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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die völkerrechtliche Stellung des Papstes

Protestantische Staatsoberhäupter dürfen den Papst auch ohne Erfüllung der
Bedingung besuchen, nur nicht vom Quirinale aus.

Dieser tatsächliche Ausgleich der Gegensätze muß aber sofort Schiffbruch
leiden, sobald die tatsächlichen Voraussetzungen des bestehenden Zustandes sich
ändern.

Das gilt zunächst für den Fall, daß etwa der Papst mit der Fiktion der
Gefangenschaft im Vatikans bräche und auch nur vorübergehend einen andern
Aufenthalt wählte. Allerdings unterliegen Vatikan, Lateran und Castel Gandolfo
seinem Nießbrauchs, aber nach dem Wortlaute des Garantiegesetzes ist nur der
Palast oder die Örtlichkeit, wo der Papst gewöhnlich residiert oder sich zeit
wenig aufhält, vor dem Eindringen italienischer Staatsbeamten gefeit. Der
Papst begründet mit seiner Person die Immunität des Ortes. Selbst ein
Sommeraufenthalt in Castel Gandolfo würde die Immunität des Vatikans mit
seinen Akten und Archiven preisgeben. Man braucht dabei nicht einmal die
weitere tatsächliche Frage in Erwägung zu ziehen, ob die jeweilige italienische
Regierung Lust hat oder auch nur imstande ist, den Papst gegen Angriffe des
Pöbels zu schützen, der in Italien bekanntlich die Straße beherrscht. Man steht,
die Gefangenschaft d?s Papstes im Vatikans ist nicht ohne Grund, wenn man
dabei auch nicht gleich an das Kerkerstroh zu denken braucht, das in der Kultur¬
kampfzeit als Reliquie verkauft wurde.

Noch schroffer würde sich freilich der Gegensatz des verschiedenen Rechts¬
standpunktes geltend machen, wenn der Papst jemals beabsichtigen sollte, Rom
zeitweise zu verlassen. An eine dauernde Aufgabe des römischen Wohnsitzes
kann natürlich nicht gedacht werden. Denn der Papst als Nachfolger des
Apostels Petrus und ersten römischen Bischofs ist dogmatisch an das Grab des
Apostelfürsten gebunden. Ein Verlassen Roms, mag es kürzere oder längere
Zeit dauern, ist daher immer nur ein Exil des Papsttums. Niemand würde
den Papst hindern, Rom zu verlassen, aber er käme leichter heraus als wieder
hinein. Die vatikanischen Sammlungen und Archive würden die Italiener
nicht herauslassen und jeden Versuch des Papstes, sie mitzunehmen mit dem
energischen Befehle beantworten: "Das Gepäck bleibt hier!" Der Papst hätte
die Immunität seiner bisherigen Residenz und die Freiheit seiner Verwaltungs¬
behörden aufgegeben, ohne einen Ersatz dafür zu gewinnen.

Eine andere Frage ist es, ob die Ereignisse nicht trotzdem den Papst zum
Verlassen Roms zwingen können. Das italienische Königtum steht auf sehr
schwachen Füßen, dermalen mehr wie je. Eine freimaurerische Revolution, die
die italienische Republik ausruft, würde auch vor den Toren des Vatikans nicht
Halt machen. Das Garantiegesetz hat eine wächserne Nase und kann jederzeit
von der souveränen italienischen Staatsgewalt beseitigt werden. Schon gleich
bei Ausbruch des Krieges erwies sich das Garantiegesetz als unwirksam, indem
die Vertreter Deutschlands und Österreichs beim Vatikans sich aus Rom zurück¬
ziehen mußten. Die fremden Staaten können sich nicht auf das Garavtiegesetz


Die völkerrechtliche Stellung des Papstes

Protestantische Staatsoberhäupter dürfen den Papst auch ohne Erfüllung der
Bedingung besuchen, nur nicht vom Quirinale aus.

Dieser tatsächliche Ausgleich der Gegensätze muß aber sofort Schiffbruch
leiden, sobald die tatsächlichen Voraussetzungen des bestehenden Zustandes sich
ändern.

Das gilt zunächst für den Fall, daß etwa der Papst mit der Fiktion der
Gefangenschaft im Vatikans bräche und auch nur vorübergehend einen andern
Aufenthalt wählte. Allerdings unterliegen Vatikan, Lateran und Castel Gandolfo
seinem Nießbrauchs, aber nach dem Wortlaute des Garantiegesetzes ist nur der
Palast oder die Örtlichkeit, wo der Papst gewöhnlich residiert oder sich zeit
wenig aufhält, vor dem Eindringen italienischer Staatsbeamten gefeit. Der
Papst begründet mit seiner Person die Immunität des Ortes. Selbst ein
Sommeraufenthalt in Castel Gandolfo würde die Immunität des Vatikans mit
seinen Akten und Archiven preisgeben. Man braucht dabei nicht einmal die
weitere tatsächliche Frage in Erwägung zu ziehen, ob die jeweilige italienische
Regierung Lust hat oder auch nur imstande ist, den Papst gegen Angriffe des
Pöbels zu schützen, der in Italien bekanntlich die Straße beherrscht. Man steht,
die Gefangenschaft d?s Papstes im Vatikans ist nicht ohne Grund, wenn man
dabei auch nicht gleich an das Kerkerstroh zu denken braucht, das in der Kultur¬
kampfzeit als Reliquie verkauft wurde.

Noch schroffer würde sich freilich der Gegensatz des verschiedenen Rechts¬
standpunktes geltend machen, wenn der Papst jemals beabsichtigen sollte, Rom
zeitweise zu verlassen. An eine dauernde Aufgabe des römischen Wohnsitzes
kann natürlich nicht gedacht werden. Denn der Papst als Nachfolger des
Apostels Petrus und ersten römischen Bischofs ist dogmatisch an das Grab des
Apostelfürsten gebunden. Ein Verlassen Roms, mag es kürzere oder längere
Zeit dauern, ist daher immer nur ein Exil des Papsttums. Niemand würde
den Papst hindern, Rom zu verlassen, aber er käme leichter heraus als wieder
hinein. Die vatikanischen Sammlungen und Archive würden die Italiener
nicht herauslassen und jeden Versuch des Papstes, sie mitzunehmen mit dem
energischen Befehle beantworten: „Das Gepäck bleibt hier!" Der Papst hätte
die Immunität seiner bisherigen Residenz und die Freiheit seiner Verwaltungs¬
behörden aufgegeben, ohne einen Ersatz dafür zu gewinnen.

Eine andere Frage ist es, ob die Ereignisse nicht trotzdem den Papst zum
Verlassen Roms zwingen können. Das italienische Königtum steht auf sehr
schwachen Füßen, dermalen mehr wie je. Eine freimaurerische Revolution, die
die italienische Republik ausruft, würde auch vor den Toren des Vatikans nicht
Halt machen. Das Garantiegesetz hat eine wächserne Nase und kann jederzeit
von der souveränen italienischen Staatsgewalt beseitigt werden. Schon gleich
bei Ausbruch des Krieges erwies sich das Garantiegesetz als unwirksam, indem
die Vertreter Deutschlands und Österreichs beim Vatikans sich aus Rom zurück¬
ziehen mußten. Die fremden Staaten können sich nicht auf das Garavtiegesetz


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[0337] Die völkerrechtliche Stellung des Papstes Protestantische Staatsoberhäupter dürfen den Papst auch ohne Erfüllung der Bedingung besuchen, nur nicht vom Quirinale aus. Dieser tatsächliche Ausgleich der Gegensätze muß aber sofort Schiffbruch leiden, sobald die tatsächlichen Voraussetzungen des bestehenden Zustandes sich ändern. Das gilt zunächst für den Fall, daß etwa der Papst mit der Fiktion der Gefangenschaft im Vatikans bräche und auch nur vorübergehend einen andern Aufenthalt wählte. Allerdings unterliegen Vatikan, Lateran und Castel Gandolfo seinem Nießbrauchs, aber nach dem Wortlaute des Garantiegesetzes ist nur der Palast oder die Örtlichkeit, wo der Papst gewöhnlich residiert oder sich zeit wenig aufhält, vor dem Eindringen italienischer Staatsbeamten gefeit. Der Papst begründet mit seiner Person die Immunität des Ortes. Selbst ein Sommeraufenthalt in Castel Gandolfo würde die Immunität des Vatikans mit seinen Akten und Archiven preisgeben. Man braucht dabei nicht einmal die weitere tatsächliche Frage in Erwägung zu ziehen, ob die jeweilige italienische Regierung Lust hat oder auch nur imstande ist, den Papst gegen Angriffe des Pöbels zu schützen, der in Italien bekanntlich die Straße beherrscht. Man steht, die Gefangenschaft d?s Papstes im Vatikans ist nicht ohne Grund, wenn man dabei auch nicht gleich an das Kerkerstroh zu denken braucht, das in der Kultur¬ kampfzeit als Reliquie verkauft wurde. Noch schroffer würde sich freilich der Gegensatz des verschiedenen Rechts¬ standpunktes geltend machen, wenn der Papst jemals beabsichtigen sollte, Rom zeitweise zu verlassen. An eine dauernde Aufgabe des römischen Wohnsitzes kann natürlich nicht gedacht werden. Denn der Papst als Nachfolger des Apostels Petrus und ersten römischen Bischofs ist dogmatisch an das Grab des Apostelfürsten gebunden. Ein Verlassen Roms, mag es kürzere oder längere Zeit dauern, ist daher immer nur ein Exil des Papsttums. Niemand würde den Papst hindern, Rom zu verlassen, aber er käme leichter heraus als wieder hinein. Die vatikanischen Sammlungen und Archive würden die Italiener nicht herauslassen und jeden Versuch des Papstes, sie mitzunehmen mit dem energischen Befehle beantworten: „Das Gepäck bleibt hier!" Der Papst hätte die Immunität seiner bisherigen Residenz und die Freiheit seiner Verwaltungs¬ behörden aufgegeben, ohne einen Ersatz dafür zu gewinnen. Eine andere Frage ist es, ob die Ereignisse nicht trotzdem den Papst zum Verlassen Roms zwingen können. Das italienische Königtum steht auf sehr schwachen Füßen, dermalen mehr wie je. Eine freimaurerische Revolution, die die italienische Republik ausruft, würde auch vor den Toren des Vatikans nicht Halt machen. Das Garantiegesetz hat eine wächserne Nase und kann jederzeit von der souveränen italienischen Staatsgewalt beseitigt werden. Schon gleich bei Ausbruch des Krieges erwies sich das Garantiegesetz als unwirksam, indem die Vertreter Deutschlands und Österreichs beim Vatikans sich aus Rom zurück¬ ziehen mußten. Die fremden Staaten können sich nicht auf das Garavtiegesetz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/337>, abgerufen am 14.05.2024.