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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Belle Alliance

Kampfe die Division Quiot im Zentrum das Vorwerk La Haye Sande, die
Franzosen stoßen nach auf Mont Se. Jean. Die Mitte der englischen Schlacht¬
linie ist durchbrochen. Nur notdürftig füllt Wellington die Lücke durch die
Brigade Kielmannsegge wieder aus. Aber inzwischen verliert Bernhard von
Weimar La Haye und Papelotte an die Diviston Durutte.

Bis jetzt hatte Napoleon die 24 Bataillone seiner Garde noch zurück¬
gehalten. Warf er diese jetzt gegen Mont Se. Jean oder gegen den schwer
erschütterten linken Flügel Wellingtons, dann war der Sieg sein. Es ist
allbekannt, wie Wellington in diesem kritischen Augenblick zumute war. "Blücher
oder die Nacht!"

Wenn Napoleon trotzdem die Garde zurückhielt, so lag die Ursache aus¬
schließlich in dem Anmarsch der Preußen, der ihm durch einen aufgefangenen
Brief schon seit ein Uhr bekannt war und alle seine Maßnahmen beeinflußte.

Blüchers Heldengeist hatte trotz des Sturzes am 16. alle Anfälle seines
dreiundsiebzigjährigen Körpers überwunden und Führer und Truppen durch Bei¬
spiel und Zuspruch mit sich fortgerissen, so daß selbst der vom Regen aufgeweichte
Lehmboden Brabants, in dem die Geschütze immer aufs neue stecken blieben,
nur ein vorübergehendes Hindernis war. -- Der Angriff der Preußen kam
von Nordosten. Um ein Uhr hatte das Gros ihres Heeres das Defilee von
Se. Lambert glücklich überwunden und ging nun in zwei Kolonnen dem Feinde
in Flanke und Rücken. Während Zieten auf OHM marschierte, um den rechten
Flügel der Franzosen in der Flanke zu fassen und ihnen dann Papelotte und
La Haye zu entreißen, versammelte Bülow gegen vier Uhr sein Korps im
Walde von Frichemont zum Angriff auf Plancenoit, das hinter dem rechten
französischen Flügel lag. "Einen besonders schönen Anblick gewährte die
Angriffsseite des preußischen Heeres. Das Terrain war hier terrassenförmig
gebildet, so daß mehrere Stufen Geschützfeuer übereinander entwickelt werden
konnten, zwischen denen die Truppen brigadenweise in schönster Ordnung in die
Ebene hinabstiegen, während sich aus dem hinten auf der Höhe liegenden
Walde immer neue Massen entfalteten" *). -- Als dann die Preußen unaufhaltsam
vordrangen und Napoleon nicht nur in der rechten Flanke, sondern auch im
Rücken schwer bedroht war, da entschloß er sich zu einem letzten verzweifelten
Schlage: zehn seiner Gardebataillone sendet er unter Ney westlich der Brüsseler
Straße gegen das englische Zentrum, doch der Angriff scheitert unter furchtbaren
Verlusten; zwölf wirft er nach Plancenoit hinein gegen Bülow. Zweimal
stürmen die Preußen hier vergeblich, unter unerhörten Opfern. Da sammelt
Gneisenau selbst, der bei Plancenoit in heiterer Ruhe die Schlacht geleitet, die
Truppen nochmals und schickt sie aufs neue vor. So wird gegen acht Uhr
abends Plancenoit in wütendem Handgemenge von den Preußen erstürmt.
Endlich weicht die Kaisergarde in wilder Flucht! Zugleich wird weiter nördlich



*) AuZ Gu"ise"auK H"eresbericht.
Belle Alliance

Kampfe die Division Quiot im Zentrum das Vorwerk La Haye Sande, die
Franzosen stoßen nach auf Mont Se. Jean. Die Mitte der englischen Schlacht¬
linie ist durchbrochen. Nur notdürftig füllt Wellington die Lücke durch die
Brigade Kielmannsegge wieder aus. Aber inzwischen verliert Bernhard von
Weimar La Haye und Papelotte an die Diviston Durutte.

Bis jetzt hatte Napoleon die 24 Bataillone seiner Garde noch zurück¬
gehalten. Warf er diese jetzt gegen Mont Se. Jean oder gegen den schwer
erschütterten linken Flügel Wellingtons, dann war der Sieg sein. Es ist
allbekannt, wie Wellington in diesem kritischen Augenblick zumute war. „Blücher
oder die Nacht!"

Wenn Napoleon trotzdem die Garde zurückhielt, so lag die Ursache aus¬
schließlich in dem Anmarsch der Preußen, der ihm durch einen aufgefangenen
Brief schon seit ein Uhr bekannt war und alle seine Maßnahmen beeinflußte.

Blüchers Heldengeist hatte trotz des Sturzes am 16. alle Anfälle seines
dreiundsiebzigjährigen Körpers überwunden und Führer und Truppen durch Bei¬
spiel und Zuspruch mit sich fortgerissen, so daß selbst der vom Regen aufgeweichte
Lehmboden Brabants, in dem die Geschütze immer aufs neue stecken blieben,
nur ein vorübergehendes Hindernis war. — Der Angriff der Preußen kam
von Nordosten. Um ein Uhr hatte das Gros ihres Heeres das Defilee von
Se. Lambert glücklich überwunden und ging nun in zwei Kolonnen dem Feinde
in Flanke und Rücken. Während Zieten auf OHM marschierte, um den rechten
Flügel der Franzosen in der Flanke zu fassen und ihnen dann Papelotte und
La Haye zu entreißen, versammelte Bülow gegen vier Uhr sein Korps im
Walde von Frichemont zum Angriff auf Plancenoit, das hinter dem rechten
französischen Flügel lag. „Einen besonders schönen Anblick gewährte die
Angriffsseite des preußischen Heeres. Das Terrain war hier terrassenförmig
gebildet, so daß mehrere Stufen Geschützfeuer übereinander entwickelt werden
konnten, zwischen denen die Truppen brigadenweise in schönster Ordnung in die
Ebene hinabstiegen, während sich aus dem hinten auf der Höhe liegenden
Walde immer neue Massen entfalteten" *). — Als dann die Preußen unaufhaltsam
vordrangen und Napoleon nicht nur in der rechten Flanke, sondern auch im
Rücken schwer bedroht war, da entschloß er sich zu einem letzten verzweifelten
Schlage: zehn seiner Gardebataillone sendet er unter Ney westlich der Brüsseler
Straße gegen das englische Zentrum, doch der Angriff scheitert unter furchtbaren
Verlusten; zwölf wirft er nach Plancenoit hinein gegen Bülow. Zweimal
stürmen die Preußen hier vergeblich, unter unerhörten Opfern. Da sammelt
Gneisenau selbst, der bei Plancenoit in heiterer Ruhe die Schlacht geleitet, die
Truppen nochmals und schickt sie aufs neue vor. So wird gegen acht Uhr
abends Plancenoit in wütendem Handgemenge von den Preußen erstürmt.
Endlich weicht die Kaisergarde in wilder Flucht! Zugleich wird weiter nördlich



*) AuZ Gu«ise«auK H»eresbericht.
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[0343] Belle Alliance Kampfe die Division Quiot im Zentrum das Vorwerk La Haye Sande, die Franzosen stoßen nach auf Mont Se. Jean. Die Mitte der englischen Schlacht¬ linie ist durchbrochen. Nur notdürftig füllt Wellington die Lücke durch die Brigade Kielmannsegge wieder aus. Aber inzwischen verliert Bernhard von Weimar La Haye und Papelotte an die Diviston Durutte. Bis jetzt hatte Napoleon die 24 Bataillone seiner Garde noch zurück¬ gehalten. Warf er diese jetzt gegen Mont Se. Jean oder gegen den schwer erschütterten linken Flügel Wellingtons, dann war der Sieg sein. Es ist allbekannt, wie Wellington in diesem kritischen Augenblick zumute war. „Blücher oder die Nacht!" Wenn Napoleon trotzdem die Garde zurückhielt, so lag die Ursache aus¬ schließlich in dem Anmarsch der Preußen, der ihm durch einen aufgefangenen Brief schon seit ein Uhr bekannt war und alle seine Maßnahmen beeinflußte. Blüchers Heldengeist hatte trotz des Sturzes am 16. alle Anfälle seines dreiundsiebzigjährigen Körpers überwunden und Führer und Truppen durch Bei¬ spiel und Zuspruch mit sich fortgerissen, so daß selbst der vom Regen aufgeweichte Lehmboden Brabants, in dem die Geschütze immer aufs neue stecken blieben, nur ein vorübergehendes Hindernis war. — Der Angriff der Preußen kam von Nordosten. Um ein Uhr hatte das Gros ihres Heeres das Defilee von Se. Lambert glücklich überwunden und ging nun in zwei Kolonnen dem Feinde in Flanke und Rücken. Während Zieten auf OHM marschierte, um den rechten Flügel der Franzosen in der Flanke zu fassen und ihnen dann Papelotte und La Haye zu entreißen, versammelte Bülow gegen vier Uhr sein Korps im Walde von Frichemont zum Angriff auf Plancenoit, das hinter dem rechten französischen Flügel lag. „Einen besonders schönen Anblick gewährte die Angriffsseite des preußischen Heeres. Das Terrain war hier terrassenförmig gebildet, so daß mehrere Stufen Geschützfeuer übereinander entwickelt werden konnten, zwischen denen die Truppen brigadenweise in schönster Ordnung in die Ebene hinabstiegen, während sich aus dem hinten auf der Höhe liegenden Walde immer neue Massen entfalteten" *). — Als dann die Preußen unaufhaltsam vordrangen und Napoleon nicht nur in der rechten Flanke, sondern auch im Rücken schwer bedroht war, da entschloß er sich zu einem letzten verzweifelten Schlage: zehn seiner Gardebataillone sendet er unter Ney westlich der Brüsseler Straße gegen das englische Zentrum, doch der Angriff scheitert unter furchtbaren Verlusten; zwölf wirft er nach Plancenoit hinein gegen Bülow. Zweimal stürmen die Preußen hier vergeblich, unter unerhörten Opfern. Da sammelt Gneisenau selbst, der bei Plancenoit in heiterer Ruhe die Schlacht geleitet, die Truppen nochmals und schickt sie aufs neue vor. So wird gegen acht Uhr abends Plancenoit in wütendem Handgemenge von den Preußen erstürmt. Endlich weicht die Kaisergarde in wilder Flucht! Zugleich wird weiter nördlich *) AuZ Gu«ise«auK H»eresbericht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/343>, abgerufen am 16.06.2024.