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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Krieg und Schule

lächerlich und schaudernd empfundene Einzelheiten hängen wie: "Die Russen
haben Leiß" (Läuse). "Die Franzosen und die Russen essen zum Bier
das Bierfilzl auch dazu und die Russen die Schmierseife auf das Brot" (aus
der Umgegend eines süddeutschen Gefangenenlagers), wie eine Zehnjährige
ernsthaft belehren: "Und wenn ein Mann bei der Infanterie ist. hat er nichts
zu lachen, denn da pfeift gar oft eine Kugel durch das Regiment", und
tapfere neunjährige Jungen, die im Lapidarstil die offenbar höchst persönlich
empfundene Versicherung abgeben: "Der Hindenburg ist ein Mann (nehmt alles
nur in allem!), er hat schon viele tausend Feinde gefangen", oder folgenden
heldenhaften Traum erzählen: "Ich habe auch in den Krieg gemußt. Da habe
ich vorn hin gemußt. Dann habe ich zwei Regimentern den Kopf herunter¬
geschlagen, dann habe ich das Eiserne Kreuz gekriegt" (achteinhalb Jahre); bis
zu den größten, die schon zusammenhängende Erlebnisse und Beobachtungen
niederschreiben und mit allerliebsten Zeichnungen zu illustrieren wissen, den
Primanern und Sekundanern, die, was sie über die neuesten Waffen oder
das Flugwesen gelernt haben, wiedergeben oder, freilich meist allzu schematisch,
die Ursachen des Krieges erörtern und in an den Vater gerichteten Brief¬
aufsätzen versichern, daß keinerlei Abenteuerlust sie treibt, sich freiwillig zu melden.
Lehrreicher noch als diese mit zunehmendem Alter fast durchweg unpersönlicher
und farbloser werdenden Aufsätze sind unvermutet angeordnete, bestimmte
Fragen beantwortende Niederschriften, die am besten zeigen, was den Kindern
vom Krieg gegenwärtig ist, welche Einrichtungen, Heerführer, Waffentaten den
meisten Eindruck auf sie gemacht haben. Vor allem aber die freiwillig geführten
Tagebücher Hamburger und Berliner Gemeindeschüler und -Schülerinnen. Hier
ist den Kindern volle Freiheit gelassen, sich auszusprechen, viel oder wenig ein¬
zutragen, gelegentlich nach freier Wahl in der Schule daraus vorzulesen. Das
Resultat ist geradezu glänzend, man merkt den Kindern förmlich die Freude
an der Schilderung an. Kleine Familienbilder von zartem Reiz oder unfreiwilliger
Komik, Straßenerlebnisse, Petroleumnot und Kriegsbrot, Lebensmittelpanik,
Eintreffen der Siegesnachrichten und im Dialekt geführte Gespräche sind mit
naiver Kunst in all ihrer typischen Lebendigkeit festgehalten und wenn es
geschehen könnte, daß die Schreiber nichts von einer Veröffentlichung erführen,
so wäre es dringend erwünscht, eine Auswahl des Gelungensten zur großen
Freude des Psychologen, Erziehers und Historikers zusammenzustellen und durch
den Druck allgemein zugänglich zu machen. Sehr aufschlußreich sind auch
manche der kleinen Gedichte. Allerdings ist auch schon mancher angelesene
Schwulst darunter und viel Phrase, hier und da aber doch auch ein rührender
oder die Seele warm durchleuchtender unmittelbar ergreifender Naturlaut. So
wenn ein Quintaner einen "Abend in Ostpreußen" schildert:


Krieg und Schule

lächerlich und schaudernd empfundene Einzelheiten hängen wie: „Die Russen
haben Leiß" (Läuse). „Die Franzosen und die Russen essen zum Bier
das Bierfilzl auch dazu und die Russen die Schmierseife auf das Brot" (aus
der Umgegend eines süddeutschen Gefangenenlagers), wie eine Zehnjährige
ernsthaft belehren: „Und wenn ein Mann bei der Infanterie ist. hat er nichts
zu lachen, denn da pfeift gar oft eine Kugel durch das Regiment", und
tapfere neunjährige Jungen, die im Lapidarstil die offenbar höchst persönlich
empfundene Versicherung abgeben: „Der Hindenburg ist ein Mann (nehmt alles
nur in allem!), er hat schon viele tausend Feinde gefangen", oder folgenden
heldenhaften Traum erzählen: „Ich habe auch in den Krieg gemußt. Da habe
ich vorn hin gemußt. Dann habe ich zwei Regimentern den Kopf herunter¬
geschlagen, dann habe ich das Eiserne Kreuz gekriegt" (achteinhalb Jahre); bis
zu den größten, die schon zusammenhängende Erlebnisse und Beobachtungen
niederschreiben und mit allerliebsten Zeichnungen zu illustrieren wissen, den
Primanern und Sekundanern, die, was sie über die neuesten Waffen oder
das Flugwesen gelernt haben, wiedergeben oder, freilich meist allzu schematisch,
die Ursachen des Krieges erörtern und in an den Vater gerichteten Brief¬
aufsätzen versichern, daß keinerlei Abenteuerlust sie treibt, sich freiwillig zu melden.
Lehrreicher noch als diese mit zunehmendem Alter fast durchweg unpersönlicher
und farbloser werdenden Aufsätze sind unvermutet angeordnete, bestimmte
Fragen beantwortende Niederschriften, die am besten zeigen, was den Kindern
vom Krieg gegenwärtig ist, welche Einrichtungen, Heerführer, Waffentaten den
meisten Eindruck auf sie gemacht haben. Vor allem aber die freiwillig geführten
Tagebücher Hamburger und Berliner Gemeindeschüler und -Schülerinnen. Hier
ist den Kindern volle Freiheit gelassen, sich auszusprechen, viel oder wenig ein¬
zutragen, gelegentlich nach freier Wahl in der Schule daraus vorzulesen. Das
Resultat ist geradezu glänzend, man merkt den Kindern förmlich die Freude
an der Schilderung an. Kleine Familienbilder von zartem Reiz oder unfreiwilliger
Komik, Straßenerlebnisse, Petroleumnot und Kriegsbrot, Lebensmittelpanik,
Eintreffen der Siegesnachrichten und im Dialekt geführte Gespräche sind mit
naiver Kunst in all ihrer typischen Lebendigkeit festgehalten und wenn es
geschehen könnte, daß die Schreiber nichts von einer Veröffentlichung erführen,
so wäre es dringend erwünscht, eine Auswahl des Gelungensten zur großen
Freude des Psychologen, Erziehers und Historikers zusammenzustellen und durch
den Druck allgemein zugänglich zu machen. Sehr aufschlußreich sind auch
manche der kleinen Gedichte. Allerdings ist auch schon mancher angelesene
Schwulst darunter und viel Phrase, hier und da aber doch auch ein rührender
oder die Seele warm durchleuchtender unmittelbar ergreifender Naturlaut. So
wenn ein Quintaner einen „Abend in Ostpreußen" schildert:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/165>, abgerufen am 28.04.2024.