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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Volkswille und Kriegführung

fern und fremd gegenüberstehen wie nur möglich, die aber eben deswegen es
für nötig halten, daß wir uns fest um den Kanzler scharen, und die in der
Hauptsache auch seine bisherige Haltung durchaus richtig finden.

Wenn wir das begründen wollen, müssen wir allerdings von einem andern
Ausgangspunkt ausgehen, als die bisherigen Auseinandersetzungen. Es ist
selbstverständlich, daß das deutsche Volk, an einem solchen Wendepunkt seiner
Geschichte angelangt, in der Lage sein muß, selbst bei der Gestaltung seiner
Geschicke mitzusprechen. Es darf nicht eines Tages vor vollendete Tatsachen
gestellt werden, die irgend ein persönlicher Einzelwille, mag er auch noch so
rein und vertrauenswürdig sein, sich zurechtgelegt hat. Das braucht nicht näher
begründet zu werden, denn es ist von allen Parteien anerkannt und entspricht
auch den Zusicherungen des Reichskanzlers selbst. Natürlich sind wir uns alle
darüber klar, daß ein solcher Volkswille Niemals etwas Einheitliches sein kann.
Die Meinungen über das, was nottut, auch sogar über das, was möglich ist,
werden immer auseinandergehen. Trotzdem gibt es Mittel genug, festzustellen,
nach welcher Richtung der stärkste Druck der Volksmeinung geht, in welchen
Punkten sich die meisten und dringendsten Wünsche einigen, und wie eine feste
Grundlage für eine von den besten Kräften in der Nation getragene und
geförderte Lösung zu gewinnen ist. Eine solche Feststellung ist freilich meist
das Ergebnis eines starken Meinungskampfes. Diesen zu fürchten, ist nicht
immer notwendig, ebensowenig aber darf man sich seinen Folgen ohne zwingende
Gründe aussetzen, wenn der Kriegszustand sowohl das Thema des Meinungs¬
austausches als auch die Umstände, unter denen die Erörterung vor sich gehen
kann, in eigenartiger Weise beeinflußt. Der Krieg verträgt sich überhaupt
schlecht mit den Bedürfnissen des Volkswillens. Dieser will sich regen und
entfalten, seine verschiedenen Richtungen wollen sich im Kampf gegeneinander
und in der Reibung aneinander klären und messen. Der Krieg aber hält sich
nur an die einzige Notwendigkeit, daß der Gegner niedergeworfen und sein
uns feindlicher Wille gebrochen werden muß, und dazu können wir auf unserer
Seite nicht einen vielfältigen, sich erst zur Klarheit durcharbeitenden, sondern
nur einen einheitlichen, tatbereiten Willen gebrauchen. Zwischen den Forderungen
der Kriegführung und den Bedürfnissen der dem Volkswillen Rechnung tragenden
modernen Politik besteht ein natürlicher Gegensatz. Wo dieser Gegensatz
ungehemmt hervortreten kann, wird es immer Konflikte geben. Der Krieg ist
ja doch nur "Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln", also selbst Politik;
er verfolgt politische Ziele auf einem Wege, dessen selbstherrliche Natur mit den
sonst gültigen Bedingungen politischer Tätigkeit schlechterdings unvereinbar ist.
Wo ist der Ausweg zu finden?

Als nächste und scheinbar einfachste Möglichkeit bietet sich der Weg der
reinlichen Scheidung der beiden Tätigkeiten, deren Konflikt wir vermeiden
wollen. Möge also für die Kriegführung das einfache Ziel der Niederwerfung
der Feinde bestehen bleiben; unterdessen beraten wir daheim, was wir an


Volkswille und Kriegführung

fern und fremd gegenüberstehen wie nur möglich, die aber eben deswegen es
für nötig halten, daß wir uns fest um den Kanzler scharen, und die in der
Hauptsache auch seine bisherige Haltung durchaus richtig finden.

Wenn wir das begründen wollen, müssen wir allerdings von einem andern
Ausgangspunkt ausgehen, als die bisherigen Auseinandersetzungen. Es ist
selbstverständlich, daß das deutsche Volk, an einem solchen Wendepunkt seiner
Geschichte angelangt, in der Lage sein muß, selbst bei der Gestaltung seiner
Geschicke mitzusprechen. Es darf nicht eines Tages vor vollendete Tatsachen
gestellt werden, die irgend ein persönlicher Einzelwille, mag er auch noch so
rein und vertrauenswürdig sein, sich zurechtgelegt hat. Das braucht nicht näher
begründet zu werden, denn es ist von allen Parteien anerkannt und entspricht
auch den Zusicherungen des Reichskanzlers selbst. Natürlich sind wir uns alle
darüber klar, daß ein solcher Volkswille Niemals etwas Einheitliches sein kann.
Die Meinungen über das, was nottut, auch sogar über das, was möglich ist,
werden immer auseinandergehen. Trotzdem gibt es Mittel genug, festzustellen,
nach welcher Richtung der stärkste Druck der Volksmeinung geht, in welchen
Punkten sich die meisten und dringendsten Wünsche einigen, und wie eine feste
Grundlage für eine von den besten Kräften in der Nation getragene und
geförderte Lösung zu gewinnen ist. Eine solche Feststellung ist freilich meist
das Ergebnis eines starken Meinungskampfes. Diesen zu fürchten, ist nicht
immer notwendig, ebensowenig aber darf man sich seinen Folgen ohne zwingende
Gründe aussetzen, wenn der Kriegszustand sowohl das Thema des Meinungs¬
austausches als auch die Umstände, unter denen die Erörterung vor sich gehen
kann, in eigenartiger Weise beeinflußt. Der Krieg verträgt sich überhaupt
schlecht mit den Bedürfnissen des Volkswillens. Dieser will sich regen und
entfalten, seine verschiedenen Richtungen wollen sich im Kampf gegeneinander
und in der Reibung aneinander klären und messen. Der Krieg aber hält sich
nur an die einzige Notwendigkeit, daß der Gegner niedergeworfen und sein
uns feindlicher Wille gebrochen werden muß, und dazu können wir auf unserer
Seite nicht einen vielfältigen, sich erst zur Klarheit durcharbeitenden, sondern
nur einen einheitlichen, tatbereiten Willen gebrauchen. Zwischen den Forderungen
der Kriegführung und den Bedürfnissen der dem Volkswillen Rechnung tragenden
modernen Politik besteht ein natürlicher Gegensatz. Wo dieser Gegensatz
ungehemmt hervortreten kann, wird es immer Konflikte geben. Der Krieg ist
ja doch nur „Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln", also selbst Politik;
er verfolgt politische Ziele auf einem Wege, dessen selbstherrliche Natur mit den
sonst gültigen Bedingungen politischer Tätigkeit schlechterdings unvereinbar ist.
Wo ist der Ausweg zu finden?

Als nächste und scheinbar einfachste Möglichkeit bietet sich der Weg der
reinlichen Scheidung der beiden Tätigkeiten, deren Konflikt wir vermeiden
wollen. Möge also für die Kriegführung das einfache Ziel der Niederwerfung
der Feinde bestehen bleiben; unterdessen beraten wir daheim, was wir an


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[0144] Volkswille und Kriegführung fern und fremd gegenüberstehen wie nur möglich, die aber eben deswegen es für nötig halten, daß wir uns fest um den Kanzler scharen, und die in der Hauptsache auch seine bisherige Haltung durchaus richtig finden. Wenn wir das begründen wollen, müssen wir allerdings von einem andern Ausgangspunkt ausgehen, als die bisherigen Auseinandersetzungen. Es ist selbstverständlich, daß das deutsche Volk, an einem solchen Wendepunkt seiner Geschichte angelangt, in der Lage sein muß, selbst bei der Gestaltung seiner Geschicke mitzusprechen. Es darf nicht eines Tages vor vollendete Tatsachen gestellt werden, die irgend ein persönlicher Einzelwille, mag er auch noch so rein und vertrauenswürdig sein, sich zurechtgelegt hat. Das braucht nicht näher begründet zu werden, denn es ist von allen Parteien anerkannt und entspricht auch den Zusicherungen des Reichskanzlers selbst. Natürlich sind wir uns alle darüber klar, daß ein solcher Volkswille Niemals etwas Einheitliches sein kann. Die Meinungen über das, was nottut, auch sogar über das, was möglich ist, werden immer auseinandergehen. Trotzdem gibt es Mittel genug, festzustellen, nach welcher Richtung der stärkste Druck der Volksmeinung geht, in welchen Punkten sich die meisten und dringendsten Wünsche einigen, und wie eine feste Grundlage für eine von den besten Kräften in der Nation getragene und geförderte Lösung zu gewinnen ist. Eine solche Feststellung ist freilich meist das Ergebnis eines starken Meinungskampfes. Diesen zu fürchten, ist nicht immer notwendig, ebensowenig aber darf man sich seinen Folgen ohne zwingende Gründe aussetzen, wenn der Kriegszustand sowohl das Thema des Meinungs¬ austausches als auch die Umstände, unter denen die Erörterung vor sich gehen kann, in eigenartiger Weise beeinflußt. Der Krieg verträgt sich überhaupt schlecht mit den Bedürfnissen des Volkswillens. Dieser will sich regen und entfalten, seine verschiedenen Richtungen wollen sich im Kampf gegeneinander und in der Reibung aneinander klären und messen. Der Krieg aber hält sich nur an die einzige Notwendigkeit, daß der Gegner niedergeworfen und sein uns feindlicher Wille gebrochen werden muß, und dazu können wir auf unserer Seite nicht einen vielfältigen, sich erst zur Klarheit durcharbeitenden, sondern nur einen einheitlichen, tatbereiten Willen gebrauchen. Zwischen den Forderungen der Kriegführung und den Bedürfnissen der dem Volkswillen Rechnung tragenden modernen Politik besteht ein natürlicher Gegensatz. Wo dieser Gegensatz ungehemmt hervortreten kann, wird es immer Konflikte geben. Der Krieg ist ja doch nur „Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln", also selbst Politik; er verfolgt politische Ziele auf einem Wege, dessen selbstherrliche Natur mit den sonst gültigen Bedingungen politischer Tätigkeit schlechterdings unvereinbar ist. Wo ist der Ausweg zu finden? Als nächste und scheinbar einfachste Möglichkeit bietet sich der Weg der reinlichen Scheidung der beiden Tätigkeiten, deren Konflikt wir vermeiden wollen. Möge also für die Kriegführung das einfache Ziel der Niederwerfung der Feinde bestehen bleiben; unterdessen beraten wir daheim, was wir an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/144>, abgerufen am 17.06.2024.