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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Zweck in der Politik

"Deutsch" ist eine bestimmte Geistesrichtung, eine Gesinnung, so gut
"hellenisch", "byzantinisch", "christlich", eine bestimmte Denkungsart, ein Kultur¬
ideal bezeichnen, ohne daß wir hierbei an ein ganz bestimmtes Volk im natur¬
wissenschaftlichen Sinne denken, in dessen Mitte einmal die betreffende Kultur
ihren ersten bescheidenen Anfang nahm. Was uns in dem Begriffe vom
idealen deutschen Volksgeiste, vom Ewig-Deutschen, vorschwebt, läßt sich höchstens
an dem Idealbilds des Ewig-Hellenischen messen. Dieser Volksgeist ist im
Entstehen, und wehe uns, wenn wir ihn zurückschrauben wollen auf die Tierheit
brutaler Rasseneifersucht! Er setzt sich Kulturzwecke, von denen unsere höhlen¬
bewohnenden leiblichen Vorfahren sich nichts träumen ließen. Er sucht seine
wahren Vorfahren, außer bei den Großen der eigenen geschichtlichen Ver¬
gangenheit, vor allem in Hellas, dem ewig jungen Lande der Griechen, und
erlangt so durch eine ununterbrochene Kette geschichtlicher Kontinuität eine
Bürgschaft für die Stetigkeit und Legitimität unablässig fortschreitender Kultur.

In irgendeinem Knotenpunkte der Entwicklung beeinflußt dies Kultur¬
bewußtsein die Zwecke der Politik. Das großartigste Beispiel aus dem Altertum
ist die Eroberungspolitik Alexanders des Großen, die dem weltgeschichtlichen
griechischen Geiste auch eine weltpolitische Bedeutung geben wollte. Hehre
Zwecke eines idealen Kulturbewußtseins suchte die Weltpolitik des staufischen
Kaiserreiches zu verwirklichen. Wir lieben heute diesen idealen deutschen Geist,
ohne uns sklavisch an seine Offenbarungen von damals halten zu wollen.
Und wieder ist für unser Volk eine Zeit gekommen, noch überfließender an
überschüssiger geistiger Kraft, Großes versprechend, mit stärkerer Einsicht, wacherem
Bewußtsein höchste Kulturzwecke in sein politisches Denken aufnehmend. Denn
uns genügt heute keine Politik mehr, die nicht an großen Kulturzwecken orientiert
ist. Die sich fortwährend ändernden Bedingungen der politischen Konstellation,
vereint mit wachsender Vertiefung der Weltanschauung, des sittlichen Ver¬
antwortungsgefühls, des künstlerischen Genießens schufen fortgesetzt neue Zweck¬
setzungen des Volksgeistes, die und deren Erreichung samt den eigens dazu
beschafften Mitteln nun wieder die Bedingungen für neue, höhere Zwecksetzungen
abgaben. Allmählich sehen wir. diese anfänglich scheinbar weltabgewandten,
rein geistigen Zwecke auch mit dem politischen Denken verwachsen. In Kants
praktischer Philosophie fängt das an. Ganz deutlich ist es bei Fichte zu sehen.
Hegel läßt das sittliche Leben im staatlichen aufgehen. Gerade die Befreiungs¬
kriege brachten die Bedingungen für höhere geistespolitische Bedürfnisse und
Zwecksetzungen, deren Erfüllung in den Verfassungskämpfen und der Gründung
des neuen Reiches abermals neue, unvorhergesehene Zwecke im Bewußtsein der
Nation erwachsen ließ. Stehen wir jetzt wiederum in einem solchen hochbedeut-
famen Knotenpunkt der politischen Entwicklung, so dürfen wir in der Stärkung
der sittlichen Kraft und der ganz neuartigen Völkergruppierung, die für den
neuen deutschen Geist charakteristisch ist, die Bedingungen für Kulturzwecke
fehen, die, dem demokratischen Zug der Verfassungen und der Zeit entsprechend,


Der Zweck in der Politik

„Deutsch" ist eine bestimmte Geistesrichtung, eine Gesinnung, so gut
„hellenisch", „byzantinisch", „christlich", eine bestimmte Denkungsart, ein Kultur¬
ideal bezeichnen, ohne daß wir hierbei an ein ganz bestimmtes Volk im natur¬
wissenschaftlichen Sinne denken, in dessen Mitte einmal die betreffende Kultur
ihren ersten bescheidenen Anfang nahm. Was uns in dem Begriffe vom
idealen deutschen Volksgeiste, vom Ewig-Deutschen, vorschwebt, läßt sich höchstens
an dem Idealbilds des Ewig-Hellenischen messen. Dieser Volksgeist ist im
Entstehen, und wehe uns, wenn wir ihn zurückschrauben wollen auf die Tierheit
brutaler Rasseneifersucht! Er setzt sich Kulturzwecke, von denen unsere höhlen¬
bewohnenden leiblichen Vorfahren sich nichts träumen ließen. Er sucht seine
wahren Vorfahren, außer bei den Großen der eigenen geschichtlichen Ver¬
gangenheit, vor allem in Hellas, dem ewig jungen Lande der Griechen, und
erlangt so durch eine ununterbrochene Kette geschichtlicher Kontinuität eine
Bürgschaft für die Stetigkeit und Legitimität unablässig fortschreitender Kultur.

In irgendeinem Knotenpunkte der Entwicklung beeinflußt dies Kultur¬
bewußtsein die Zwecke der Politik. Das großartigste Beispiel aus dem Altertum
ist die Eroberungspolitik Alexanders des Großen, die dem weltgeschichtlichen
griechischen Geiste auch eine weltpolitische Bedeutung geben wollte. Hehre
Zwecke eines idealen Kulturbewußtseins suchte die Weltpolitik des staufischen
Kaiserreiches zu verwirklichen. Wir lieben heute diesen idealen deutschen Geist,
ohne uns sklavisch an seine Offenbarungen von damals halten zu wollen.
Und wieder ist für unser Volk eine Zeit gekommen, noch überfließender an
überschüssiger geistiger Kraft, Großes versprechend, mit stärkerer Einsicht, wacherem
Bewußtsein höchste Kulturzwecke in sein politisches Denken aufnehmend. Denn
uns genügt heute keine Politik mehr, die nicht an großen Kulturzwecken orientiert
ist. Die sich fortwährend ändernden Bedingungen der politischen Konstellation,
vereint mit wachsender Vertiefung der Weltanschauung, des sittlichen Ver¬
antwortungsgefühls, des künstlerischen Genießens schufen fortgesetzt neue Zweck¬
setzungen des Volksgeistes, die und deren Erreichung samt den eigens dazu
beschafften Mitteln nun wieder die Bedingungen für neue, höhere Zwecksetzungen
abgaben. Allmählich sehen wir. diese anfänglich scheinbar weltabgewandten,
rein geistigen Zwecke auch mit dem politischen Denken verwachsen. In Kants
praktischer Philosophie fängt das an. Ganz deutlich ist es bei Fichte zu sehen.
Hegel läßt das sittliche Leben im staatlichen aufgehen. Gerade die Befreiungs¬
kriege brachten die Bedingungen für höhere geistespolitische Bedürfnisse und
Zwecksetzungen, deren Erfüllung in den Verfassungskämpfen und der Gründung
des neuen Reiches abermals neue, unvorhergesehene Zwecke im Bewußtsein der
Nation erwachsen ließ. Stehen wir jetzt wiederum in einem solchen hochbedeut-
famen Knotenpunkt der politischen Entwicklung, so dürfen wir in der Stärkung
der sittlichen Kraft und der ganz neuartigen Völkergruppierung, die für den
neuen deutschen Geist charakteristisch ist, die Bedingungen für Kulturzwecke
fehen, die, dem demokratischen Zug der Verfassungen und der Zeit entsprechend,


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[0208] Der Zweck in der Politik „Deutsch" ist eine bestimmte Geistesrichtung, eine Gesinnung, so gut „hellenisch", „byzantinisch", „christlich", eine bestimmte Denkungsart, ein Kultur¬ ideal bezeichnen, ohne daß wir hierbei an ein ganz bestimmtes Volk im natur¬ wissenschaftlichen Sinne denken, in dessen Mitte einmal die betreffende Kultur ihren ersten bescheidenen Anfang nahm. Was uns in dem Begriffe vom idealen deutschen Volksgeiste, vom Ewig-Deutschen, vorschwebt, läßt sich höchstens an dem Idealbilds des Ewig-Hellenischen messen. Dieser Volksgeist ist im Entstehen, und wehe uns, wenn wir ihn zurückschrauben wollen auf die Tierheit brutaler Rasseneifersucht! Er setzt sich Kulturzwecke, von denen unsere höhlen¬ bewohnenden leiblichen Vorfahren sich nichts träumen ließen. Er sucht seine wahren Vorfahren, außer bei den Großen der eigenen geschichtlichen Ver¬ gangenheit, vor allem in Hellas, dem ewig jungen Lande der Griechen, und erlangt so durch eine ununterbrochene Kette geschichtlicher Kontinuität eine Bürgschaft für die Stetigkeit und Legitimität unablässig fortschreitender Kultur. In irgendeinem Knotenpunkte der Entwicklung beeinflußt dies Kultur¬ bewußtsein die Zwecke der Politik. Das großartigste Beispiel aus dem Altertum ist die Eroberungspolitik Alexanders des Großen, die dem weltgeschichtlichen griechischen Geiste auch eine weltpolitische Bedeutung geben wollte. Hehre Zwecke eines idealen Kulturbewußtseins suchte die Weltpolitik des staufischen Kaiserreiches zu verwirklichen. Wir lieben heute diesen idealen deutschen Geist, ohne uns sklavisch an seine Offenbarungen von damals halten zu wollen. Und wieder ist für unser Volk eine Zeit gekommen, noch überfließender an überschüssiger geistiger Kraft, Großes versprechend, mit stärkerer Einsicht, wacherem Bewußtsein höchste Kulturzwecke in sein politisches Denken aufnehmend. Denn uns genügt heute keine Politik mehr, die nicht an großen Kulturzwecken orientiert ist. Die sich fortwährend ändernden Bedingungen der politischen Konstellation, vereint mit wachsender Vertiefung der Weltanschauung, des sittlichen Ver¬ antwortungsgefühls, des künstlerischen Genießens schufen fortgesetzt neue Zweck¬ setzungen des Volksgeistes, die und deren Erreichung samt den eigens dazu beschafften Mitteln nun wieder die Bedingungen für neue, höhere Zwecksetzungen abgaben. Allmählich sehen wir. diese anfänglich scheinbar weltabgewandten, rein geistigen Zwecke auch mit dem politischen Denken verwachsen. In Kants praktischer Philosophie fängt das an. Ganz deutlich ist es bei Fichte zu sehen. Hegel läßt das sittliche Leben im staatlichen aufgehen. Gerade die Befreiungs¬ kriege brachten die Bedingungen für höhere geistespolitische Bedürfnisse und Zwecksetzungen, deren Erfüllung in den Verfassungskämpfen und der Gründung des neuen Reiches abermals neue, unvorhergesehene Zwecke im Bewußtsein der Nation erwachsen ließ. Stehen wir jetzt wiederum in einem solchen hochbedeut- famen Knotenpunkt der politischen Entwicklung, so dürfen wir in der Stärkung der sittlichen Kraft und der ganz neuartigen Völkergruppierung, die für den neuen deutschen Geist charakteristisch ist, die Bedingungen für Kulturzwecke fehen, die, dem demokratischen Zug der Verfassungen und der Zeit entsprechend,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/208>, abgerufen am 25.05.2024.