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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Kationalkirchliche Phantasien eines Engländers

Zweifel, unter ihren Laien würden sich alsbald diejenigen von ihnen absondern,
die am Vaticanum festhalten und ihrer alten Kirche mit allen ihren Dogmen
die Treue bewahren. Die abtrünnigen Bischöfe und Geistlichen würden aller
Wahrscheinlichkeit nach Feldherren ohne Heere sein und über kurz oder lang
wieder in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückzukehren trachten,
wie jene ihrer Vorgänger, die einst der Verkündigung derJnfallibilität widerstrebten.
Das Papsttum bekämpfen, indem man aus seiner Krone den Stein der Unfehl¬
barkeit entfernt, heißt Ketzer sein; die furchtbare Wucht jenes Dogmas besteht
nicht zum wenigsten auch darin, daß es von jedem Katholiken Unterwerfung
fordert oder ihn als unnützes Glied vom Körper der Kirche löst. 3ub äoZmate
inkallibiliwtiZ sit cattiolicus aut non sit, -- hat das nicht die Bewegung
des Altkatholizismus schmerzlich erfahren? Weiterhin aber, Sheridan unter¬
schätzt mit einer Art halsbrecherischen Leichtsinns die starke Kraft der gemein¬
samen Einrichtungen in Kultus und Verfassung, der gemeinsamen Kirchensprache
und der gemeinsamen Traditionen, der persönlichen Beziehungen sonder Zahl,
die den Katholiken einerlei welcher Nation und Lebensstellung mit der Gesamt¬
heit aller übrigen Katholiken zusammenschweißen. Er erhofft für sein Ziel die
Unterstützung durch die russische Kirche, deren Haltung während des Weltkrieges
ihm Worte der Bewunderung entlockt. Wie er sich diese Unterstützung denkt,
wird wohlweislich verschwiegen; nur das Endergebnis ist durch die schillernde
Phrase von der Wiederherstellung des Gleichgewichts der östlichen und der west¬
lichen Kirche angedeutet. Ist schon das Wort vom Gleichgewicht unter den
Staaten des festländischen Europa längst als der Deckmantel erkannt, unter dem
England die Ausnutzung seiner Herrschaft in der Welt bewerkstelligte, gleich
als ob es nicht erlaubt wäre, ein Gleichgewicht unter den Weltmächten auf dem
ganzen Erdenrund zu fordern, so erscheint das Verlangen nach einem Gleich¬
gewicht der Kirchen des Ostens und des Westens deshalb in sich selbst wider¬
sinnig, weil auch protestantische Kirchen bestehen, weil der Islam und die sog.
heidnischen Religionen Daseinsberechtigung haben. Sheridan dekretiert: die
russische Kirche wird die neuen Nationalkirchen fördern, -- schade, daß seine
Stimme verhallen wird wie die des Predigers in der Wüste. Der Gegensatz
zwischen der griechisch-katholischen Kirche und der römisch-katholischen nach
Glauben, Kultur, Recht ist so alt, so tief eingewurzelt, so unüberbrückbar, daß
bisher alle Wiedervereinigungsversuche gescheitert sind und scheitern mußten;
man braucht etwa nur Döllingers Vorträge über "die Wiedervereinigung
der christlichen Kirchen" oder diejenigen Harnacks über "das Wesen des
Christentums" mit ihrer Würdigung seiner verschiedenen Formen zu lesen, um
aus ihrem Tiefsinn und Weitblick abzuleiten, daß dem Worte von der Unter¬
stützung katholischer Kirchen -- und das sollen doch jene neuen Nationalkirchen
bleiben -- durch die griechisch-katholische nur das Gewicht eines Staubkorns
zuzumessen ist. Für Sheridan verschlägt geschichtliche Erinnerung wenig, so sehr
er sich mit der Schülerweisheit brüstet, daß Konstantinopel im Jahre 1453


Kationalkirchliche Phantasien eines Engländers

Zweifel, unter ihren Laien würden sich alsbald diejenigen von ihnen absondern,
die am Vaticanum festhalten und ihrer alten Kirche mit allen ihren Dogmen
die Treue bewahren. Die abtrünnigen Bischöfe und Geistlichen würden aller
Wahrscheinlichkeit nach Feldherren ohne Heere sein und über kurz oder lang
wieder in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückzukehren trachten,
wie jene ihrer Vorgänger, die einst der Verkündigung derJnfallibilität widerstrebten.
Das Papsttum bekämpfen, indem man aus seiner Krone den Stein der Unfehl¬
barkeit entfernt, heißt Ketzer sein; die furchtbare Wucht jenes Dogmas besteht
nicht zum wenigsten auch darin, daß es von jedem Katholiken Unterwerfung
fordert oder ihn als unnützes Glied vom Körper der Kirche löst. 3ub äoZmate
inkallibiliwtiZ sit cattiolicus aut non sit, — hat das nicht die Bewegung
des Altkatholizismus schmerzlich erfahren? Weiterhin aber, Sheridan unter¬
schätzt mit einer Art halsbrecherischen Leichtsinns die starke Kraft der gemein¬
samen Einrichtungen in Kultus und Verfassung, der gemeinsamen Kirchensprache
und der gemeinsamen Traditionen, der persönlichen Beziehungen sonder Zahl,
die den Katholiken einerlei welcher Nation und Lebensstellung mit der Gesamt¬
heit aller übrigen Katholiken zusammenschweißen. Er erhofft für sein Ziel die
Unterstützung durch die russische Kirche, deren Haltung während des Weltkrieges
ihm Worte der Bewunderung entlockt. Wie er sich diese Unterstützung denkt,
wird wohlweislich verschwiegen; nur das Endergebnis ist durch die schillernde
Phrase von der Wiederherstellung des Gleichgewichts der östlichen und der west¬
lichen Kirche angedeutet. Ist schon das Wort vom Gleichgewicht unter den
Staaten des festländischen Europa längst als der Deckmantel erkannt, unter dem
England die Ausnutzung seiner Herrschaft in der Welt bewerkstelligte, gleich
als ob es nicht erlaubt wäre, ein Gleichgewicht unter den Weltmächten auf dem
ganzen Erdenrund zu fordern, so erscheint das Verlangen nach einem Gleich¬
gewicht der Kirchen des Ostens und des Westens deshalb in sich selbst wider¬
sinnig, weil auch protestantische Kirchen bestehen, weil der Islam und die sog.
heidnischen Religionen Daseinsberechtigung haben. Sheridan dekretiert: die
russische Kirche wird die neuen Nationalkirchen fördern, — schade, daß seine
Stimme verhallen wird wie die des Predigers in der Wüste. Der Gegensatz
zwischen der griechisch-katholischen Kirche und der römisch-katholischen nach
Glauben, Kultur, Recht ist so alt, so tief eingewurzelt, so unüberbrückbar, daß
bisher alle Wiedervereinigungsversuche gescheitert sind und scheitern mußten;
man braucht etwa nur Döllingers Vorträge über „die Wiedervereinigung
der christlichen Kirchen" oder diejenigen Harnacks über „das Wesen des
Christentums" mit ihrer Würdigung seiner verschiedenen Formen zu lesen, um
aus ihrem Tiefsinn und Weitblick abzuleiten, daß dem Worte von der Unter¬
stützung katholischer Kirchen — und das sollen doch jene neuen Nationalkirchen
bleiben — durch die griechisch-katholische nur das Gewicht eines Staubkorns
zuzumessen ist. Für Sheridan verschlägt geschichtliche Erinnerung wenig, so sehr
er sich mit der Schülerweisheit brüstet, daß Konstantinopel im Jahre 1453


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/83>, abgerufen am 14.06.2024.