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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Vas deutsche Volkserwachen in "Oesterreich

die Bewahrung strenger Neutralität das mindeste sei, was die Deutschen Oster-'
reichs von der gegenwärtigen Regierung verlangen, denn ein Bündnis mit Frank¬
reich wäre ein Verrat an dem deutschen Volke, eine Abdankung Wiens als
deutsche Stadt, ein letzter Stoß auf das Selbstgefühl, den moralischen und
politischen Halt der Deutschen Österreichs; es ist persönliche Pflicht jedes Deutschen
beizutragen mit Wort und Tat, Gut und Blut zum Siege der deutschen Waffen".
Doch sollte es auch bald zu einer gewaltsamen Lösung der Konflikte zwischen
Interventionisten und Neutralisten kommen. Im Februar 1870 soll Erzherzog
Albrecht -- was er später ausdrücklichst in Abrede stellte -- in Paris betreffs
gemeinsamen Vorgehens gegen Preußen unterhandelt haben, während der
französische General Lebrun im Juni 1870 nach Wien kam; aber Andrassy ver¬
mochte es im entscheidenden Kronrat dennoch durchzusetzen, daß die Neutralität
erklärt wurde, obwohl preußenfeindliche klerikale dem Hofe nahestehende Kreise
auf ein Eingreifen hindrängten. Kaiser Franz Josef hielt aber in Anbetracht
der Stimmung seiner deutschen Untertanen ehrlich an der Neutralität
fest. Das haderte aber die Preußenfeinde nicht im geringsten und in der Wiener
Neuen Freien Presse nahm selbst ein hoher General gegen deren Umtriebe
energisch Stellung. Als die Siege den deutschen Waffen zufielen, verdoppelten
die Französlinge ihre Anstrengungen, aber das offizielle Österreich fühlte keine
Lust mehr, dem abgemorschten Kaisertum Frankreich zu Hilfe zu eilen. Indessen
hatte bereits die Liebesgabensammlung überraschende Resultate gezeitigt, da
wurden an die Hunderttausende Kronen, Scharpie, Wnndlinnen, Bekleidungs¬
stücke usw. gespendet; Professor Wilhelm Scherer führte fein Gehalt, 150 Gulden
monatlich, während der Kriegsdauer für die Zwecke des deutschen Heeres ab,
Professoren und Doktoren wie Gomverz, Billroth, Jhering, Zimmermann und
Scheuer widmeten große Summen und nicht die letzten Spenden stammten aus
Studentenkreisen. Wie muß in den Tagen, wo sogar in den gruseligen Fünf-
kreuzerbibliotheken den Wienern Romane vorgelegt wurden, welche die Helden-
kämpfe von Wörth, Weißenburg, Se. Privat, Gravelotte, Vionville und Sedan
bis Paris zum anziehenden Hintergrund hatten, in denen der bekannte Wiener
Schriftsteller Ebersberg, bekannter unter dem Namen O. F. Berg und als
Herausgeber des Kikeriki, den nationalen allerdings als "armseliger Stiefel¬
wichspatriot" verhaßt, ein Stück schrieb, dessen Held ein Berliner war und das
unter dem Titel "Ein deutscher Bruder" vielmals über die Bretter ging, in
einer Zeit, in der in den städtischen Nedoutensälen die Pester stürmisch und
unermüdlich von der Musikkapelle die "Wacht am Rhein" verlangten, wie muß
in solcher Zeit das deutsche Herz hoch geschlagen haben auch im "neutralen"
Österreich:


"neutral? Nicht ganzl Das Herz hat angeschlagen,
Das Herz Deutschösterreichs, das deutsche HerzI"

Aber nicht nur in der Haupt- und Residenzstadt Österreichs wogte so hoch
die deutsche Begeisterung, auch in der Provinz draußen wehte es wie heiliger


Vas deutsche Volkserwachen in «Oesterreich

die Bewahrung strenger Neutralität das mindeste sei, was die Deutschen Oster-'
reichs von der gegenwärtigen Regierung verlangen, denn ein Bündnis mit Frank¬
reich wäre ein Verrat an dem deutschen Volke, eine Abdankung Wiens als
deutsche Stadt, ein letzter Stoß auf das Selbstgefühl, den moralischen und
politischen Halt der Deutschen Österreichs; es ist persönliche Pflicht jedes Deutschen
beizutragen mit Wort und Tat, Gut und Blut zum Siege der deutschen Waffen".
Doch sollte es auch bald zu einer gewaltsamen Lösung der Konflikte zwischen
Interventionisten und Neutralisten kommen. Im Februar 1870 soll Erzherzog
Albrecht — was er später ausdrücklichst in Abrede stellte — in Paris betreffs
gemeinsamen Vorgehens gegen Preußen unterhandelt haben, während der
französische General Lebrun im Juni 1870 nach Wien kam; aber Andrassy ver¬
mochte es im entscheidenden Kronrat dennoch durchzusetzen, daß die Neutralität
erklärt wurde, obwohl preußenfeindliche klerikale dem Hofe nahestehende Kreise
auf ein Eingreifen hindrängten. Kaiser Franz Josef hielt aber in Anbetracht
der Stimmung seiner deutschen Untertanen ehrlich an der Neutralität
fest. Das haderte aber die Preußenfeinde nicht im geringsten und in der Wiener
Neuen Freien Presse nahm selbst ein hoher General gegen deren Umtriebe
energisch Stellung. Als die Siege den deutschen Waffen zufielen, verdoppelten
die Französlinge ihre Anstrengungen, aber das offizielle Österreich fühlte keine
Lust mehr, dem abgemorschten Kaisertum Frankreich zu Hilfe zu eilen. Indessen
hatte bereits die Liebesgabensammlung überraschende Resultate gezeitigt, da
wurden an die Hunderttausende Kronen, Scharpie, Wnndlinnen, Bekleidungs¬
stücke usw. gespendet; Professor Wilhelm Scherer führte fein Gehalt, 150 Gulden
monatlich, während der Kriegsdauer für die Zwecke des deutschen Heeres ab,
Professoren und Doktoren wie Gomverz, Billroth, Jhering, Zimmermann und
Scheuer widmeten große Summen und nicht die letzten Spenden stammten aus
Studentenkreisen. Wie muß in den Tagen, wo sogar in den gruseligen Fünf-
kreuzerbibliotheken den Wienern Romane vorgelegt wurden, welche die Helden-
kämpfe von Wörth, Weißenburg, Se. Privat, Gravelotte, Vionville und Sedan
bis Paris zum anziehenden Hintergrund hatten, in denen der bekannte Wiener
Schriftsteller Ebersberg, bekannter unter dem Namen O. F. Berg und als
Herausgeber des Kikeriki, den nationalen allerdings als „armseliger Stiefel¬
wichspatriot" verhaßt, ein Stück schrieb, dessen Held ein Berliner war und das
unter dem Titel „Ein deutscher Bruder" vielmals über die Bretter ging, in
einer Zeit, in der in den städtischen Nedoutensälen die Pester stürmisch und
unermüdlich von der Musikkapelle die „Wacht am Rhein" verlangten, wie muß
in solcher Zeit das deutsche Herz hoch geschlagen haben auch im „neutralen"
Österreich:


„neutral? Nicht ganzl Das Herz hat angeschlagen,
Das Herz Deutschösterreichs, das deutsche HerzI"

Aber nicht nur in der Haupt- und Residenzstadt Österreichs wogte so hoch
die deutsche Begeisterung, auch in der Provinz draußen wehte es wie heiliger


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[0028] Vas deutsche Volkserwachen in «Oesterreich die Bewahrung strenger Neutralität das mindeste sei, was die Deutschen Oster-' reichs von der gegenwärtigen Regierung verlangen, denn ein Bündnis mit Frank¬ reich wäre ein Verrat an dem deutschen Volke, eine Abdankung Wiens als deutsche Stadt, ein letzter Stoß auf das Selbstgefühl, den moralischen und politischen Halt der Deutschen Österreichs; es ist persönliche Pflicht jedes Deutschen beizutragen mit Wort und Tat, Gut und Blut zum Siege der deutschen Waffen". Doch sollte es auch bald zu einer gewaltsamen Lösung der Konflikte zwischen Interventionisten und Neutralisten kommen. Im Februar 1870 soll Erzherzog Albrecht — was er später ausdrücklichst in Abrede stellte — in Paris betreffs gemeinsamen Vorgehens gegen Preußen unterhandelt haben, während der französische General Lebrun im Juni 1870 nach Wien kam; aber Andrassy ver¬ mochte es im entscheidenden Kronrat dennoch durchzusetzen, daß die Neutralität erklärt wurde, obwohl preußenfeindliche klerikale dem Hofe nahestehende Kreise auf ein Eingreifen hindrängten. Kaiser Franz Josef hielt aber in Anbetracht der Stimmung seiner deutschen Untertanen ehrlich an der Neutralität fest. Das haderte aber die Preußenfeinde nicht im geringsten und in der Wiener Neuen Freien Presse nahm selbst ein hoher General gegen deren Umtriebe energisch Stellung. Als die Siege den deutschen Waffen zufielen, verdoppelten die Französlinge ihre Anstrengungen, aber das offizielle Österreich fühlte keine Lust mehr, dem abgemorschten Kaisertum Frankreich zu Hilfe zu eilen. Indessen hatte bereits die Liebesgabensammlung überraschende Resultate gezeitigt, da wurden an die Hunderttausende Kronen, Scharpie, Wnndlinnen, Bekleidungs¬ stücke usw. gespendet; Professor Wilhelm Scherer führte fein Gehalt, 150 Gulden monatlich, während der Kriegsdauer für die Zwecke des deutschen Heeres ab, Professoren und Doktoren wie Gomverz, Billroth, Jhering, Zimmermann und Scheuer widmeten große Summen und nicht die letzten Spenden stammten aus Studentenkreisen. Wie muß in den Tagen, wo sogar in den gruseligen Fünf- kreuzerbibliotheken den Wienern Romane vorgelegt wurden, welche die Helden- kämpfe von Wörth, Weißenburg, Se. Privat, Gravelotte, Vionville und Sedan bis Paris zum anziehenden Hintergrund hatten, in denen der bekannte Wiener Schriftsteller Ebersberg, bekannter unter dem Namen O. F. Berg und als Herausgeber des Kikeriki, den nationalen allerdings als „armseliger Stiefel¬ wichspatriot" verhaßt, ein Stück schrieb, dessen Held ein Berliner war und das unter dem Titel „Ein deutscher Bruder" vielmals über die Bretter ging, in einer Zeit, in der in den städtischen Nedoutensälen die Pester stürmisch und unermüdlich von der Musikkapelle die „Wacht am Rhein" verlangten, wie muß in solcher Zeit das deutsche Herz hoch geschlagen haben auch im „neutralen" Österreich: „neutral? Nicht ganzl Das Herz hat angeschlagen, Das Herz Deutschösterreichs, das deutsche HerzI" Aber nicht nur in der Haupt- und Residenzstadt Österreichs wogte so hoch die deutsche Begeisterung, auch in der Provinz draußen wehte es wie heiliger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/28>, abgerufen am 16.06.2024.