Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.Belgiens Verfassung und Staatsleben Die belgische Revolution und die belgische Verfassung wurden nun dadurch Wenn man auch die französischen Verfassungen von 1814 und 1830 als Das Volk, durch die Revolution gewissermaßen in den Naturzustand Schon durch die Verfassung war das Parlament und die allein in ihm Die an sich schon vorhandene Allmacht des Parlaments wird durch die Belgiens Verfassung und Staatsleben Die belgische Revolution und die belgische Verfassung wurden nun dadurch Wenn man auch die französischen Verfassungen von 1814 und 1830 als Das Volk, durch die Revolution gewissermaßen in den Naturzustand Schon durch die Verfassung war das Parlament und die allein in ihm Die an sich schon vorhandene Allmacht des Parlaments wird durch die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323951"/> <fw type="header" place="top"> Belgiens Verfassung und Staatsleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1349"> Die belgische Revolution und die belgische Verfassung wurden nun dadurch<lb/> ins Leben gerufen, daß die beiden Parteien der Katholiken und Liberalen sich<lb/> auf Grund wechselseitiger Zugeständnisse vereinigten. Die Katholiken erhielten<lb/> die Kirchen- und Unterrichtsfreiheit unter Niederreißung aller staatlichen Hoheits¬<lb/> rechte, die Liberalen die Preßfreiheit. Auf diesem Boden erstand die Verfassung<lb/> vom 7. Februar 1831, das Hauptwerk des Nationalkongresses und später<lb/> eigentümlicherweise das Vorbild für die preußische Verfassungsurkunde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1350"> Wenn man auch die französischen Verfassungen von 1814 und 1830 als<lb/> Vorbilder der belgischen hatte, so sind doch die in ihnen enthaltenen Sätze<lb/> selbständig weiter entwickelt, namentlich durch folgerichtige Durchführung der<lb/> Grundsätze der Volkssouveränität und der Teilung der Gewalten und durch die<lb/> Ausgestaltung der Freiheitsrechte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1351"> Das Volk, durch die Revolution gewissermaßen in den Naturzustand<lb/> zurückversetzt, konstituiert sich durch die Verfassung zum Staate. Diese ist daher<lb/> erlassen: nom an peuple belZe" und an die Spitze ihrer organisatorischen<lb/> Bestimmungen stellt sie den Satz: >,1"<)U8 le8 pouvoit-8 emanent as la nation."<lb/> Die erste dieser Gewalten bilden die Kammern, die beide, Senat und<lb/> Deputiertenkammer, aus Wahlen, wenn auch nach verschiedenen Wahlsystemen,<lb/> der herrschenden Bourgeoisie mit hohem Aktiv- und Passivzensus hervorgehen.<lb/> Für eine besondere Vertretung aristokratischer Elemente wie für die Arbeiterschaft<lb/> ist daneben kein Platz. Erst das zweite Staatsorgan ist der König, der, durch die<lb/> Verfassung erblich berufen, keine anderen Rechte hat als die, welche ihm Ver¬<lb/> fassung oder besondere Ausführungsgesetze zur Verfassung ausdrücklich beilegen.<lb/> Träger der richterlichen Gewalt sind endlich unabhängige Gerichte, die sich zum<lb/> Teil selbst ergänzen. Dazu kommen ausgedehnte Freiheitsrechte, wie sie sich<lb/> in den meisten Verfassungen fanden, aber als besonders charakteristisch die volle<lb/> Kirchen- und Unterrichtsfreiheit im Interesse der katholischen Kirche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1352"> Schon durch die Verfassung war das Parlament und die allein in ihm<lb/> vertretene Bourgeoisie allmächtig. Denn die Kammern bewilligen alljährlich im<lb/> Budget nach freiem Ermessen alle Einnahmen und Ausgaben und geben damit<lb/> dem Ministerium erst die Möglichkeit, die Verwaltungsgeschäfte zu führen. Die<lb/> Kammern bewilligen alljährlich das Heereskontingent, ohne solche Bewilligung<lb/> müßte das Heer entlassen werden. Das Heer beruht zwar auf der allgemeinen<lb/> Wehrpflicht, aber mit Loskaufsrecht der reichen Bourgeois, die wohl die Rechte<lb/> im Staate für sich in Anspruch nehmen, aber die Pflichten gern anderen über¬<lb/> lassen. Dagegen gönnen sie sich die unschuldige Soldatenspielerei in der Bürger¬<lb/> wehr oder Oaräs civiczue.</p><lb/> <p xml:id="ID_1353" next="#ID_1354"> Die an sich schon vorhandene Allmacht des Parlaments wird durch die<lb/> Praxis des Staatslebens verstärkt. Dem Namen nach hat der König die voll¬<lb/> ziehende Gewalt und übt die gesetzgebende gemeinsam mit den Kammern. Aber<lb/> diese Befugnisse entgleiten feinen Händen, da er sie ausüben muß durch ver¬<lb/> antwortliche Minister, und diese nach dem parlamentarischen System aus der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0412]
Belgiens Verfassung und Staatsleben
Die belgische Revolution und die belgische Verfassung wurden nun dadurch
ins Leben gerufen, daß die beiden Parteien der Katholiken und Liberalen sich
auf Grund wechselseitiger Zugeständnisse vereinigten. Die Katholiken erhielten
die Kirchen- und Unterrichtsfreiheit unter Niederreißung aller staatlichen Hoheits¬
rechte, die Liberalen die Preßfreiheit. Auf diesem Boden erstand die Verfassung
vom 7. Februar 1831, das Hauptwerk des Nationalkongresses und später
eigentümlicherweise das Vorbild für die preußische Verfassungsurkunde.
Wenn man auch die französischen Verfassungen von 1814 und 1830 als
Vorbilder der belgischen hatte, so sind doch die in ihnen enthaltenen Sätze
selbständig weiter entwickelt, namentlich durch folgerichtige Durchführung der
Grundsätze der Volkssouveränität und der Teilung der Gewalten und durch die
Ausgestaltung der Freiheitsrechte.
Das Volk, durch die Revolution gewissermaßen in den Naturzustand
zurückversetzt, konstituiert sich durch die Verfassung zum Staate. Diese ist daher
erlassen: nom an peuple belZe" und an die Spitze ihrer organisatorischen
Bestimmungen stellt sie den Satz: >,1"<)U8 le8 pouvoit-8 emanent as la nation."
Die erste dieser Gewalten bilden die Kammern, die beide, Senat und
Deputiertenkammer, aus Wahlen, wenn auch nach verschiedenen Wahlsystemen,
der herrschenden Bourgeoisie mit hohem Aktiv- und Passivzensus hervorgehen.
Für eine besondere Vertretung aristokratischer Elemente wie für die Arbeiterschaft
ist daneben kein Platz. Erst das zweite Staatsorgan ist der König, der, durch die
Verfassung erblich berufen, keine anderen Rechte hat als die, welche ihm Ver¬
fassung oder besondere Ausführungsgesetze zur Verfassung ausdrücklich beilegen.
Träger der richterlichen Gewalt sind endlich unabhängige Gerichte, die sich zum
Teil selbst ergänzen. Dazu kommen ausgedehnte Freiheitsrechte, wie sie sich
in den meisten Verfassungen fanden, aber als besonders charakteristisch die volle
Kirchen- und Unterrichtsfreiheit im Interesse der katholischen Kirche.
Schon durch die Verfassung war das Parlament und die allein in ihm
vertretene Bourgeoisie allmächtig. Denn die Kammern bewilligen alljährlich im
Budget nach freiem Ermessen alle Einnahmen und Ausgaben und geben damit
dem Ministerium erst die Möglichkeit, die Verwaltungsgeschäfte zu führen. Die
Kammern bewilligen alljährlich das Heereskontingent, ohne solche Bewilligung
müßte das Heer entlassen werden. Das Heer beruht zwar auf der allgemeinen
Wehrpflicht, aber mit Loskaufsrecht der reichen Bourgeois, die wohl die Rechte
im Staate für sich in Anspruch nehmen, aber die Pflichten gern anderen über¬
lassen. Dagegen gönnen sie sich die unschuldige Soldatenspielerei in der Bürger¬
wehr oder Oaräs civiczue.
Die an sich schon vorhandene Allmacht des Parlaments wird durch die
Praxis des Staatslebens verstärkt. Dem Namen nach hat der König die voll¬
ziehende Gewalt und übt die gesetzgebende gemeinsam mit den Kammern. Aber
diese Befugnisse entgleiten feinen Händen, da er sie ausüben muß durch ver¬
antwortliche Minister, und diese nach dem parlamentarischen System aus der
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