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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Volkswille und Kriegführung

werden könnten. Etwa wie Elsaß-Lothringen 1870. Es hat damals vor 1870
wohl keinen einzigen Deutschen gegeben, der gegen Frankreich Krieg führen
wollte, um ihm diese beiden Provinzen abzunehmen; aber das wußte jeder:
wenn es irgendwie einmal Krieg mit Frankreich geben sollte, und wir blieben
Sieger, dann mußten wir Elsaß und Lothringen wieder haben! Jetzt -- ich
wiederhole es -- haben wir gegen keinen unserer Gegner eine Forderung, die
sich damit vergleichen ließe. Natürlich bestehen zahllose Wünsche und Lieblings¬
gedanken, und es gibt eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die in der Lage
sind, ihren besonderen Ideen ein größeres Gewicht zu geben und sich eine
Gefolgschaft zu verschaffen. Aber in ihrer Gesamtheit würden alle diese Ideen
ein völliges Chaos ergeben.

Das klingt vielleicht sehr pessimistisch, aber es wird dadurch ausgeglichen,
daß wir allerdings einen einheitlichen Grundgedanken in diesem Kriege haben.
Der Friede soll uns die Sicherheiten bringen, die es fremden Mächten und
Mächtekoalitionen in Zukunft unmöglich machen, uns wieder anzugreifen. Das
ist ein Gedanke, der sowohl der Kriegführung ein brauchbares Ziel steckt, als
auch von jedem vernünftigen Deutschen verstanden und gebilligt wird. Die
Gegner des Reichskanzlers sagen: das ist ein unbestimmtes und im Grunde
negatives Ziell Gewiß, eine Lage schaffen, in der man uns nicht angreist,
scheint der Form nach eine negative Arbeit zu sein, aber wenn jede negativ
gestellte Aufgabe einen so reichen positiven Inhalt hätte, könnten wir uns
beglückwünschen. Dieser Inhalt hat aber, um in seiner ganzen Notwendigkeit,
Allgemeingültigkeit und Wirksamkeit erfaßt zu werden, zur Voraussetzung, daß
die Erfahrung von der Unmöglichkeit jeder halben und unzureichenden Lösung
noch ein oder mehrere Male durch die Tatsachen bekräftigt wird. Die kriege¬
rischen Entscheidungen, die bis jetzt gefallen sind, geben uns wohl die Gewißheit
des Sieges, schaffen aber durchaus noch nicht die volle allgemeine Einsicht, auf
welchem Wege wir die Sicherheit unseres künftigen Friedens zu suchen haben.

Es ist unverständlich, um nicht zu sagen beschämend, wie zweifellos
patriotische Männer meinen können, unsere Leute in den Schützengräben würden
sich besser und freudiger schlagen, wenn ihnen bestimmte Ziele bezeichnet
würden, für die sie kämpften. Ich sollte meinen, es liegt schon eine gewisse
Herabsetzung der Pflichtauffassung und der Sinnesart unserer Heeresangehörigen
darin, daß man sie nach den Bedürfnissen, die sich am heimischen Stammtisch
zu entwickeln pflegen, einschätzt. Aber davon abgesehen, -- was will man den
Leuten denn sagen? Will man ihnen zum Beispiel -- um ein beliebiges Bei¬
spiel anzunehmen -- irgend ein Bild der zukünftigen Gestaltung Belgiens vor¬
malen? Dann stellt vielleicht gerade ein Teil unserer Feldgrauen, in Er¬
innerung an die sozialdemokratische Friedensschule, etwa folgende Erwägung
an: "Also darum werden wir hier an der Westfront nicht fertig! Und wir
dachten, es sei zur Bezwingung des Feindes notwendig! In Wahrheit werden
wir nur deswegen so lange von der Heimat ferngehalten, weil ein paar reiche


Volkswille und Kriegführung

werden könnten. Etwa wie Elsaß-Lothringen 1870. Es hat damals vor 1870
wohl keinen einzigen Deutschen gegeben, der gegen Frankreich Krieg führen
wollte, um ihm diese beiden Provinzen abzunehmen; aber das wußte jeder:
wenn es irgendwie einmal Krieg mit Frankreich geben sollte, und wir blieben
Sieger, dann mußten wir Elsaß und Lothringen wieder haben! Jetzt — ich
wiederhole es — haben wir gegen keinen unserer Gegner eine Forderung, die
sich damit vergleichen ließe. Natürlich bestehen zahllose Wünsche und Lieblings¬
gedanken, und es gibt eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die in der Lage
sind, ihren besonderen Ideen ein größeres Gewicht zu geben und sich eine
Gefolgschaft zu verschaffen. Aber in ihrer Gesamtheit würden alle diese Ideen
ein völliges Chaos ergeben.

Das klingt vielleicht sehr pessimistisch, aber es wird dadurch ausgeglichen,
daß wir allerdings einen einheitlichen Grundgedanken in diesem Kriege haben.
Der Friede soll uns die Sicherheiten bringen, die es fremden Mächten und
Mächtekoalitionen in Zukunft unmöglich machen, uns wieder anzugreifen. Das
ist ein Gedanke, der sowohl der Kriegführung ein brauchbares Ziel steckt, als
auch von jedem vernünftigen Deutschen verstanden und gebilligt wird. Die
Gegner des Reichskanzlers sagen: das ist ein unbestimmtes und im Grunde
negatives Ziell Gewiß, eine Lage schaffen, in der man uns nicht angreist,
scheint der Form nach eine negative Arbeit zu sein, aber wenn jede negativ
gestellte Aufgabe einen so reichen positiven Inhalt hätte, könnten wir uns
beglückwünschen. Dieser Inhalt hat aber, um in seiner ganzen Notwendigkeit,
Allgemeingültigkeit und Wirksamkeit erfaßt zu werden, zur Voraussetzung, daß
die Erfahrung von der Unmöglichkeit jeder halben und unzureichenden Lösung
noch ein oder mehrere Male durch die Tatsachen bekräftigt wird. Die kriege¬
rischen Entscheidungen, die bis jetzt gefallen sind, geben uns wohl die Gewißheit
des Sieges, schaffen aber durchaus noch nicht die volle allgemeine Einsicht, auf
welchem Wege wir die Sicherheit unseres künftigen Friedens zu suchen haben.

Es ist unverständlich, um nicht zu sagen beschämend, wie zweifellos
patriotische Männer meinen können, unsere Leute in den Schützengräben würden
sich besser und freudiger schlagen, wenn ihnen bestimmte Ziele bezeichnet
würden, für die sie kämpften. Ich sollte meinen, es liegt schon eine gewisse
Herabsetzung der Pflichtauffassung und der Sinnesart unserer Heeresangehörigen
darin, daß man sie nach den Bedürfnissen, die sich am heimischen Stammtisch
zu entwickeln pflegen, einschätzt. Aber davon abgesehen, — was will man den
Leuten denn sagen? Will man ihnen zum Beispiel — um ein beliebiges Bei¬
spiel anzunehmen — irgend ein Bild der zukünftigen Gestaltung Belgiens vor¬
malen? Dann stellt vielleicht gerade ein Teil unserer Feldgrauen, in Er¬
innerung an die sozialdemokratische Friedensschule, etwa folgende Erwägung
an: „Also darum werden wir hier an der Westfront nicht fertig! Und wir
dachten, es sei zur Bezwingung des Feindes notwendig! In Wahrheit werden
wir nur deswegen so lange von der Heimat ferngehalten, weil ein paar reiche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/147>, abgerufen am 17.06.2024.