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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Lin Blick in die Woövre, das Vorland von Toul und verbum

Fördertürmen und mächtigen Wassertürmen und mit den großen Arbeiter-
anfiedlungen haben in den letzten Jahrzehnten einen ganz neuen Zug in das
Bild der ackerbauenden Woevre gebracht, und auch in das der Bevölkerung.
Die einheimische Bevölkerung ist von Mittelgröße oder auch etwas darunter.
Die ziemlich kräftig ausgebildeten Ober- und Unterkieferknochen, altgallische
Merkmale nach Joanne, verleihen den Gesichtern etwas Hartes, das namentlich
bei der Weiblichkeit, wenn sie nicht mehr ganz jugendlich ist, unangenehm
auffällt. Da diese offenbar seit Urzeiten hier angesessene Rasse wenig kinderreich
ist und dazu den kargen Boden der Heimat in Scharen den Rücken gewandt
hat, sind es jetzt vielfach Italiener, die in den mit. Zirkel und Lineal her¬
gestellten Arbeiter-Kolonien Hausen. Die italienischen Arbeiter selbst waren
natürlich während des Krieges nicht mehr anzutreffen, aber ihre "Cafes", die
von italienischen Fabrikgegenden her bekannten Lotterfallen mit den verlockenden
Namen zeugen von dem neuen Bevölkerungsbestandteil der Wosvre. Das
Mappenkommando hat sich übrigens veranlaßt gesehen, diese Wirtschaften zu
schließen. Das große Schneider'sche Werk bei Constans dient indessen dem
Reich gegenwärtig nicht bloß durch seine eigentliche Bestimmung, sondern auch
durch seine wirklich gediegene große Brausebadanlage: das Werk heißt in der
Umgebung des großen Etappenortes Constans nur "das Bad" und immer
wieder kann man Zügen von Soldaten begegnen, die aus der ganzen Gegend
mit ihren Handtüchern unter dem Arm der gastlichen Stätte zustreben. Um
die Gunst der Verhältnisse ganz auszunützen, hat sich das Werk auch noch als
Klinik für wegemüde Automobile aufgetan.

Was aber im Winter 1914/15 der sonst so stillen, weltabgelegenen Wosvre
ein besonderes Gepräge aufgedrückt hat, ist der Riesenverkehr auf ihren Landstraßen,
die dem guten Ruf der französischen Landstraße Ehre machen. Der chaussierte
mittlere Teil der "Straßen erster Ordnung" ist in einer für zwei Wagen
reichlich genügenden Breite trotz der großen Inanspruchnahme im Dezember
noch in gutem Stand gewesen; zu beiden Seiten aber befand sich in Breite
von etwa einem Meter, offenbar an Stelle des früheren Gehweges, eine
Schlammgasse, in der ausweichende Fuhrwerke tief einsanken. Unausgesetzt be¬
gegnen sich auf diesen Verkehrsadern lange Wagenreihen mit Nahrungsmitteln,
Stroh, Schützengrabenöfen, Feldpost, Munition und andern nötigen und an¬
genehmen Dingen. Zwischen den mühsam ausweichenden Kolonnen rasen
Automobile hindurch, die in einem Augenblick den Wanderer in die Lokalfarbe
der Wosvre kleiden, wenn er es wagt, sich zwischen all dem Fuhrwerk durchzu¬
arbeiten, um da und dort einen Blick zu erHaschen, wie ihn eben nur der
Fußwanderer auffangen kann.




Lin Blick in die Woövre, das Vorland von Toul und verbum

Fördertürmen und mächtigen Wassertürmen und mit den großen Arbeiter-
anfiedlungen haben in den letzten Jahrzehnten einen ganz neuen Zug in das
Bild der ackerbauenden Woevre gebracht, und auch in das der Bevölkerung.
Die einheimische Bevölkerung ist von Mittelgröße oder auch etwas darunter.
Die ziemlich kräftig ausgebildeten Ober- und Unterkieferknochen, altgallische
Merkmale nach Joanne, verleihen den Gesichtern etwas Hartes, das namentlich
bei der Weiblichkeit, wenn sie nicht mehr ganz jugendlich ist, unangenehm
auffällt. Da diese offenbar seit Urzeiten hier angesessene Rasse wenig kinderreich
ist und dazu den kargen Boden der Heimat in Scharen den Rücken gewandt
hat, sind es jetzt vielfach Italiener, die in den mit. Zirkel und Lineal her¬
gestellten Arbeiter-Kolonien Hausen. Die italienischen Arbeiter selbst waren
natürlich während des Krieges nicht mehr anzutreffen, aber ihre „Cafes", die
von italienischen Fabrikgegenden her bekannten Lotterfallen mit den verlockenden
Namen zeugen von dem neuen Bevölkerungsbestandteil der Wosvre. Das
Mappenkommando hat sich übrigens veranlaßt gesehen, diese Wirtschaften zu
schließen. Das große Schneider'sche Werk bei Constans dient indessen dem
Reich gegenwärtig nicht bloß durch seine eigentliche Bestimmung, sondern auch
durch seine wirklich gediegene große Brausebadanlage: das Werk heißt in der
Umgebung des großen Etappenortes Constans nur „das Bad" und immer
wieder kann man Zügen von Soldaten begegnen, die aus der ganzen Gegend
mit ihren Handtüchern unter dem Arm der gastlichen Stätte zustreben. Um
die Gunst der Verhältnisse ganz auszunützen, hat sich das Werk auch noch als
Klinik für wegemüde Automobile aufgetan.

Was aber im Winter 1914/15 der sonst so stillen, weltabgelegenen Wosvre
ein besonderes Gepräge aufgedrückt hat, ist der Riesenverkehr auf ihren Landstraßen,
die dem guten Ruf der französischen Landstraße Ehre machen. Der chaussierte
mittlere Teil der „Straßen erster Ordnung" ist in einer für zwei Wagen
reichlich genügenden Breite trotz der großen Inanspruchnahme im Dezember
noch in gutem Stand gewesen; zu beiden Seiten aber befand sich in Breite
von etwa einem Meter, offenbar an Stelle des früheren Gehweges, eine
Schlammgasse, in der ausweichende Fuhrwerke tief einsanken. Unausgesetzt be¬
gegnen sich auf diesen Verkehrsadern lange Wagenreihen mit Nahrungsmitteln,
Stroh, Schützengrabenöfen, Feldpost, Munition und andern nötigen und an¬
genehmen Dingen. Zwischen den mühsam ausweichenden Kolonnen rasen
Automobile hindurch, die in einem Augenblick den Wanderer in die Lokalfarbe
der Wosvre kleiden, wenn er es wagt, sich zwischen all dem Fuhrwerk durchzu¬
arbeiten, um da und dort einen Blick zu erHaschen, wie ihn eben nur der
Fußwanderer auffangen kann.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/136>, abgerufen am 05.05.2024.