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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Nationalkirchliche Phantasien eines Engländers

von den Türken erobert wurde; er gleicht jenen zahlreichen Skribenten, die
ihren kleinen Gedankenblitzen Beachtung, Durchführung wünschen, ohne darüber
klar zu sein, daß im Leben der Völker als unvergängliches Gebilde die Vergangenheit
nachwirkt, wie auch unsere Zeit dermaleinst Vergangenheit sein wird. Gerade von
Bauwerken wie sie alle Kirchen, eine jede in ihrer Art darstellen, von Bauwerken, an
denen die Jahrhunderte schufen, um sich für ihre religiösen Bedürfnisse schirmende
Heimstätten zu errichten, gilt das Wort Jakob Grimms, daß über diejenigen,
welche nichts von der Vergangenheit wissen wollen, sehr bald auch die Zukunft
den Stab brechen wird. Zugegeben felbst, daß im Fluß historischen Geschehens
die Kraft des historischen Besinnens sich abschwächt, wer Fragen aufwirft von
der Tragweite, von der Schwere, von dem Ernste wie die, in welchem Augen¬
blicke, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln Nationalkirchen
erstehen können, gerade ein solcher Mann sollte sich nicht derartige Blößen
geben, wie Sheridan es getan hat.

Ebendeshalb, so wird man einwenden, lohnte es nicht der Mühe, den
Phantasmagorien jenes Artikels im .MnetesntK Lentury" entgegenzutreten;
Utopien, wird es heißen, widerlegten sich selbst durch ihre Undurchführbarst.
Unser Gedankengang war ein anderer. Sheridans Aufsatz bezeugt zu seinem
Teil nicht zuletzt die Vielgestaltigkeit der Begleiterscheinungen des Krieges, der
eine Welt umzuwandeln sich anschickt. Die gemeinsamen Institutionen, die vor¬
dem die Menschen einander näherten, sind außer Kraft gesetzt, seitdem ein Volk
der weißen Rasse gegen einen Nebenbuhler die Stämme der Schwarzen und
Gelben aufbot, seitdem es die Glocke der Lüge und der Verleumdung ertönen
ließ, um einer angemaßten Sittlichkeit und oft genug zur Schau getragenen
Vornehmheit den Abschied zu geben. Die Unterschiede der Staatenformen
trennen nicht mehr die Völker wie einst, seitdem das aristokratische England sich
mit dem zarischen Rußland und dem poincaristischen Frankreich verbunden hat,
ganz abgesehen von seinen Trabanten in Portugal, Italien und Serbien. Das
stolze England, das einst den König hinrichtete, weil er zum Katholizismus
neigte, ist der Genosse des katholischen Frankreichs und des griechisch-katholischen
Rußlands. Wie kann es uns Deutschen vorwerfen, daß wir uns mit Österreich,
Bulgarien und der Türkei verbanden? Wir planen keine Umgestaltung der
kirchlichen Organisation der Welt, sondern Erhaltung der bestehenden, weil wir
nicht auch sie in den Strudel der Waffenkämpfe gezogen wünschen. Als Schild
und Schirm stellen wir uns vor die evangelische und die römisch-katholische
Kirche, weil beide in unserem Volke verankert sind, und überlassen es dem
Walten und Weben gesamtvölkischer Erlebnisse, die Glaubensunterschiede bestehen
zu lassen und gleichwohl gemeinsames sittliches Streben zu adeln.*) Wir glauben
nicht an die werbende Kraft jenes Rufes nach je einer französischen, einer



*) Vgl. die Rede des Bischofs von Speyer, Michael von Faulhaber, am 19. März 1915
(Germania vom 20. März 1916, Beilage Ur. 67; H. F. Helmolt, Das Buch vom Kriege,
Berlin o. I,, S, 3S9 ff.).
Nationalkirchliche Phantasien eines Engländers

von den Türken erobert wurde; er gleicht jenen zahlreichen Skribenten, die
ihren kleinen Gedankenblitzen Beachtung, Durchführung wünschen, ohne darüber
klar zu sein, daß im Leben der Völker als unvergängliches Gebilde die Vergangenheit
nachwirkt, wie auch unsere Zeit dermaleinst Vergangenheit sein wird. Gerade von
Bauwerken wie sie alle Kirchen, eine jede in ihrer Art darstellen, von Bauwerken, an
denen die Jahrhunderte schufen, um sich für ihre religiösen Bedürfnisse schirmende
Heimstätten zu errichten, gilt das Wort Jakob Grimms, daß über diejenigen,
welche nichts von der Vergangenheit wissen wollen, sehr bald auch die Zukunft
den Stab brechen wird. Zugegeben felbst, daß im Fluß historischen Geschehens
die Kraft des historischen Besinnens sich abschwächt, wer Fragen aufwirft von
der Tragweite, von der Schwere, von dem Ernste wie die, in welchem Augen¬
blicke, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln Nationalkirchen
erstehen können, gerade ein solcher Mann sollte sich nicht derartige Blößen
geben, wie Sheridan es getan hat.

Ebendeshalb, so wird man einwenden, lohnte es nicht der Mühe, den
Phantasmagorien jenes Artikels im .MnetesntK Lentury" entgegenzutreten;
Utopien, wird es heißen, widerlegten sich selbst durch ihre Undurchführbarst.
Unser Gedankengang war ein anderer. Sheridans Aufsatz bezeugt zu seinem
Teil nicht zuletzt die Vielgestaltigkeit der Begleiterscheinungen des Krieges, der
eine Welt umzuwandeln sich anschickt. Die gemeinsamen Institutionen, die vor¬
dem die Menschen einander näherten, sind außer Kraft gesetzt, seitdem ein Volk
der weißen Rasse gegen einen Nebenbuhler die Stämme der Schwarzen und
Gelben aufbot, seitdem es die Glocke der Lüge und der Verleumdung ertönen
ließ, um einer angemaßten Sittlichkeit und oft genug zur Schau getragenen
Vornehmheit den Abschied zu geben. Die Unterschiede der Staatenformen
trennen nicht mehr die Völker wie einst, seitdem das aristokratische England sich
mit dem zarischen Rußland und dem poincaristischen Frankreich verbunden hat,
ganz abgesehen von seinen Trabanten in Portugal, Italien und Serbien. Das
stolze England, das einst den König hinrichtete, weil er zum Katholizismus
neigte, ist der Genosse des katholischen Frankreichs und des griechisch-katholischen
Rußlands. Wie kann es uns Deutschen vorwerfen, daß wir uns mit Österreich,
Bulgarien und der Türkei verbanden? Wir planen keine Umgestaltung der
kirchlichen Organisation der Welt, sondern Erhaltung der bestehenden, weil wir
nicht auch sie in den Strudel der Waffenkämpfe gezogen wünschen. Als Schild
und Schirm stellen wir uns vor die evangelische und die römisch-katholische
Kirche, weil beide in unserem Volke verankert sind, und überlassen es dem
Walten und Weben gesamtvölkischer Erlebnisse, die Glaubensunterschiede bestehen
zu lassen und gleichwohl gemeinsames sittliches Streben zu adeln.*) Wir glauben
nicht an die werbende Kraft jenes Rufes nach je einer französischen, einer



*) Vgl. die Rede des Bischofs von Speyer, Michael von Faulhaber, am 19. März 1915
(Germania vom 20. März 1916, Beilage Ur. 67; H. F. Helmolt, Das Buch vom Kriege,
Berlin o. I,, S, 3S9 ff.).
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[0084] Nationalkirchliche Phantasien eines Engländers von den Türken erobert wurde; er gleicht jenen zahlreichen Skribenten, die ihren kleinen Gedankenblitzen Beachtung, Durchführung wünschen, ohne darüber klar zu sein, daß im Leben der Völker als unvergängliches Gebilde die Vergangenheit nachwirkt, wie auch unsere Zeit dermaleinst Vergangenheit sein wird. Gerade von Bauwerken wie sie alle Kirchen, eine jede in ihrer Art darstellen, von Bauwerken, an denen die Jahrhunderte schufen, um sich für ihre religiösen Bedürfnisse schirmende Heimstätten zu errichten, gilt das Wort Jakob Grimms, daß über diejenigen, welche nichts von der Vergangenheit wissen wollen, sehr bald auch die Zukunft den Stab brechen wird. Zugegeben felbst, daß im Fluß historischen Geschehens die Kraft des historischen Besinnens sich abschwächt, wer Fragen aufwirft von der Tragweite, von der Schwere, von dem Ernste wie die, in welchem Augen¬ blicke, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln Nationalkirchen erstehen können, gerade ein solcher Mann sollte sich nicht derartige Blößen geben, wie Sheridan es getan hat. Ebendeshalb, so wird man einwenden, lohnte es nicht der Mühe, den Phantasmagorien jenes Artikels im .MnetesntK Lentury" entgegenzutreten; Utopien, wird es heißen, widerlegten sich selbst durch ihre Undurchführbarst. Unser Gedankengang war ein anderer. Sheridans Aufsatz bezeugt zu seinem Teil nicht zuletzt die Vielgestaltigkeit der Begleiterscheinungen des Krieges, der eine Welt umzuwandeln sich anschickt. Die gemeinsamen Institutionen, die vor¬ dem die Menschen einander näherten, sind außer Kraft gesetzt, seitdem ein Volk der weißen Rasse gegen einen Nebenbuhler die Stämme der Schwarzen und Gelben aufbot, seitdem es die Glocke der Lüge und der Verleumdung ertönen ließ, um einer angemaßten Sittlichkeit und oft genug zur Schau getragenen Vornehmheit den Abschied zu geben. Die Unterschiede der Staatenformen trennen nicht mehr die Völker wie einst, seitdem das aristokratische England sich mit dem zarischen Rußland und dem poincaristischen Frankreich verbunden hat, ganz abgesehen von seinen Trabanten in Portugal, Italien und Serbien. Das stolze England, das einst den König hinrichtete, weil er zum Katholizismus neigte, ist der Genosse des katholischen Frankreichs und des griechisch-katholischen Rußlands. Wie kann es uns Deutschen vorwerfen, daß wir uns mit Österreich, Bulgarien und der Türkei verbanden? Wir planen keine Umgestaltung der kirchlichen Organisation der Welt, sondern Erhaltung der bestehenden, weil wir nicht auch sie in den Strudel der Waffenkämpfe gezogen wünschen. Als Schild und Schirm stellen wir uns vor die evangelische und die römisch-katholische Kirche, weil beide in unserem Volke verankert sind, und überlassen es dem Walten und Weben gesamtvölkischer Erlebnisse, die Glaubensunterschiede bestehen zu lassen und gleichwohl gemeinsames sittliches Streben zu adeln.*) Wir glauben nicht an die werbende Kraft jenes Rufes nach je einer französischen, einer *) Vgl. die Rede des Bischofs von Speyer, Michael von Faulhaber, am 19. März 1915 (Germania vom 20. März 1916, Beilage Ur. 67; H. F. Helmolt, Das Buch vom Kriege, Berlin o. I,, S, 3S9 ff.).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/84>, abgerufen am 14.06.2024.