garantterung der Integrität der Türkei Rußland nichts mehr in den Weg
legt, sich den so notwendigen Hafen an der Küste Norwegens zu suchen.
Sicher muß man Mölln recht geben, wenn er behauptet, daß eine Beschlu߬
fassung nichts bedeutet, wenn man nicht die Möglichkeit besitzt, jederzeit für
ihre Nichtachtung das Schwert zu ziehen. Doppelt klar wurde uns diese
Erkenntnis durch das selbstherrliche Verhalten Englands gegenüber den neutralen
Staaten. Ob wir trotz dieser Umstände aber so scharf in unserer Beurteilung
sein dürfen und der Malmözusammenkunft keine andere Bedeutung zusprechen
können als die einer Demonstration, scheint mir fraglich. Wird es doch
sicher schon von erheblicher Wirkung sein, wenn sich die skandinavischen Staaten
einig geworden sind, auf jeden Fall den finnisch-schwedischen Bahnanschluß zu
verhindern und die Neutralität streng zu bewahren.

Großes Aufsehen erregte in Schweden Molins Widerlegung der Ansichten
jener Männer, die die Übermacht eines siegenden Deutschland fürchten. Wir
wollen die Worte Molins hier ohne Kommentar wiedergeben: "Würde uns
wirklich Gefahr von feiten eines Deutschland drohen, das seine Feinde mit
Glück bekämpft hat, so wäre es für Schweden an der Zeit, ernstlich zu über¬
legen, welches Schicksal es vorzöge: Bayerns oder Finnlands."

Diese Äußerung könnte glauben machen, daß es den Schweden an National¬
gefühl gebricht. Das Gegenteil beweist schon die Tendenz der erwähnten Zeit¬
schrift. Eher könnte man die Strömung, die jetzt in Schweden in den ver¬
schiedensten Kreisen, Liberalen und Konservativen, scharf zutage tritt, mit den
Worten bezeichnen: Schweden für die Schweden. Selbst Sozialdemokraten
äußerten sich mir gegenüber empört, daß so viele Unternehmungen sich in den
Händen von Ausländern befänden. Diese Stellungnahme ist allerdings nicht
so verwunderlich, da die schwedische Sozialdemokratie ja schon vor dem Kriege
bedeutend nationaler gerichtet war. als dieselbe Partei in anderen Ländern.
Heute würde man es in vielen Kreisen mit Freude begrüßen, wenn man getreu
dem Prinzip "Schweden für die Schweden" den Erwerb von Grundbesitz für
Ausländer erschwerte. Diese Auffassungen sind um so schwerer zu verstehen,
als Schweden, das nur fünfeinhalb Millionen Einwohner besitzt, in erster Linie


Schweden und der Weltkrieg

beweisen, daß im Unterschied von Italien Schweden durch seine Neutralität
nur verlieren kann. Italien läßt in jedem Falle die Großmächte den Kampf
auch für sich ausfechten. Es wird am Tage des Friedens seinen Nutzen aus
dem Weltkrieg ziehen, weil beide kriegführenden Parteien — dank seiner
kräftigen Machtmittel — ihm jederzeit eine aktive Politik zutrauen, sie herbei¬
wünschen oder fürchten. Schweden aber wegen seiner geringen Machtmittel nicht
ernst genommen wird.

Deutschland — so fährt Mölln fort — ist der einzige Staat, der Schweden
Stütze gewähren kann. Man wird es ihm aber beim Frieden nicht verübeln
können, wenn ihm die Türkei, die aktiv eingriff, nähersteht als der skandinavische
Stammesgenosse. Es wird niemand wundern können, wenn es sür die
Garantterung der Integrität der Türkei Rußland nichts mehr in den Weg
legt, sich den so notwendigen Hafen an der Küste Norwegens zu suchen.
Sicher muß man Mölln recht geben, wenn er behauptet, daß eine Beschlu߬
fassung nichts bedeutet, wenn man nicht die Möglichkeit besitzt, jederzeit für
ihre Nichtachtung das Schwert zu ziehen. Doppelt klar wurde uns diese
Erkenntnis durch das selbstherrliche Verhalten Englands gegenüber den neutralen
Staaten. Ob wir trotz dieser Umstände aber so scharf in unserer Beurteilung
sein dürfen und der Malmözusammenkunft keine andere Bedeutung zusprechen
können als die einer Demonstration, scheint mir fraglich. Wird es doch
sicher schon von erheblicher Wirkung sein, wenn sich die skandinavischen Staaten
einig geworden sind, auf jeden Fall den finnisch-schwedischen Bahnanschluß zu
verhindern und die Neutralität streng zu bewahren.

Großes Aufsehen erregte in Schweden Molins Widerlegung der Ansichten
jener Männer, die die Übermacht eines siegenden Deutschland fürchten. Wir
wollen die Worte Molins hier ohne Kommentar wiedergeben: „Würde uns
wirklich Gefahr von feiten eines Deutschland drohen, das seine Feinde mit
Glück bekämpft hat, so wäre es für Schweden an der Zeit, ernstlich zu über¬
legen, welches Schicksal es vorzöge: Bayerns oder Finnlands."

Diese Äußerung könnte glauben machen, daß es den Schweden an National¬
gefühl gebricht. Das Gegenteil beweist schon die Tendenz der erwähnten Zeit¬
schrift. Eher könnte man die Strömung, die jetzt in Schweden in den ver¬
schiedensten Kreisen, Liberalen und Konservativen, scharf zutage tritt, mit den
Worten bezeichnen: Schweden für die Schweden. Selbst Sozialdemokraten
äußerten sich mir gegenüber empört, daß so viele Unternehmungen sich in den
Händen von Ausländern befänden. Diese Stellungnahme ist allerdings nicht
so verwunderlich, da die schwedische Sozialdemokratie ja schon vor dem Kriege
bedeutend nationaler gerichtet war. als dieselbe Partei in anderen Ländern.
Heute würde man es in vielen Kreisen mit Freude begrüßen, wenn man getreu
dem Prinzip „Schweden für die Schweden" den Erwerb von Grundbesitz für
Ausländer erschwerte. Diese Auffassungen sind um so schwerer zu verstehen,
als Schweden, das nur fünfeinhalb Millionen Einwohner besitzt, in erster Linie


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[0118] Schweden und der Weltkrieg beweisen, daß im Unterschied von Italien Schweden durch seine Neutralität nur verlieren kann. Italien läßt in jedem Falle die Großmächte den Kampf auch für sich ausfechten. Es wird am Tage des Friedens seinen Nutzen aus dem Weltkrieg ziehen, weil beide kriegführenden Parteien — dank seiner kräftigen Machtmittel — ihm jederzeit eine aktive Politik zutrauen, sie herbei¬ wünschen oder fürchten. Schweden aber wegen seiner geringen Machtmittel nicht ernst genommen wird. Deutschland — so fährt Mölln fort — ist der einzige Staat, der Schweden Stütze gewähren kann. Man wird es ihm aber beim Frieden nicht verübeln können, wenn ihm die Türkei, die aktiv eingriff, nähersteht als der skandinavische Stammesgenosse. Es wird niemand wundern können, wenn es sür die Garantterung der Integrität der Türkei Rußland nichts mehr in den Weg legt, sich den so notwendigen Hafen an der Küste Norwegens zu suchen. Sicher muß man Mölln recht geben, wenn er behauptet, daß eine Beschlu߬ fassung nichts bedeutet, wenn man nicht die Möglichkeit besitzt, jederzeit für ihre Nichtachtung das Schwert zu ziehen. Doppelt klar wurde uns diese Erkenntnis durch das selbstherrliche Verhalten Englands gegenüber den neutralen Staaten. Ob wir trotz dieser Umstände aber so scharf in unserer Beurteilung sein dürfen und der Malmözusammenkunft keine andere Bedeutung zusprechen können als die einer Demonstration, scheint mir fraglich. Wird es doch sicher schon von erheblicher Wirkung sein, wenn sich die skandinavischen Staaten einig geworden sind, auf jeden Fall den finnisch-schwedischen Bahnanschluß zu verhindern und die Neutralität streng zu bewahren. Großes Aufsehen erregte in Schweden Molins Widerlegung der Ansichten jener Männer, die die Übermacht eines siegenden Deutschland fürchten. Wir wollen die Worte Molins hier ohne Kommentar wiedergeben: „Würde uns wirklich Gefahr von feiten eines Deutschland drohen, das seine Feinde mit Glück bekämpft hat, so wäre es für Schweden an der Zeit, ernstlich zu über¬ legen, welches Schicksal es vorzöge: Bayerns oder Finnlands." Diese Äußerung könnte glauben machen, daß es den Schweden an National¬ gefühl gebricht. Das Gegenteil beweist schon die Tendenz der erwähnten Zeit¬ schrift. Eher könnte man die Strömung, die jetzt in Schweden in den ver¬ schiedensten Kreisen, Liberalen und Konservativen, scharf zutage tritt, mit den Worten bezeichnen: Schweden für die Schweden. Selbst Sozialdemokraten äußerten sich mir gegenüber empört, daß so viele Unternehmungen sich in den Händen von Ausländern befänden. Diese Stellungnahme ist allerdings nicht so verwunderlich, da die schwedische Sozialdemokratie ja schon vor dem Kriege bedeutend nationaler gerichtet war. als dieselbe Partei in anderen Ländern. Heute würde man es in vielen Kreisen mit Freude begrüßen, wenn man getreu dem Prinzip „Schweden für die Schweden" den Erwerb von Grundbesitz für Ausländer erschwerte. Diese Auffassungen sind um so schwerer zu verstehen, als Schweden, das nur fünfeinhalb Millionen Einwohner besitzt, in erster Linie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/118>, abgerufen am 19.05.2024.