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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Zweck in der Politik

von selbst auch zu politischen Zwecken werden. Der Geist des deutschen, wie
jedes großen Volkes läßt sich nicht definieren, zumal er ständig abwirft und
sich erneuert. Mit ein paar Begriffen ist da wenig getan. Aber etwas Neues
ist er, unvergleichbar mit Gewesenen, wie alles, was der Geist schafft. Der
deutsche Geist hat bewußt die beengenden Fesseln chimärenhafter anthropologischer
Exklusivität gesprengt. Das ist vielleicht der wichtigste Gewinn dieses Krieges
und eröffnet weiteste Perspektiven. Denn wenn ein nationaler Gedanke der
Gegenwart für eine geistige Weltkultur in Frage kommt, die sich dermaleinst
ebenbürtig der hellenischen würde an die Seite stellen können und dabei zugleich
auch eine reale politische Weltmacht darstellt (was sich von vornherein gegen¬
seitig gar nicht ausschließt), so ist dies der deutsche Geist.

Durch diese Erklärung der Motivverschiebung verliert die fälschlich als
"Vorsehung" bezeichnete Erscheinung ihr Geheimnisvolles. Da die Zwecke immer
reicher und erhabener werden, der geistige Fortschritt stetig zunimmt und die
"ben erst erreichten Zwecke zu Mitteln wieder höherer Zwecke macht, so scheinen
sür das unkritische Auge die letzten und höchsten Zwecke bei der ersten Ziel-
setzung des primitiven Grundwillens von einer höheren Macht und Weisheit
bereits vorweggenommen und ihr zugrunde gelegt zu sein. Solche Auffassung
will bereits Jahrhunderte vorher das Gras wachsen hören, ist aber auch ethisch
bedenklich, da sie die sittliche Aktivität diskreditiert. Denn geschichtlich letzte und
höchste Zwecke gibt es für die Politik nicht, weil jede Zwecksetzung schon eine
höhere im Keime birgt. Wir sollen wissen, daß allein die persönliche Aktivität sich
im gegebenen Augenblicke auch ihrer Zwecke bewußt werden und sie erfüllen kann.

Erst wenn wir die Eierschalen solch fatalistischen Glaubens an ein vor¬
gezeichnetes Verhängnis, wie er auch dem Naturalismus zugrunde liegt, ab¬
gestreift haben, wenn der anthropologistische Aberglaube geschwunden sein wird,
kann der Geist als bewußtes Prinzip die Völkerschicksale gestalten. Die alten
natürlich und geschichtlich gewordenen Formen wirken dann nur wie Kleider,
die ihre Inhaber wechseln. Das ist ja das Merkwürdige, daß alle diese vom
Egoismus der Personen oder Völker geschaffenen Formen schließlich vom Geiste
als neuem Inhalt erfüllt und damit sozial nutzbar gemacht werden. So bietet
die ganz eigennützig entstandene Hausmacht der Habsburger heute das rettende
geistige Band für Völker, die nicht von dem Moloch des Ostens verschlungen
werden wollen. Der Staat überhaupt, der mit seinen Gesetzen und Ein¬
richtungen zuerst die Interessen bevorrechteter Individuen und Klassen ver¬
körpert, wird zum Volksstaat. Aus dem Machtstaat wird ein Rechtsstaat, aus
dem Polizeistaat ein Kulturstaat. Schließlich nehmen wir bewußt unser eigenes
Schicksal in die Hand. Nicht Interessen der Abstammung noch des Handels,
fondern allein der Besitz einer unersetzlichen Jdealkultur gibt erst das moralische
Recht zu politischer Weltstellung.




Der Zweck in der Politik

von selbst auch zu politischen Zwecken werden. Der Geist des deutschen, wie
jedes großen Volkes läßt sich nicht definieren, zumal er ständig abwirft und
sich erneuert. Mit ein paar Begriffen ist da wenig getan. Aber etwas Neues
ist er, unvergleichbar mit Gewesenen, wie alles, was der Geist schafft. Der
deutsche Geist hat bewußt die beengenden Fesseln chimärenhafter anthropologischer
Exklusivität gesprengt. Das ist vielleicht der wichtigste Gewinn dieses Krieges
und eröffnet weiteste Perspektiven. Denn wenn ein nationaler Gedanke der
Gegenwart für eine geistige Weltkultur in Frage kommt, die sich dermaleinst
ebenbürtig der hellenischen würde an die Seite stellen können und dabei zugleich
auch eine reale politische Weltmacht darstellt (was sich von vornherein gegen¬
seitig gar nicht ausschließt), so ist dies der deutsche Geist.

Durch diese Erklärung der Motivverschiebung verliert die fälschlich als
„Vorsehung" bezeichnete Erscheinung ihr Geheimnisvolles. Da die Zwecke immer
reicher und erhabener werden, der geistige Fortschritt stetig zunimmt und die
«ben erst erreichten Zwecke zu Mitteln wieder höherer Zwecke macht, so scheinen
sür das unkritische Auge die letzten und höchsten Zwecke bei der ersten Ziel-
setzung des primitiven Grundwillens von einer höheren Macht und Weisheit
bereits vorweggenommen und ihr zugrunde gelegt zu sein. Solche Auffassung
will bereits Jahrhunderte vorher das Gras wachsen hören, ist aber auch ethisch
bedenklich, da sie die sittliche Aktivität diskreditiert. Denn geschichtlich letzte und
höchste Zwecke gibt es für die Politik nicht, weil jede Zwecksetzung schon eine
höhere im Keime birgt. Wir sollen wissen, daß allein die persönliche Aktivität sich
im gegebenen Augenblicke auch ihrer Zwecke bewußt werden und sie erfüllen kann.

Erst wenn wir die Eierschalen solch fatalistischen Glaubens an ein vor¬
gezeichnetes Verhängnis, wie er auch dem Naturalismus zugrunde liegt, ab¬
gestreift haben, wenn der anthropologistische Aberglaube geschwunden sein wird,
kann der Geist als bewußtes Prinzip die Völkerschicksale gestalten. Die alten
natürlich und geschichtlich gewordenen Formen wirken dann nur wie Kleider,
die ihre Inhaber wechseln. Das ist ja das Merkwürdige, daß alle diese vom
Egoismus der Personen oder Völker geschaffenen Formen schließlich vom Geiste
als neuem Inhalt erfüllt und damit sozial nutzbar gemacht werden. So bietet
die ganz eigennützig entstandene Hausmacht der Habsburger heute das rettende
geistige Band für Völker, die nicht von dem Moloch des Ostens verschlungen
werden wollen. Der Staat überhaupt, der mit seinen Gesetzen und Ein¬
richtungen zuerst die Interessen bevorrechteter Individuen und Klassen ver¬
körpert, wird zum Volksstaat. Aus dem Machtstaat wird ein Rechtsstaat, aus
dem Polizeistaat ein Kulturstaat. Schließlich nehmen wir bewußt unser eigenes
Schicksal in die Hand. Nicht Interessen der Abstammung noch des Handels,
fondern allein der Besitz einer unersetzlichen Jdealkultur gibt erst das moralische
Recht zu politischer Weltstellung.




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[0209] Der Zweck in der Politik von selbst auch zu politischen Zwecken werden. Der Geist des deutschen, wie jedes großen Volkes läßt sich nicht definieren, zumal er ständig abwirft und sich erneuert. Mit ein paar Begriffen ist da wenig getan. Aber etwas Neues ist er, unvergleichbar mit Gewesenen, wie alles, was der Geist schafft. Der deutsche Geist hat bewußt die beengenden Fesseln chimärenhafter anthropologischer Exklusivität gesprengt. Das ist vielleicht der wichtigste Gewinn dieses Krieges und eröffnet weiteste Perspektiven. Denn wenn ein nationaler Gedanke der Gegenwart für eine geistige Weltkultur in Frage kommt, die sich dermaleinst ebenbürtig der hellenischen würde an die Seite stellen können und dabei zugleich auch eine reale politische Weltmacht darstellt (was sich von vornherein gegen¬ seitig gar nicht ausschließt), so ist dies der deutsche Geist. Durch diese Erklärung der Motivverschiebung verliert die fälschlich als „Vorsehung" bezeichnete Erscheinung ihr Geheimnisvolles. Da die Zwecke immer reicher und erhabener werden, der geistige Fortschritt stetig zunimmt und die «ben erst erreichten Zwecke zu Mitteln wieder höherer Zwecke macht, so scheinen sür das unkritische Auge die letzten und höchsten Zwecke bei der ersten Ziel- setzung des primitiven Grundwillens von einer höheren Macht und Weisheit bereits vorweggenommen und ihr zugrunde gelegt zu sein. Solche Auffassung will bereits Jahrhunderte vorher das Gras wachsen hören, ist aber auch ethisch bedenklich, da sie die sittliche Aktivität diskreditiert. Denn geschichtlich letzte und höchste Zwecke gibt es für die Politik nicht, weil jede Zwecksetzung schon eine höhere im Keime birgt. Wir sollen wissen, daß allein die persönliche Aktivität sich im gegebenen Augenblicke auch ihrer Zwecke bewußt werden und sie erfüllen kann. Erst wenn wir die Eierschalen solch fatalistischen Glaubens an ein vor¬ gezeichnetes Verhängnis, wie er auch dem Naturalismus zugrunde liegt, ab¬ gestreift haben, wenn der anthropologistische Aberglaube geschwunden sein wird, kann der Geist als bewußtes Prinzip die Völkerschicksale gestalten. Die alten natürlich und geschichtlich gewordenen Formen wirken dann nur wie Kleider, die ihre Inhaber wechseln. Das ist ja das Merkwürdige, daß alle diese vom Egoismus der Personen oder Völker geschaffenen Formen schließlich vom Geiste als neuem Inhalt erfüllt und damit sozial nutzbar gemacht werden. So bietet die ganz eigennützig entstandene Hausmacht der Habsburger heute das rettende geistige Band für Völker, die nicht von dem Moloch des Ostens verschlungen werden wollen. Der Staat überhaupt, der mit seinen Gesetzen und Ein¬ richtungen zuerst die Interessen bevorrechteter Individuen und Klassen ver¬ körpert, wird zum Volksstaat. Aus dem Machtstaat wird ein Rechtsstaat, aus dem Polizeistaat ein Kulturstaat. Schließlich nehmen wir bewußt unser eigenes Schicksal in die Hand. Nicht Interessen der Abstammung noch des Handels, fondern allein der Besitz einer unersetzlichen Jdealkultur gibt erst das moralische Recht zu politischer Weltstellung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/209>, abgerufen am 05.05.2024.