Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

gehalten. Haupt^) u> Mommsen kamen dazu von Berlin, von uns Härtel/4)
Hirzel^) und ich. Auch er war citirt. Haupt übernahm es, ihn zu zerknirschen
und er that das in seiner großartigen Weise, denn wie später herauskam, als
Klee seine verzweifelten pecuniären Verhältnisse als einen Grund seiner Desperation
angab, räumte Haupt ganz in der Stille diesen Grund für einige Zeit weg.
Damals versprach er das Beste an seine alten Freunde. Aber ihm fehlt die
Kraft. Seine ursprüngliche Wunde ist unsicheres Selbstgefühl. Er ist ein ordent¬
licher Philologe, hat aber in früheren Jahren nie den Entschluß gewinnen
können, etwas Ordentliches zu schreiben. Das drückte ihn mehr u. mehr. Die
ihm gleich gewesen waren, wurden namhafte Männer, er steifte sich trotzig auf
sein Dociren in der Schule, und kam in das Trödeln. Jetzt ist er nicht mehr
im Stand, etwas Zusammenhängendes zu unternehmen. Hirzel, der diesen
Grund seiner Erschlaffung sehr wohl kennt, hat sich die größte Mühe gegeben,
ihn zur Uebernahme einer literarischen Arbeit zu veranlassen, die ihm eine
Befriedigung geben könnte. Wir haben uns den Kopf zerbrochen, was man
ihm oktroyiren könnte, er hat Alles von der Hand gewiesen. Es ist ein sehr
großes Unglück. Und ich kann auch von einem Herausreißen nichts Gutes
erwarten. Er selbst meinte, wenn er nach Leipzig, in andere Kreise käme, das
würde ihn heilen. Aber er würde in Leipzig bald ebenso seine Trinkstunden
finden, an Gelegenheit festes nicht. Und wenn er nach Holstein ginge, (in
welcher Eigenschaft?) ich bin überzeugt, das Angeordnete dieser neuen Lage
würde ihn nur noch tiefer in die alte Leidenschaft hineinwerfen. Allerdings ist
das Einzige, was ihn vielleicht noch retten kann, eine große Aufgabe für sein
Leben, die ihn unablässig spornt u. spannt. Aber wo die finden? Wenn die
Sorge für seine lieben Kleinen nicht stark genug ist?

Doch wie gering die Hoffnung, ich will veranlassen, daß seine ältesten
Freunde noch einmal mit ihm in Berathung treten. Unterdeß bitte, solange
es Ihnen möglich ist, lassen auch Sie ihn nicht fallen. Ich weiß sehr gut
welch großen Werth für ihn die Freundlichkeit hat, die Sie ihm erwiesen
haben. Er spricht mir jedesmal davon.

Unsere politische Herzenssache hat günstigeres Aussehn gewonnen. Der
Reichstag der Dänen geschlossen ohne Zurücknahme irgendwelcher Art, u. in
14 Tagen Anerkennung des Herzogs durch die Majorität des Bundes. Baden
u. Waldeck haben Militärconventionen mit S. H. geschlossen. Baden giebt
Monturen etc. u. in seinem Lande Terrain für ein Barackenlager von port.
6000 Mann zur Ausbildg. der Unteroffiziere und Formation der Grundlagen.
Aehnliches in Waldeck u. Gotha in kleinerem Maßstabe. Das hat hier große
Freude u. neue Hoffnung gemacht. Und man hofft, daß der Herz, in 3 Wochen
als anerkannter Herr in sein Land ziehen wird.



^) Moritz Haupt, der Philologe. ^) Verleger. ^) Salomon Hirzel, Freytags Verleger
und Freund.
Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

gehalten. Haupt^) u> Mommsen kamen dazu von Berlin, von uns Härtel/4)
Hirzel^) und ich. Auch er war citirt. Haupt übernahm es, ihn zu zerknirschen
und er that das in seiner großartigen Weise, denn wie später herauskam, als
Klee seine verzweifelten pecuniären Verhältnisse als einen Grund seiner Desperation
angab, räumte Haupt ganz in der Stille diesen Grund für einige Zeit weg.
Damals versprach er das Beste an seine alten Freunde. Aber ihm fehlt die
Kraft. Seine ursprüngliche Wunde ist unsicheres Selbstgefühl. Er ist ein ordent¬
licher Philologe, hat aber in früheren Jahren nie den Entschluß gewinnen
können, etwas Ordentliches zu schreiben. Das drückte ihn mehr u. mehr. Die
ihm gleich gewesen waren, wurden namhafte Männer, er steifte sich trotzig auf
sein Dociren in der Schule, und kam in das Trödeln. Jetzt ist er nicht mehr
im Stand, etwas Zusammenhängendes zu unternehmen. Hirzel, der diesen
Grund seiner Erschlaffung sehr wohl kennt, hat sich die größte Mühe gegeben,
ihn zur Uebernahme einer literarischen Arbeit zu veranlassen, die ihm eine
Befriedigung geben könnte. Wir haben uns den Kopf zerbrochen, was man
ihm oktroyiren könnte, er hat Alles von der Hand gewiesen. Es ist ein sehr
großes Unglück. Und ich kann auch von einem Herausreißen nichts Gutes
erwarten. Er selbst meinte, wenn er nach Leipzig, in andere Kreise käme, das
würde ihn heilen. Aber er würde in Leipzig bald ebenso seine Trinkstunden
finden, an Gelegenheit festes nicht. Und wenn er nach Holstein ginge, (in
welcher Eigenschaft?) ich bin überzeugt, das Angeordnete dieser neuen Lage
würde ihn nur noch tiefer in die alte Leidenschaft hineinwerfen. Allerdings ist
das Einzige, was ihn vielleicht noch retten kann, eine große Aufgabe für sein
Leben, die ihn unablässig spornt u. spannt. Aber wo die finden? Wenn die
Sorge für seine lieben Kleinen nicht stark genug ist?

Doch wie gering die Hoffnung, ich will veranlassen, daß seine ältesten
Freunde noch einmal mit ihm in Berathung treten. Unterdeß bitte, solange
es Ihnen möglich ist, lassen auch Sie ihn nicht fallen. Ich weiß sehr gut
welch großen Werth für ihn die Freundlichkeit hat, die Sie ihm erwiesen
haben. Er spricht mir jedesmal davon.

Unsere politische Herzenssache hat günstigeres Aussehn gewonnen. Der
Reichstag der Dänen geschlossen ohne Zurücknahme irgendwelcher Art, u. in
14 Tagen Anerkennung des Herzogs durch die Majorität des Bundes. Baden
u. Waldeck haben Militärconventionen mit S. H. geschlossen. Baden giebt
Monturen etc. u. in seinem Lande Terrain für ein Barackenlager von port.
6000 Mann zur Ausbildg. der Unteroffiziere und Formation der Grundlagen.
Aehnliches in Waldeck u. Gotha in kleinerem Maßstabe. Das hat hier große
Freude u. neue Hoffnung gemacht. Und man hofft, daß der Herz, in 3 Wochen
als anerkannter Herr in sein Land ziehen wird.



^) Moritz Haupt, der Philologe. ^) Verleger. ^) Salomon Hirzel, Freytags Verleger
und Freund.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330670"/>
            <fw type="header" place="top"> Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_442" prev="#ID_441"> gehalten. Haupt^) u&gt; Mommsen kamen dazu von Berlin, von uns Härtel/4)<lb/>
Hirzel^) und ich. Auch er war citirt. Haupt übernahm es, ihn zu zerknirschen<lb/>
und er that das in seiner großartigen Weise, denn wie später herauskam, als<lb/>
Klee seine verzweifelten pecuniären Verhältnisse als einen Grund seiner Desperation<lb/>
angab, räumte Haupt ganz in der Stille diesen Grund für einige Zeit weg.<lb/>
Damals versprach er das Beste an seine alten Freunde. Aber ihm fehlt die<lb/>
Kraft. Seine ursprüngliche Wunde ist unsicheres Selbstgefühl. Er ist ein ordent¬<lb/>
licher Philologe, hat aber in früheren Jahren nie den Entschluß gewinnen<lb/>
können, etwas Ordentliches zu schreiben. Das drückte ihn mehr u. mehr. Die<lb/>
ihm gleich gewesen waren, wurden namhafte Männer, er steifte sich trotzig auf<lb/>
sein Dociren in der Schule, und kam in das Trödeln. Jetzt ist er nicht mehr<lb/>
im Stand, etwas Zusammenhängendes zu unternehmen. Hirzel, der diesen<lb/>
Grund seiner Erschlaffung sehr wohl kennt, hat sich die größte Mühe gegeben,<lb/>
ihn zur Uebernahme einer literarischen Arbeit zu veranlassen, die ihm eine<lb/>
Befriedigung geben könnte. Wir haben uns den Kopf zerbrochen, was man<lb/>
ihm oktroyiren könnte, er hat Alles von der Hand gewiesen. Es ist ein sehr<lb/>
großes Unglück. Und ich kann auch von einem Herausreißen nichts Gutes<lb/>
erwarten. Er selbst meinte, wenn er nach Leipzig, in andere Kreise käme, das<lb/>
würde ihn heilen. Aber er würde in Leipzig bald ebenso seine Trinkstunden<lb/>
finden, an Gelegenheit festes nicht. Und wenn er nach Holstein ginge, (in<lb/>
welcher Eigenschaft?) ich bin überzeugt, das Angeordnete dieser neuen Lage<lb/>
würde ihn nur noch tiefer in die alte Leidenschaft hineinwerfen. Allerdings ist<lb/>
das Einzige, was ihn vielleicht noch retten kann, eine große Aufgabe für sein<lb/>
Leben, die ihn unablässig spornt u. spannt. Aber wo die finden? Wenn die<lb/>
Sorge für seine lieben Kleinen nicht stark genug ist?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_443"> Doch wie gering die Hoffnung, ich will veranlassen, daß seine ältesten<lb/>
Freunde noch einmal mit ihm in Berathung treten. Unterdeß bitte, solange<lb/>
es Ihnen möglich ist, lassen auch Sie ihn nicht fallen. Ich weiß sehr gut<lb/>
welch großen Werth für ihn die Freundlichkeit hat, die Sie ihm erwiesen<lb/>
haben.  Er spricht mir jedesmal davon.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_444"> Unsere politische Herzenssache hat günstigeres Aussehn gewonnen. Der<lb/>
Reichstag der Dänen geschlossen ohne Zurücknahme irgendwelcher Art, u. in<lb/>
14 Tagen Anerkennung des Herzogs durch die Majorität des Bundes. Baden<lb/>
u. Waldeck haben Militärconventionen mit S. H. geschlossen. Baden giebt<lb/>
Monturen etc. u. in seinem Lande Terrain für ein Barackenlager von port.<lb/>
6000 Mann zur Ausbildg. der Unteroffiziere und Formation der Grundlagen.<lb/>
Aehnliches in Waldeck u. Gotha in kleinerem Maßstabe. Das hat hier große<lb/>
Freude u. neue Hoffnung gemacht. Und man hofft, daß der Herz, in 3 Wochen<lb/>
als anerkannter Herr in sein Land ziehen wird.</p><lb/>
            <note xml:id="FID_14" place="foot"> ^) Moritz Haupt, der Philologe. ^) Verleger. ^) Salomon Hirzel, Freytags Verleger<lb/>
und Freund.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin gehalten. Haupt^) u> Mommsen kamen dazu von Berlin, von uns Härtel/4) Hirzel^) und ich. Auch er war citirt. Haupt übernahm es, ihn zu zerknirschen und er that das in seiner großartigen Weise, denn wie später herauskam, als Klee seine verzweifelten pecuniären Verhältnisse als einen Grund seiner Desperation angab, räumte Haupt ganz in der Stille diesen Grund für einige Zeit weg. Damals versprach er das Beste an seine alten Freunde. Aber ihm fehlt die Kraft. Seine ursprüngliche Wunde ist unsicheres Selbstgefühl. Er ist ein ordent¬ licher Philologe, hat aber in früheren Jahren nie den Entschluß gewinnen können, etwas Ordentliches zu schreiben. Das drückte ihn mehr u. mehr. Die ihm gleich gewesen waren, wurden namhafte Männer, er steifte sich trotzig auf sein Dociren in der Schule, und kam in das Trödeln. Jetzt ist er nicht mehr im Stand, etwas Zusammenhängendes zu unternehmen. Hirzel, der diesen Grund seiner Erschlaffung sehr wohl kennt, hat sich die größte Mühe gegeben, ihn zur Uebernahme einer literarischen Arbeit zu veranlassen, die ihm eine Befriedigung geben könnte. Wir haben uns den Kopf zerbrochen, was man ihm oktroyiren könnte, er hat Alles von der Hand gewiesen. Es ist ein sehr großes Unglück. Und ich kann auch von einem Herausreißen nichts Gutes erwarten. Er selbst meinte, wenn er nach Leipzig, in andere Kreise käme, das würde ihn heilen. Aber er würde in Leipzig bald ebenso seine Trinkstunden finden, an Gelegenheit festes nicht. Und wenn er nach Holstein ginge, (in welcher Eigenschaft?) ich bin überzeugt, das Angeordnete dieser neuen Lage würde ihn nur noch tiefer in die alte Leidenschaft hineinwerfen. Allerdings ist das Einzige, was ihn vielleicht noch retten kann, eine große Aufgabe für sein Leben, die ihn unablässig spornt u. spannt. Aber wo die finden? Wenn die Sorge für seine lieben Kleinen nicht stark genug ist? Doch wie gering die Hoffnung, ich will veranlassen, daß seine ältesten Freunde noch einmal mit ihm in Berathung treten. Unterdeß bitte, solange es Ihnen möglich ist, lassen auch Sie ihn nicht fallen. Ich weiß sehr gut welch großen Werth für ihn die Freundlichkeit hat, die Sie ihm erwiesen haben. Er spricht mir jedesmal davon. Unsere politische Herzenssache hat günstigeres Aussehn gewonnen. Der Reichstag der Dänen geschlossen ohne Zurücknahme irgendwelcher Art, u. in 14 Tagen Anerkennung des Herzogs durch die Majorität des Bundes. Baden u. Waldeck haben Militärconventionen mit S. H. geschlossen. Baden giebt Monturen etc. u. in seinem Lande Terrain für ein Barackenlager von port. 6000 Mann zur Ausbildg. der Unteroffiziere und Formation der Grundlagen. Aehnliches in Waldeck u. Gotha in kleinerem Maßstabe. Das hat hier große Freude u. neue Hoffnung gemacht. Und man hofft, daß der Herz, in 3 Wochen als anerkannter Herr in sein Land ziehen wird. ^) Moritz Haupt, der Philologe. ^) Verleger. ^) Salomon Hirzel, Freytags Verleger und Freund.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/132>, abgerufen am 17.06.2024.