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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Volksmärchen der Bulgaren

erzählen. Ein Samovilen-Motiv, das auffallend an Hagens Erlebnis mit den
Meerfrauen in unserm Nibelungenliede erinnert, ist in eine bulgarische Geschichte
eingeflochten, die wieder nahe Beziehungen zu andern Märchen der Weltliteratur
aufweist. Ein Hirt sieht drei schöne Mädchen baden und wünscht eine von
ihnen zur Gemahlin. Da er ihrer nicht anders habhaft werden kann, so nimmt
er ihnen ihre Hemden weg und gibt sie erst unter der Bedingung zurück, daß
eine von ihnen die Seine werde. Kein Bitten und keine Warnungen vor dem
Spott der Leute können ihn von seinem Verlangen abbringen und so bleibt
schließlich die jüngste als Frau bei ihm. Die Schwestern aber, die es gut mit
dem Hirten meinen, warnen ihn davor, der Braut jemals ihr Hemd wieder¬
zugeben. Nach einem Jahre aber, bei einer Hochzeitsfeier, weiß sie es ihn:
doch abzuschmeicheln. "Als nun die Samovile zum Tanz antrat und den
Samovilenreigen tanzte, blieben alle Hochzeitsgäste, groß und klein, vor Ver¬
wunderung starr stehen. Die Samovile aber, als der Tanz zu Ende war, ging
zu ihrem Mann, faßte ihn bei der Hand und sagte: lebe wohl, mein Hausherr!"
Damit fliegt sie durch den Rauchfang und hinterläßt dem Gatten nur den einen
Trost, daß er sie in einem fernen Dorfe wiederfinden könne. Nach unendlichen
Schwierigkeiten erfährt er beim Zaren der Vögel, wo das Dorf liegt: die
Elster, die auf den Ruf des Zaren zu spat erscheint, hat es entdeckt. Die
Samovilen haben den Vogel eingespannt, Strohblumen zu dreschen und eine
hat ihm dabei auf den Fuß getreten, darum kommt sie so spät! *) Auf Befehl
des Königs befördert ihn denn auch ein Adler in die Nähe seiner Frau, die
gerade ausgegangen ist. Die Schwestern sind bereit ihm zu helfen, binden die
Schlafende auf einen fliegenden Sattel, lassen ihn mit aufsteigen und auf und
davon fliegen. Als sie über drei Gebirge geflogen sind, wacht die Samovile
auf und ruft nach ihrem gespenstischen Pferde, das sie aber nun nicht mehr
einholen und befreien kann. Zu Hause angekommen, verbrennt der Hirte sofort
das gefährliche Hemd, und "so blieben sie zusammen und bekamen Töchter,
eine schöner als die andere, und von diesen Töchtern kommen die schönsten
Frauen auf die Welt bis auf den heutigen Tag."

Derartige ätiologische Schlüsse sind häufig im Bulgarischen, meist haben
sie sogar greifbarere Gestalt. So schließt das oben erwähnte Märchen von
dem teuflischen Diakonus damit, daß der Bösewicht aufplatzt und lauter Mäuse
aus ihm herauskommen, die sich nun als Schadenstifter über die ganze Welt
verbreiten. Ein anderes Märchen bewegt sich um die Gestalt des h. Georg
(des christlichen Perseus) und läßt ihn eine weite Reise auf einem wunderbaren
Vogel machen, den er schließlich mit dem Fleische seiner Fußsohlen füttern muß.
"Drum sind von jener Zeit an die Fußsohlen der Menschen zwischen den Zehen
und der Ferse wie kleine ausgehöhlte Tröge." Zum Schluß bestraft er noch
seine ungetreuen Brüder, indem er sie nötigt, ihre Hände in einen Baumspalt



*) Wohl ein Zug aus der morgenländischen Sage vom König Salomo.
Volksmärchen der Bulgaren

erzählen. Ein Samovilen-Motiv, das auffallend an Hagens Erlebnis mit den
Meerfrauen in unserm Nibelungenliede erinnert, ist in eine bulgarische Geschichte
eingeflochten, die wieder nahe Beziehungen zu andern Märchen der Weltliteratur
aufweist. Ein Hirt sieht drei schöne Mädchen baden und wünscht eine von
ihnen zur Gemahlin. Da er ihrer nicht anders habhaft werden kann, so nimmt
er ihnen ihre Hemden weg und gibt sie erst unter der Bedingung zurück, daß
eine von ihnen die Seine werde. Kein Bitten und keine Warnungen vor dem
Spott der Leute können ihn von seinem Verlangen abbringen und so bleibt
schließlich die jüngste als Frau bei ihm. Die Schwestern aber, die es gut mit
dem Hirten meinen, warnen ihn davor, der Braut jemals ihr Hemd wieder¬
zugeben. Nach einem Jahre aber, bei einer Hochzeitsfeier, weiß sie es ihn:
doch abzuschmeicheln. „Als nun die Samovile zum Tanz antrat und den
Samovilenreigen tanzte, blieben alle Hochzeitsgäste, groß und klein, vor Ver¬
wunderung starr stehen. Die Samovile aber, als der Tanz zu Ende war, ging
zu ihrem Mann, faßte ihn bei der Hand und sagte: lebe wohl, mein Hausherr!"
Damit fliegt sie durch den Rauchfang und hinterläßt dem Gatten nur den einen
Trost, daß er sie in einem fernen Dorfe wiederfinden könne. Nach unendlichen
Schwierigkeiten erfährt er beim Zaren der Vögel, wo das Dorf liegt: die
Elster, die auf den Ruf des Zaren zu spat erscheint, hat es entdeckt. Die
Samovilen haben den Vogel eingespannt, Strohblumen zu dreschen und eine
hat ihm dabei auf den Fuß getreten, darum kommt sie so spät! *) Auf Befehl
des Königs befördert ihn denn auch ein Adler in die Nähe seiner Frau, die
gerade ausgegangen ist. Die Schwestern sind bereit ihm zu helfen, binden die
Schlafende auf einen fliegenden Sattel, lassen ihn mit aufsteigen und auf und
davon fliegen. Als sie über drei Gebirge geflogen sind, wacht die Samovile
auf und ruft nach ihrem gespenstischen Pferde, das sie aber nun nicht mehr
einholen und befreien kann. Zu Hause angekommen, verbrennt der Hirte sofort
das gefährliche Hemd, und „so blieben sie zusammen und bekamen Töchter,
eine schöner als die andere, und von diesen Töchtern kommen die schönsten
Frauen auf die Welt bis auf den heutigen Tag."

Derartige ätiologische Schlüsse sind häufig im Bulgarischen, meist haben
sie sogar greifbarere Gestalt. So schließt das oben erwähnte Märchen von
dem teuflischen Diakonus damit, daß der Bösewicht aufplatzt und lauter Mäuse
aus ihm herauskommen, die sich nun als Schadenstifter über die ganze Welt
verbreiten. Ein anderes Märchen bewegt sich um die Gestalt des h. Georg
(des christlichen Perseus) und läßt ihn eine weite Reise auf einem wunderbaren
Vogel machen, den er schließlich mit dem Fleische seiner Fußsohlen füttern muß.
„Drum sind von jener Zeit an die Fußsohlen der Menschen zwischen den Zehen
und der Ferse wie kleine ausgehöhlte Tröge." Zum Schluß bestraft er noch
seine ungetreuen Brüder, indem er sie nötigt, ihre Hände in einen Baumspalt



*) Wohl ein Zug aus der morgenländischen Sage vom König Salomo.
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[0043] Volksmärchen der Bulgaren erzählen. Ein Samovilen-Motiv, das auffallend an Hagens Erlebnis mit den Meerfrauen in unserm Nibelungenliede erinnert, ist in eine bulgarische Geschichte eingeflochten, die wieder nahe Beziehungen zu andern Märchen der Weltliteratur aufweist. Ein Hirt sieht drei schöne Mädchen baden und wünscht eine von ihnen zur Gemahlin. Da er ihrer nicht anders habhaft werden kann, so nimmt er ihnen ihre Hemden weg und gibt sie erst unter der Bedingung zurück, daß eine von ihnen die Seine werde. Kein Bitten und keine Warnungen vor dem Spott der Leute können ihn von seinem Verlangen abbringen und so bleibt schließlich die jüngste als Frau bei ihm. Die Schwestern aber, die es gut mit dem Hirten meinen, warnen ihn davor, der Braut jemals ihr Hemd wieder¬ zugeben. Nach einem Jahre aber, bei einer Hochzeitsfeier, weiß sie es ihn: doch abzuschmeicheln. „Als nun die Samovile zum Tanz antrat und den Samovilenreigen tanzte, blieben alle Hochzeitsgäste, groß und klein, vor Ver¬ wunderung starr stehen. Die Samovile aber, als der Tanz zu Ende war, ging zu ihrem Mann, faßte ihn bei der Hand und sagte: lebe wohl, mein Hausherr!" Damit fliegt sie durch den Rauchfang und hinterläßt dem Gatten nur den einen Trost, daß er sie in einem fernen Dorfe wiederfinden könne. Nach unendlichen Schwierigkeiten erfährt er beim Zaren der Vögel, wo das Dorf liegt: die Elster, die auf den Ruf des Zaren zu spat erscheint, hat es entdeckt. Die Samovilen haben den Vogel eingespannt, Strohblumen zu dreschen und eine hat ihm dabei auf den Fuß getreten, darum kommt sie so spät! *) Auf Befehl des Königs befördert ihn denn auch ein Adler in die Nähe seiner Frau, die gerade ausgegangen ist. Die Schwestern sind bereit ihm zu helfen, binden die Schlafende auf einen fliegenden Sattel, lassen ihn mit aufsteigen und auf und davon fliegen. Als sie über drei Gebirge geflogen sind, wacht die Samovile auf und ruft nach ihrem gespenstischen Pferde, das sie aber nun nicht mehr einholen und befreien kann. Zu Hause angekommen, verbrennt der Hirte sofort das gefährliche Hemd, und „so blieben sie zusammen und bekamen Töchter, eine schöner als die andere, und von diesen Töchtern kommen die schönsten Frauen auf die Welt bis auf den heutigen Tag." Derartige ätiologische Schlüsse sind häufig im Bulgarischen, meist haben sie sogar greifbarere Gestalt. So schließt das oben erwähnte Märchen von dem teuflischen Diakonus damit, daß der Bösewicht aufplatzt und lauter Mäuse aus ihm herauskommen, die sich nun als Schadenstifter über die ganze Welt verbreiten. Ein anderes Märchen bewegt sich um die Gestalt des h. Georg (des christlichen Perseus) und läßt ihn eine weite Reise auf einem wunderbaren Vogel machen, den er schließlich mit dem Fleische seiner Fußsohlen füttern muß. „Drum sind von jener Zeit an die Fußsohlen der Menschen zwischen den Zehen und der Ferse wie kleine ausgehöhlte Tröge." Zum Schluß bestraft er noch seine ungetreuen Brüder, indem er sie nötigt, ihre Hände in einen Baumspalt *) Wohl ein Zug aus der morgenländischen Sage vom König Salomo.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/43>, abgerufen am 21.05.2024.