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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Volkswille und Kriegführung

Aussprache der verschiedenen Richtungen verursacht werden, der die Kriegführung
selbst bestimmende Wille unberührt bleibt. Sehen wir zu, ob diese Grenze
überall gewahrt wird.

Aus den mancherlei Anschauungen, die über den Krieg und seinen Ausgang
innerhalb der enggezogenen Grenzen laut werden, heben sich besonders die
beiden Extreme heraus. Die einen wollen eine kraftvolle und entschiedene
Ausnutzung der Vorteile, die der dereinstige Sieg in die Hand Deutschlands
legen würde, und manche stürmen dabei sehr temperamentvoll über alle
Hindernisse und Bedenken hinweg. Die andern sehen nur diese Hindernisse
und die Keime neuer, künftiger Verwicklungen; sie fürchten die Nachwirkungen
des gewaltigen Völkerhasses auch sür den Sieger, wollen von den kümmerlichen
Resten internationaler Beziehungen möglichst viel retten und sprechen von
"Verständigung" und einem "unausgefochtenen" Krieg. Es ist aber nicht dabei
geblieben, daß sich die Vertreter dieser entgegengesetzten Anschauungen schroff
gegenüberstehen, sondern sie haben auch die Regierung in den Streit dadurch
hineingezogen, daß sie sie unter Hinweis auf die Zensurgewalt für die einzelnen
Wendungen dieses Streites mit verantwortlich machten, wozu freilich die von
allen Parteien ohne Unterschied bedauerten und gerügten Mißgriffe der Zensur
nur allzu zahlreiche Handhaben boten. Schließlich nahmen die Wortführer der
scharfen Tonart den Standpunkt ein: wenn die Regierung die "Flaumacher"
nicht abschüttele, so bekunde sie damit, daß sie ihnen innerlich nahe stehe. Im
Laufe der an Schärfe zunehmenden Auseinandersetzungen ist es zuletzt sogar
dahin gekommen, daß eine Gruppe der sächsischen Nationalliberalen unter
Führung des Leipziger Historikers Professor Erich Brandenburg an die Adresse
des Reichskanzlers eine Erklärung richtete, die nach ihrem schlichten Wortsinn
nichts anderes bedeutete als eine glatte Aufkündigung des Vertrauens, falls
der Reichskanzler nicht die Erörterung der Kriegsziele freigebe. Damit ist ein
Gipfel des Bedauerlichen erreicht. Man fragt sich: was soll geschehen, wenn
sich der Reichskanzler solchen Wünschen nicht unterwirft? Und er kann und
wird sich doch selbstverständlich nicht unterwerfen! Die Partei kann doch nicht
ihren Worten die Tat folgen lassen, denn das würde ja eine landesverräterische
Haltung bedeuten. Dann aber sollten besonnene, geistig hoch stehende Patrioten
in ernster Zeit nicht solche Worte sprechen.

Die Frage ist so ernst und bedeutungsvoll, daß neben denen, die den
Streit bisher ausschließlich oder wenigstens fast allein geführt haben, auch noch
andere zu Worte kommen müssen. Die Gegner des Kanzlers haben den Glauben
zu erwecken gesucht, als seien sie die einzigen Vertreter einer kraftvollen Willens¬
politik, und als stehe auf Seiten des Kanzlers nur der Chor der Flaumacher
und sogenannten "Verständigungs"-Politiker; ein drittes soll es, wie es scheint,
nicht geben. Das gibt es aber doch: die keineswegs unbedeutende Zahl derer,
die der Befürwortung eines halben Sieges nach unausgefochtenem Kriege und
dem ängstlichen Zurückweichen vor den Folgerungen eines wirklichen Sieges so


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Volkswille und Kriegführung

Aussprache der verschiedenen Richtungen verursacht werden, der die Kriegführung
selbst bestimmende Wille unberührt bleibt. Sehen wir zu, ob diese Grenze
überall gewahrt wird.

Aus den mancherlei Anschauungen, die über den Krieg und seinen Ausgang
innerhalb der enggezogenen Grenzen laut werden, heben sich besonders die
beiden Extreme heraus. Die einen wollen eine kraftvolle und entschiedene
Ausnutzung der Vorteile, die der dereinstige Sieg in die Hand Deutschlands
legen würde, und manche stürmen dabei sehr temperamentvoll über alle
Hindernisse und Bedenken hinweg. Die andern sehen nur diese Hindernisse
und die Keime neuer, künftiger Verwicklungen; sie fürchten die Nachwirkungen
des gewaltigen Völkerhasses auch sür den Sieger, wollen von den kümmerlichen
Resten internationaler Beziehungen möglichst viel retten und sprechen von
„Verständigung" und einem „unausgefochtenen" Krieg. Es ist aber nicht dabei
geblieben, daß sich die Vertreter dieser entgegengesetzten Anschauungen schroff
gegenüberstehen, sondern sie haben auch die Regierung in den Streit dadurch
hineingezogen, daß sie sie unter Hinweis auf die Zensurgewalt für die einzelnen
Wendungen dieses Streites mit verantwortlich machten, wozu freilich die von
allen Parteien ohne Unterschied bedauerten und gerügten Mißgriffe der Zensur
nur allzu zahlreiche Handhaben boten. Schließlich nahmen die Wortführer der
scharfen Tonart den Standpunkt ein: wenn die Regierung die „Flaumacher"
nicht abschüttele, so bekunde sie damit, daß sie ihnen innerlich nahe stehe. Im
Laufe der an Schärfe zunehmenden Auseinandersetzungen ist es zuletzt sogar
dahin gekommen, daß eine Gruppe der sächsischen Nationalliberalen unter
Führung des Leipziger Historikers Professor Erich Brandenburg an die Adresse
des Reichskanzlers eine Erklärung richtete, die nach ihrem schlichten Wortsinn
nichts anderes bedeutete als eine glatte Aufkündigung des Vertrauens, falls
der Reichskanzler nicht die Erörterung der Kriegsziele freigebe. Damit ist ein
Gipfel des Bedauerlichen erreicht. Man fragt sich: was soll geschehen, wenn
sich der Reichskanzler solchen Wünschen nicht unterwirft? Und er kann und
wird sich doch selbstverständlich nicht unterwerfen! Die Partei kann doch nicht
ihren Worten die Tat folgen lassen, denn das würde ja eine landesverräterische
Haltung bedeuten. Dann aber sollten besonnene, geistig hoch stehende Patrioten
in ernster Zeit nicht solche Worte sprechen.

Die Frage ist so ernst und bedeutungsvoll, daß neben denen, die den
Streit bisher ausschließlich oder wenigstens fast allein geführt haben, auch noch
andere zu Worte kommen müssen. Die Gegner des Kanzlers haben den Glauben
zu erwecken gesucht, als seien sie die einzigen Vertreter einer kraftvollen Willens¬
politik, und als stehe auf Seiten des Kanzlers nur der Chor der Flaumacher
und sogenannten „Verständigungs"-Politiker; ein drittes soll es, wie es scheint,
nicht geben. Das gibt es aber doch: die keineswegs unbedeutende Zahl derer,
die der Befürwortung eines halben Sieges nach unausgefochtenem Kriege und
dem ängstlichen Zurückweichen vor den Folgerungen eines wirklichen Sieges so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/143>, abgerufen am 17.06.2024.