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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Krieg und Schule

gabenversand, Goldsammlung, Strickarbeiten, Selbstanfertigung von illustrierten
Postkarten, Ausschnittsammlungen für Verwundete, Anfertigung von Spielsachen
(aus Zigarrenkistenholz ausgesägte, selbstbemalte Tiere usw.) für unbemittelte
Kinder; all das ist lehrreich und, wenn es gründlich gemacht wird, vertiefend
zugleich.

Endlich ist der Krieg, wie für die Erwachsenen, so auch für die Jugend
ein Erzieher geworden. Alle Dinge, alle Wissenschaften, alle geübten Fähig¬
keiten bekommen mit einem Male eine ganz andere Wichtigkeit, einen ganz
"euer, unmittelbaren Wert. Welche Beziehungen zum Leben gewinnen jetzt
unter der Hand eines nur einigermaßen geschickten Lehrers Geschichte und
Geographie, Mathematik, Physik und Chemie, welch anderes Echo erwecken
jetzt die Nibelungen, und sogar der sonst mühselig präparierte Cäsar kann ein
hohes Ansehen gewinnen. Wie kann das Unbedeutende wichtig gemacht werden,
wie bedeutsam wird Realienkunde. Ob man in einer Rechenstunde die Ge¬
fangenen zusammenzählen läßt oder unter Anwendung der Prozentrechnung die
Brotoersorgung erörtert, ob man im Französischen oder Englischen fremdsprach¬
liche ZeitungeU vorliest, ob man Flugbahnen der Geschosse oder die Geschwindigkeit
von Eisenbahnen und Automobilen berechnen läßt, ob man elementare Nahrungs¬
mittelchemie treibt oder die schlechte Wärmeleitung von Papier demonstriert --
für all dies findet man eine Fülle von Beispielen in der Ausstellung --
überall trägt die Schulstunde doppelte Früchte: das Wissen vom Krieg, von
unsrer Stellung in der Welt und unsrer Leistungsfähigkeit wird erweitert, und
die geleistete Arbeit wird als notwendig und gewinnbringend erwiesen. Ver¬
tiefung und Belebung auf allen Gebieten der Schule, das hat der Krieg, der
Zerstörende, der Pädagogik gebracht und sich damit wiederum erwiesen als

Wer immer die Ausstellung besucht, wird sie reich an nützlichen Ein¬
drücken verlassen.




Krieg und Schule

gabenversand, Goldsammlung, Strickarbeiten, Selbstanfertigung von illustrierten
Postkarten, Ausschnittsammlungen für Verwundete, Anfertigung von Spielsachen
(aus Zigarrenkistenholz ausgesägte, selbstbemalte Tiere usw.) für unbemittelte
Kinder; all das ist lehrreich und, wenn es gründlich gemacht wird, vertiefend
zugleich.

Endlich ist der Krieg, wie für die Erwachsenen, so auch für die Jugend
ein Erzieher geworden. Alle Dinge, alle Wissenschaften, alle geübten Fähig¬
keiten bekommen mit einem Male eine ganz andere Wichtigkeit, einen ganz
«euer, unmittelbaren Wert. Welche Beziehungen zum Leben gewinnen jetzt
unter der Hand eines nur einigermaßen geschickten Lehrers Geschichte und
Geographie, Mathematik, Physik und Chemie, welch anderes Echo erwecken
jetzt die Nibelungen, und sogar der sonst mühselig präparierte Cäsar kann ein
hohes Ansehen gewinnen. Wie kann das Unbedeutende wichtig gemacht werden,
wie bedeutsam wird Realienkunde. Ob man in einer Rechenstunde die Ge¬
fangenen zusammenzählen läßt oder unter Anwendung der Prozentrechnung die
Brotoersorgung erörtert, ob man im Französischen oder Englischen fremdsprach¬
liche ZeitungeU vorliest, ob man Flugbahnen der Geschosse oder die Geschwindigkeit
von Eisenbahnen und Automobilen berechnen läßt, ob man elementare Nahrungs¬
mittelchemie treibt oder die schlechte Wärmeleitung von Papier demonstriert —
für all dies findet man eine Fülle von Beispielen in der Ausstellung —
überall trägt die Schulstunde doppelte Früchte: das Wissen vom Krieg, von
unsrer Stellung in der Welt und unsrer Leistungsfähigkeit wird erweitert, und
die geleistete Arbeit wird als notwendig und gewinnbringend erwiesen. Ver¬
tiefung und Belebung auf allen Gebieten der Schule, das hat der Krieg, der
Zerstörende, der Pädagogik gebracht und sich damit wiederum erwiesen als

Wer immer die Ausstellung besucht, wird sie reich an nützlichen Ein¬
drücken verlassen.




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[0167] Krieg und Schule gabenversand, Goldsammlung, Strickarbeiten, Selbstanfertigung von illustrierten Postkarten, Ausschnittsammlungen für Verwundete, Anfertigung von Spielsachen (aus Zigarrenkistenholz ausgesägte, selbstbemalte Tiere usw.) für unbemittelte Kinder; all das ist lehrreich und, wenn es gründlich gemacht wird, vertiefend zugleich. Endlich ist der Krieg, wie für die Erwachsenen, so auch für die Jugend ein Erzieher geworden. Alle Dinge, alle Wissenschaften, alle geübten Fähig¬ keiten bekommen mit einem Male eine ganz andere Wichtigkeit, einen ganz «euer, unmittelbaren Wert. Welche Beziehungen zum Leben gewinnen jetzt unter der Hand eines nur einigermaßen geschickten Lehrers Geschichte und Geographie, Mathematik, Physik und Chemie, welch anderes Echo erwecken jetzt die Nibelungen, und sogar der sonst mühselig präparierte Cäsar kann ein hohes Ansehen gewinnen. Wie kann das Unbedeutende wichtig gemacht werden, wie bedeutsam wird Realienkunde. Ob man in einer Rechenstunde die Ge¬ fangenen zusammenzählen läßt oder unter Anwendung der Prozentrechnung die Brotoersorgung erörtert, ob man im Französischen oder Englischen fremdsprach¬ liche ZeitungeU vorliest, ob man Flugbahnen der Geschosse oder die Geschwindigkeit von Eisenbahnen und Automobilen berechnen läßt, ob man elementare Nahrungs¬ mittelchemie treibt oder die schlechte Wärmeleitung von Papier demonstriert — für all dies findet man eine Fülle von Beispielen in der Ausstellung — überall trägt die Schulstunde doppelte Früchte: das Wissen vom Krieg, von unsrer Stellung in der Welt und unsrer Leistungsfähigkeit wird erweitert, und die geleistete Arbeit wird als notwendig und gewinnbringend erwiesen. Ver¬ tiefung und Belebung auf allen Gebieten der Schule, das hat der Krieg, der Zerstörende, der Pädagogik gebracht und sich damit wiederum erwiesen als Wer immer die Ausstellung besucht, wird sie reich an nützlichen Ein¬ drücken verlassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/167>, abgerufen am 28.04.2024.