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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Belle Alliance

Schätzung des Gegners hielt er das preußische Heer für so stark aufgelöst, daß
er erst am andern Nachmittag durch Marschall Grouchy mit nur 33000 Mann
die Verfolgung -- in östlicher Richtung -- aufnehmen ließ. In diesem wahrhaft
verhängnisvollen Fehler zeigt sich das Wesen des Korsen in schärfsten Lichte.
"Des Menschen Charakter ist sein Schicksal," sagt ein griechischer Denker. Für
Napoleon gilt dies Wort ebenso wie für Wallenstein . . .

So können sich die Preußen am 17. unbehelligt von Grouchy, der erst
am 18. ihre Spur findet, gen Norden auf Wavre zurückziehen, sich hier in der
Nacht mit Bülow vereinigen und in der Frühe des 13. scharf nach Westen
umbiegend Wellington zu Hilfe eilen.

Dieser war am Nachmittag des 17. auf der Brüsseler Straße nordwärts
zurückgegangen und hatte bei dem Dorfe Mont Si. Jean Stellung genommen.
Auf Blüchers Anfrage hatte er sich bereit erklärt, hier am folgenden Tage eine
neue Schlacht anzunehmen, wenn er auf die Hilfe von etwa 25000 Mann
rechnen könne. Blücher hatte geantwortet, er würde kommen, womöglich mit
seiner ganzen Armee. Wellington hatte nur an eine Verstärkung seines linken
Flügels gedacht, Gneisenau aber beschloß, den Franzosen mit der ganzen Macht
in die rechte Flanke und in den Rücken zu gehen. Gelang das, dann war das
Schicksal Napoleons entschieden.

Wellington hatte noch am 17. seine Truppen links und rechts der Brüsseler
Straße, das Gesicht nach Süden, auf einem westlich-östlich streichenden Höhenzug
aufgestellt. Vor ihm senkte sich das Gelände kaum merklich und verlief dann
eine Strecke ganz eben, bis es sich allmählich wieder gen Süden zu einer neuen
Bodenwelle erhob. An der Stelle, wo diese von der Brüsseler Straße durch¬
schnitten wird, liegt ein weithin sichtbares Gehöft, der Pachthof Belle Alliance.
Auf diesem südlichen Höhenzug hatte Napoleon am 17. gegen Abend, nachdem
er sich bei Quatrebras mit Ney vereinigt hatte, seine Truppen in west-östlicher
Richtung aufgestellt, so daß das Gehöft von Belle Alliance fast genau das
Zentrum seiner Stellung bildete. Die zwischen beiden Höhenzügen liegende
sehr flache Geländemulde ist das Schlachtfeld vom 13. Juni. Rechts vor der
englischen Stellung lag das Schloß Hougomont. dicht vor dem Zentrum das
Vorwerk La Have Sainte, während links vor ihm die weißleuchtenden Gehöfte
La Home und Pavelotte lagen. Der Meister der Defensivschlacht hatte all diese
Punkte stark besetzt.

Napoleon hatte 72000 Mann gegen Wellingtons 68000, war aber an
Kavallerie und besonders an Artillerie -- 240 Geschütze gegen die 150
Wellingtons -- stark überlegen. Er plante durch mehrere furchtbare Frontal¬
angriffe, ohne Rücksicht auf die Zahl der Opfer, die englische Stellung zu
durchbrechen. Aber an dem zähen, erbitterten Widerstände der Engländer und
Deutschen unter Wellingtons kaltblütiger Führung scheiterte der Angriff Erloys
ebenso wie die beiden gewaltigen Reiterattacke" unter Ney und Kellermann.
All die blutige" Opfer waren umsonst! Da endlich erstürmt nach wütendem


Belle Alliance

Schätzung des Gegners hielt er das preußische Heer für so stark aufgelöst, daß
er erst am andern Nachmittag durch Marschall Grouchy mit nur 33000 Mann
die Verfolgung — in östlicher Richtung — aufnehmen ließ. In diesem wahrhaft
verhängnisvollen Fehler zeigt sich das Wesen des Korsen in schärfsten Lichte.
„Des Menschen Charakter ist sein Schicksal," sagt ein griechischer Denker. Für
Napoleon gilt dies Wort ebenso wie für Wallenstein . . .

So können sich die Preußen am 17. unbehelligt von Grouchy, der erst
am 18. ihre Spur findet, gen Norden auf Wavre zurückziehen, sich hier in der
Nacht mit Bülow vereinigen und in der Frühe des 13. scharf nach Westen
umbiegend Wellington zu Hilfe eilen.

Dieser war am Nachmittag des 17. auf der Brüsseler Straße nordwärts
zurückgegangen und hatte bei dem Dorfe Mont Si. Jean Stellung genommen.
Auf Blüchers Anfrage hatte er sich bereit erklärt, hier am folgenden Tage eine
neue Schlacht anzunehmen, wenn er auf die Hilfe von etwa 25000 Mann
rechnen könne. Blücher hatte geantwortet, er würde kommen, womöglich mit
seiner ganzen Armee. Wellington hatte nur an eine Verstärkung seines linken
Flügels gedacht, Gneisenau aber beschloß, den Franzosen mit der ganzen Macht
in die rechte Flanke und in den Rücken zu gehen. Gelang das, dann war das
Schicksal Napoleons entschieden.

Wellington hatte noch am 17. seine Truppen links und rechts der Brüsseler
Straße, das Gesicht nach Süden, auf einem westlich-östlich streichenden Höhenzug
aufgestellt. Vor ihm senkte sich das Gelände kaum merklich und verlief dann
eine Strecke ganz eben, bis es sich allmählich wieder gen Süden zu einer neuen
Bodenwelle erhob. An der Stelle, wo diese von der Brüsseler Straße durch¬
schnitten wird, liegt ein weithin sichtbares Gehöft, der Pachthof Belle Alliance.
Auf diesem südlichen Höhenzug hatte Napoleon am 17. gegen Abend, nachdem
er sich bei Quatrebras mit Ney vereinigt hatte, seine Truppen in west-östlicher
Richtung aufgestellt, so daß das Gehöft von Belle Alliance fast genau das
Zentrum seiner Stellung bildete. Die zwischen beiden Höhenzügen liegende
sehr flache Geländemulde ist das Schlachtfeld vom 13. Juni. Rechts vor der
englischen Stellung lag das Schloß Hougomont. dicht vor dem Zentrum das
Vorwerk La Have Sainte, während links vor ihm die weißleuchtenden Gehöfte
La Home und Pavelotte lagen. Der Meister der Defensivschlacht hatte all diese
Punkte stark besetzt.

Napoleon hatte 72000 Mann gegen Wellingtons 68000, war aber an
Kavallerie und besonders an Artillerie — 240 Geschütze gegen die 150
Wellingtons — stark überlegen. Er plante durch mehrere furchtbare Frontal¬
angriffe, ohne Rücksicht auf die Zahl der Opfer, die englische Stellung zu
durchbrechen. Aber an dem zähen, erbitterten Widerstände der Engländer und
Deutschen unter Wellingtons kaltblütiger Führung scheiterte der Angriff Erloys
ebenso wie die beiden gewaltigen Reiterattacke« unter Ney und Kellermann.
All die blutige» Opfer waren umsonst! Da endlich erstürmt nach wütendem


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[0342] Belle Alliance Schätzung des Gegners hielt er das preußische Heer für so stark aufgelöst, daß er erst am andern Nachmittag durch Marschall Grouchy mit nur 33000 Mann die Verfolgung — in östlicher Richtung — aufnehmen ließ. In diesem wahrhaft verhängnisvollen Fehler zeigt sich das Wesen des Korsen in schärfsten Lichte. „Des Menschen Charakter ist sein Schicksal," sagt ein griechischer Denker. Für Napoleon gilt dies Wort ebenso wie für Wallenstein . . . So können sich die Preußen am 17. unbehelligt von Grouchy, der erst am 18. ihre Spur findet, gen Norden auf Wavre zurückziehen, sich hier in der Nacht mit Bülow vereinigen und in der Frühe des 13. scharf nach Westen umbiegend Wellington zu Hilfe eilen. Dieser war am Nachmittag des 17. auf der Brüsseler Straße nordwärts zurückgegangen und hatte bei dem Dorfe Mont Si. Jean Stellung genommen. Auf Blüchers Anfrage hatte er sich bereit erklärt, hier am folgenden Tage eine neue Schlacht anzunehmen, wenn er auf die Hilfe von etwa 25000 Mann rechnen könne. Blücher hatte geantwortet, er würde kommen, womöglich mit seiner ganzen Armee. Wellington hatte nur an eine Verstärkung seines linken Flügels gedacht, Gneisenau aber beschloß, den Franzosen mit der ganzen Macht in die rechte Flanke und in den Rücken zu gehen. Gelang das, dann war das Schicksal Napoleons entschieden. Wellington hatte noch am 17. seine Truppen links und rechts der Brüsseler Straße, das Gesicht nach Süden, auf einem westlich-östlich streichenden Höhenzug aufgestellt. Vor ihm senkte sich das Gelände kaum merklich und verlief dann eine Strecke ganz eben, bis es sich allmählich wieder gen Süden zu einer neuen Bodenwelle erhob. An der Stelle, wo diese von der Brüsseler Straße durch¬ schnitten wird, liegt ein weithin sichtbares Gehöft, der Pachthof Belle Alliance. Auf diesem südlichen Höhenzug hatte Napoleon am 17. gegen Abend, nachdem er sich bei Quatrebras mit Ney vereinigt hatte, seine Truppen in west-östlicher Richtung aufgestellt, so daß das Gehöft von Belle Alliance fast genau das Zentrum seiner Stellung bildete. Die zwischen beiden Höhenzügen liegende sehr flache Geländemulde ist das Schlachtfeld vom 13. Juni. Rechts vor der englischen Stellung lag das Schloß Hougomont. dicht vor dem Zentrum das Vorwerk La Have Sainte, während links vor ihm die weißleuchtenden Gehöfte La Home und Pavelotte lagen. Der Meister der Defensivschlacht hatte all diese Punkte stark besetzt. Napoleon hatte 72000 Mann gegen Wellingtons 68000, war aber an Kavallerie und besonders an Artillerie — 240 Geschütze gegen die 150 Wellingtons — stark überlegen. Er plante durch mehrere furchtbare Frontal¬ angriffe, ohne Rücksicht auf die Zahl der Opfer, die englische Stellung zu durchbrechen. Aber an dem zähen, erbitterten Widerstände der Engländer und Deutschen unter Wellingtons kaltblütiger Führung scheiterte der Angriff Erloys ebenso wie die beiden gewaltigen Reiterattacke« unter Ney und Kellermann. All die blutige» Opfer waren umsonst! Da endlich erstürmt nach wütendem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/342>, abgerufen am 23.05.2024.