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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Wehrkraft und Siedlung

kompanien oder religiösen Vereinen eine aanz andere Tüchtigkeit mitbringen.
Der Reichtum deutschen Wesens und deutscher Begabung bedarf auch einmal
der Entfaltung in mannigfacher freier Weise. Man kann nicht den Weg vom
vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahre bis in alle Einzelheiten vorzeichnen.

Und damit kommen wir zu dem bis jetzt in der öffentlichen Erörterung
völlig unberührten Gesichtspunkt: die Wehrfähigkeit eines Volkes hängt von
seiner Zucht ab, und die Zucht letzten Grundes von den Müttern. Die
außerordentliche körperliche Tüchtigkeit und sittliche Energie vieler großstädtischer
Rekruten danken wir den Turnvereinen und vielen Jugendvereinen. Aber
dieser Erfolg war nur möglich, weil wir noch die Söhne tüchtiger Mütter
hatten. Ein feiner Beobachter sah schon die Abnahme der Erfolge voraus, je
mehr Kinder schon unerzogener Mütter heranwachsen.

Darum muß die körperliche wie hauswirtschaftliche Erziehung eingeführt
werden für die gesamte weibliche Jugend. Um aber die rechten Wege zu
finden bei den verschiedenen gewerblichen und örtlichen Vorbedingungen, muß
jetzt ohne Säumen und umfassend noch viel gründliche Vorarbeit geleistet werden.

Für eine erfolgreiche Erziehung der Mädchen muß jedenfalls in manchen
gewerblichen Betrieben die weibliche Arbeitszeit verkürzt werden.

Aber niemand glaube, daß diese Erziehung der Mädchen in der Fort¬
bildungsschule einfach ebenso gut und vollkommen geleistet werden könne wie die
der Jungen. Bei diesen ergänzt die Schule die Erziehung durch die berufliche
Arbeit. Und selbst, wo diese Arbeit einförmig in kaufmännischen und industriellen
Betrieben geschieht, wird doch in der Kameradschaft der Arbeit der Junge
anders gehoben und gestählt als das Mädchen. Zu viele der neueren Berufe
genügen nicht, um die natürlichen Kräfte und Fähigkeiten des Mädchens zu
entwickeln. So bleibt es dabei, daß mit der Auflösung der Familie als Arbeits¬
gemeinschaft, Müttern und Töchtern das natürliche Feld zu geistigem und sitt¬
lichem Wachstum, und damit auch zur vollen Blüte der Gesundheit genommen ist.

Diese Beengung des weiblichen Lebens bedroht die Volks- und Wehrkraft
industriell arbeitender Nationen. Nur eines hilft: Verbreiterung für das
Leben der Familie. Zu eng ist die städtische Etagenwohnung, wenn auch
hygienisch und künstlerisch freundlich gestaltet, für eine gesunde Lebensgemein¬
schaft. Diese braucht mehr Raum und mehr einander dienende und tragende
Persönlichkeiten. Darum muß ein Teil der städtischen und industriellen Be¬
völkerung mit Garten und Gemüseland angesiedelt und die Zahl der wirtschaft¬
lich selbständigen kleinen und mittleren Stellen muß vermehrt werden. Nur
aus diesem Arbeitsgrunde können Töchter und Mütter in rechter Kraft der
Nation erwachsen, und alsdann auch wirklich wertvollen neuen weiblichen Be¬
rufen seelisch und leiblich tüchtig und selbständig sich zuwenden. Und erst dann
wird großer Segen über der weiblichen Fortbildungsschule sein.

Alle unsere Bestrebungen für Jugend und Wehrkraft find also noch nicht
auf dem rechten Boden angekommen, solange wir nicht den Boden unter die


Wehrkraft und Siedlung

kompanien oder religiösen Vereinen eine aanz andere Tüchtigkeit mitbringen.
Der Reichtum deutschen Wesens und deutscher Begabung bedarf auch einmal
der Entfaltung in mannigfacher freier Weise. Man kann nicht den Weg vom
vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahre bis in alle Einzelheiten vorzeichnen.

Und damit kommen wir zu dem bis jetzt in der öffentlichen Erörterung
völlig unberührten Gesichtspunkt: die Wehrfähigkeit eines Volkes hängt von
seiner Zucht ab, und die Zucht letzten Grundes von den Müttern. Die
außerordentliche körperliche Tüchtigkeit und sittliche Energie vieler großstädtischer
Rekruten danken wir den Turnvereinen und vielen Jugendvereinen. Aber
dieser Erfolg war nur möglich, weil wir noch die Söhne tüchtiger Mütter
hatten. Ein feiner Beobachter sah schon die Abnahme der Erfolge voraus, je
mehr Kinder schon unerzogener Mütter heranwachsen.

Darum muß die körperliche wie hauswirtschaftliche Erziehung eingeführt
werden für die gesamte weibliche Jugend. Um aber die rechten Wege zu
finden bei den verschiedenen gewerblichen und örtlichen Vorbedingungen, muß
jetzt ohne Säumen und umfassend noch viel gründliche Vorarbeit geleistet werden.

Für eine erfolgreiche Erziehung der Mädchen muß jedenfalls in manchen
gewerblichen Betrieben die weibliche Arbeitszeit verkürzt werden.

Aber niemand glaube, daß diese Erziehung der Mädchen in der Fort¬
bildungsschule einfach ebenso gut und vollkommen geleistet werden könne wie die
der Jungen. Bei diesen ergänzt die Schule die Erziehung durch die berufliche
Arbeit. Und selbst, wo diese Arbeit einförmig in kaufmännischen und industriellen
Betrieben geschieht, wird doch in der Kameradschaft der Arbeit der Junge
anders gehoben und gestählt als das Mädchen. Zu viele der neueren Berufe
genügen nicht, um die natürlichen Kräfte und Fähigkeiten des Mädchens zu
entwickeln. So bleibt es dabei, daß mit der Auflösung der Familie als Arbeits¬
gemeinschaft, Müttern und Töchtern das natürliche Feld zu geistigem und sitt¬
lichem Wachstum, und damit auch zur vollen Blüte der Gesundheit genommen ist.

Diese Beengung des weiblichen Lebens bedroht die Volks- und Wehrkraft
industriell arbeitender Nationen. Nur eines hilft: Verbreiterung für das
Leben der Familie. Zu eng ist die städtische Etagenwohnung, wenn auch
hygienisch und künstlerisch freundlich gestaltet, für eine gesunde Lebensgemein¬
schaft. Diese braucht mehr Raum und mehr einander dienende und tragende
Persönlichkeiten. Darum muß ein Teil der städtischen und industriellen Be¬
völkerung mit Garten und Gemüseland angesiedelt und die Zahl der wirtschaft¬
lich selbständigen kleinen und mittleren Stellen muß vermehrt werden. Nur
aus diesem Arbeitsgrunde können Töchter und Mütter in rechter Kraft der
Nation erwachsen, und alsdann auch wirklich wertvollen neuen weiblichen Be¬
rufen seelisch und leiblich tüchtig und selbständig sich zuwenden. Und erst dann
wird großer Segen über der weiblichen Fortbildungsschule sein.

Alle unsere Bestrebungen für Jugend und Wehrkraft find also noch nicht
auf dem rechten Boden angekommen, solange wir nicht den Boden unter die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/163>, abgerufen am 28.04.2024.